Reihe: Unheimliche Geschichten Eine Besprechung / Rezension von Max Pechmann |
Mit unheimlichen Anthologien wird man in Deutschland nicht gerade verwöhnt. Umso schöner ist es, dass nun eine Textsammlung mit klassischen und moderneren Geschichten herausgekommen ist, die sich voll und ganz dem Thema Vampir verschrieben hat. Der Herausgeber Tilman Spreckelsen lässt es nicht dabei, den Leser mit literarischen Blutergüssen zu unterhalten, sondern nahm in seine Anthologie auch Auszüge alter Fachliteratur und Berichte auf, die sich mit den Vampiren auseinandersetzen. Sehr interessant hierbei ist der Beitrag von Johan Christoph Harenberg mit dem Titel „Vernünftige und christliche Gedancken über die Vampirs“ aus dem Jahre 1733, in dem er einen Bericht über eine Untersuchung in einem serbischen Dorf zitiert, die im Jahr 1732 durchgeführt wurde und die sich mit einem sonderbaren Fall von Aberglauben und Vampirismus auseinandersetzt.
Den Abhandlungen folgen die literarischen Vergnügen. Die Auswahl fiel auf bekannte wie auch weniger bekannte Texte. Neben Polidoris Prototyp des modernen Dandy-Vampirs namens Lord Ruthven, den er in seiner Geschichte „Der Vampyr“ auftreten lässt und der seitdem (neben Le Fanus „Carmilla“) die Vampirliteratur ungebremst beeinflusst, findet sich auch E.T.A. Hoffmanns unheimliche Aurelie in einer Erzählung aus den „Serapions-Brüder“ wieder, deren Verhalten sich von Mal zu Mal verändert, bis ihr Ehemann ihr schreckliches Geheimnis entdeckt. Théophile Gautier lässt in „Die liebende Tote“ den Mönch Romuald der wunderschönen Clairmonde begegnen, was ihn eindeutig in Konflikt mit seinem Keuschheitsgelübde bringt. Eines der besten Beispiele erotischer Vampirliteratur. Conan Doyle schickt Sherlock Holmes nach Sussex, wo er einem Fall von Vampirismus nachgehen soll. Die Ehefrau seines Klienten soll angeblich das Blut ihres eigenen Babys trinken. „Der Vampir von Sussex“ gehört sicherlich zu den ungewöhnlichsten Holmes-Fällen und ist immer wieder lesenswert. Nicht fehlen darf in einer Anthologie über Vampire Bram Stoker, dessen Geschichte „Draculas Gast“ wohl in fast jeder Textsammlung dieser Art zu finden ist und als Prolog zu seinem berühmten „Dracula“ gilt. In „Die Turmstube“ von E.F. Benson lautet der zentrale Satz „Jack wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen“. Ein Mann träumt von einem sonderbaren Raum, bis er schließlich das Zimmer tatsächlich aufsucht. Leider trifft er dort auf keine sinnliche Vampirfrau, denn Benson hat sich für ihn etwas ganz und gar Fürchterliches ausgedacht. Eine sehr interessante und zugleich nicht unerotische Geschichte liefert E.V. Clintons „Manche Geister lieben warmes Fleisch“. Die Handlung spielt in Nigeria, in der ein Student namens Olu Taiwo einen sonderbaren Ort namens Jack’s Town besucht, wo er sich Hals über Kopf in Josephine verliebt. Und dies, obwohl ihn alle vor dieser Frau warnen. Jan Neruda wartet mit einer sehr originellen sowie äußerst gruseligen Idee in seiner berühmten Geschichte „Vampir“ auf, in der ein Maler einer Gruppe Ausflügler folgt. Die Pointe hat es in sich. Den Abschluss bildet Herbert W. Frankes „Kalziumfresser“, eine SF-Geschichte über ein havariertes Raumschiff, das eine fremde Besatzung, die das Schiff untersuchen möchte, im wahrsten Sinne des Wortes schwach werden lässt.
Abgerundet wird die Anthologie durch Goethes Geisterballade „Die Braut von Korinth“ sowie mehreren Gedichten, die Vampire zum Thema haben.
Insgesamt kann die Auswahl der Texte als gelungen bezeichnet werden. Jede der Geschichten behandelt das Thema Vampir auf ihre eigene Weise, zugleich streift die Anthologie mit diesem Vorhaben an ein paar Haltestellen der Weltliteratur vorbei. Dass man die ein oder andere Erzählung bereits kennt, ist bei einer Anthologie, die vor allem klassische Vampirgeschichten beinhaltet, selbstverständlich. Das Gute an Klassikern ist ja, dass sie nie langweilig werden, sondern immer wieder von Neuem zum Lesen reizen. Was ich allerdings schade finde, ist, wenn statt einer Kurzgeschichte ein Auszug aus einem Roman oder einer Novelle genommen wird. Dies trifft hier auf eine Szene aus Le Fanus „Carmilla“ zu. Schöner wäre es gewesen, wenn Tilman Spreckelsen stattdessen eine andere, in sich geschlossene Kurzgeschichte aufgenommen hätte. Die Fülle an Vampirgeschichten hätte dies durchaus zugelassen. Doch ist dies der einzige Kritikpunkt. Die Textsammlung als solche macht Spaß und bietet äußerst kurzweilige Unterhaltung sowohl für Vampirliebhaber als auch für Klassikerfreunde.