Reihe: Urbat, Band 2 Eine Rezension von Doreen Below |
Kurzbeschreibung:
»Du kannst ihm nicht vertrauen. Bitte, Gracie, glaube mir. Ihr seid alle in Gefahr. Du musst wissen, dass …« Die Stimme erstarb. Dann war die Leitung tot. »Jude!«, schrie ich in mein Handy.
Grace hat das größte Opfer gebracht, um Daniel zu heilen – sie hat ihre Seele in die Klauen des Wolfes gelegt. Nun muss sie ein Hund des Himmels werden. Auf der Suche nach ihrem abtrünnigen Bruder Jude kommt sie dem mysteriösen Talbot näher. Der Wolf in ihr wächst und sie entfremdet sich von Daniel. Sich des dunklen Weges, den sie einschlägt, nicht bewusst genießt Grace ihre neuen Fähigkeiten – und bemerkt nicht, dass ein alter Feind tödliche Fallen auslegt ...
Meine Meinung:
Endlich ist es soweit! Die bittersüße Liebesgeschichte um Pastorentochter Grace Divine und Jugendfreund Daniel geht in die zweite Runde. Nach den düsteren wie phantastischen Ereignissen in "Die dunkle Gabe", serviert Bree Despain mit "Der verlorene Bruder" nun einen recht passablen Nachfolger. Sicherlich findet sich das ein oder andere wölfische Haar in der Suppe, mitgefiebert werden darf trotzdem, wenn sich die Liebenden erneut mit der bedrohlichen Seite der Urbats konfrontiert sehen und alte Feindschaften aufgefrischt werden. Die Gefahr schläft nicht!
Der zweite Band der geplanten Urbat-Trilogie schließt etwa zehn Monate nach den Vorfällen des ersten Teils an und manövriert den Leser, wie gewohnt, direkt in die Handlung. Ein weiteres Mal punktet Despain mit einem spannenden Handlungseinstieg, der Grace Gefühle (Ich-Erzähler) für ihren verloren geglaubten Bruder Jude spürbar einzufangen vermag. Da wundert es kaum, dass ich die Seiten im Akkord verschlungen habe. Schließlich wollte ich endlich erfahren, wie es der Pastorenfamilie Divine erging, nachdem Jude verschwunden ist, um seine trotzigen Wunden zu lecken. Nicht zu vergessen Grace, die mit Daniel quasi das wölfische Schicksal getauscht hat.
Temporeich spinnt Despain den Plot weiter, mittels lebendiger Umschreibungen sowie kurzer Kapitel, die es zumeist auf den Punkt bringen. Mitunter streckt sich die Handlung jedoch ein wenig, was u. a. an einem neu eingeführten Charakter namens Talbot liegt, der unsere göttliche Heldin in die atmosphärisch skizzierte Welt dämonischer Wesen einweiht ... und dabei mit seinen Gefühlen für Grace nicht hinter dem Berg hält. Es wird hart trainiert und angebaggert. Wie in so vielen anderen Jugendromanen dieses Genres auch, verzichtet Despain nicht auf eine angedeutete Dreiecks-Liebesgeschichte, die für so manche Wirrungen in der wahren Liebe zwischen Grace und Daniel sorgen soll, es aber nicht wirklich tut und gelegentlich einige Seufzer entlocken könnte. Der erste Beziehungsfrust keimt nämlich auf, was "gute" Gründe hat: reichlich Geheimisse! Wie zuvor in "Die dunkle Gabe", muss die toughe Pastorentochter diesen auf den Grund gehen und zusätzlich noch einen bedeutenden Kampf mit sich selbst ausfechten – der innere Wolf wittert seine Chance.
Die Gedankendialoge die Grace im Verlauf der Ereignisse mit dem Raubtier in sich durchlebt und ihre daraus resultierende Entwicklung, sind glaubhaft ausgearbeitet. Ebenso wie die religiösen Hintergründe bezüglich der Urbats. Wie bereits im Vorgängerband spielt Grace göttlicher Glaube dabei keine unwichtige Rolle. Beides wird gut dosiert in die Geschichte mit eingebunden, ohne zu langweilen oder bekehren zu wollen.
Das Problem sehe ich in Daniels Charakter, den ich hauptsächlich nicht verstehen konnte. Gut, Daniel ist typisch Mann. Deshalb zieht er sich auch lieber zurück und überlässt seine Liebste zuweilen ihren eigenen Problemen bzw. schließt sie aus seinem Leben aus, statt sich ihr anzuvertrauen. Da verblüfft es kaum, dass Grace sich ihren Wunsch eine Heldin zu werden sowie eine Schulter zum Anlehnen, prompt bei einem geeigneten Kandidaten sucht. Dennoch, eigentlich wäre das alles meiner Meinung nach nicht unbedingt von Nöten gewesen, betrachtet man des Rätsels Lösung um Daniels Geheimniskrämereien letztendlich genauer. Wenn es während der frostigen Auszeit also sporadisch zu knistern beginnt, ist es schon etwas schwierig weiterhin an ihre untrennbare Liebe zu glauben … jedoch nicht unmöglich. Leider wird es dann an einigen Stellen zusätzlich übertrieben kitschig.
Es gibt also Handlungsstränge die überzeugen können und für einige Überraschungen gut sind (z. B. was Jude betrifft), dann wiederum ist das Gegenteil der Fall (Talbot). Genauso verhält es sich mit den Nebencharakteren. So sorgt Grace beste Freundin April für einige schmunzelnde Momente, während der Großteil der Familie Divine ein wenig farblos zurückbleibt. Weder Grace kleiner (sehr süßer) Bruder James, noch ihr Vater kommen richtig zur Geltung. Die Situation um den verlorenen Bruder Jude allerdings wirkt hauptsächlich gut durchdacht und fesselnd, wenngleich am Ende nicht ganz nachvollziehbar ist, warum Jude bestimmte Dinge getan bzw. nicht getan hat. Das Gleiche gilt für einige mysteriöse Mordfälle, die nicht näher beleuchtet werden. Die offenen Fragen werden sich aber sicherlich im dritten Band "The Savage Grace" herauskristallisieren. Vorher gilt es jedoch einen fiesen Cliffhanger zu verdauen. Gemein, aber erträglich. Die Originalausgabe erscheint vorrausichtlich im März 2012.
Kurz gesagt:
"Der verlorene Bruder" zeigt sich nicht durchweg von seiner himmlischen Seite, kann aber, einiger unausgereifter Stellen zum Trotz, überzeugen. Wiederholt entführt Bree Despain den Leser in die düstere Welt der Urbats, untermalt mittels religiöser Hintergründe und eines stets göttlichen Funkens – spannend, romantisch und besonders für die (an)gebissenen Fans des 1. Bandes zu empfehlen. Ich für meinen Teil bin erneut auf den Urbat gekommen!