Serie/Reihe: Alastor-Trilogie, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Im Alastor-Sternhaufen - einem Teilbereich des aus vielen weiteren Jack-Vance-Romanen bekannten Gäanischen Territoriums - haben Menschen im Laufe der Zeit um die 3000 Welten besiedelt. So unterschiedlich ihre jeweiligen Lebensumstände dort auch sein mögen, sprechen diese Menschen doch alle dieselbe Sprache und stehen unter der Oberherrschaft des Connat, eines besonnenen Mannes, der traditionell unerkannt sein Reich bereist, um sich immer wieder aufs Neue von den Lebensweisen und Schicksalen seiner Untertanen faszinieren zu lassen.
Auf der hauptsächlich von Wasser bedeckten Welt Trullion: Alastor 2262 wird er den Weg des `Helden’ dieser Erzählung kreuzen, Glinnes Hulden, der, nach zehn Jahren Dienst in den Streitkräften seines Herrschers auf seinen Heimatplaneten zurückgekehrt, die Welt seiner Kindertage tragisch verändert vorfindet. Sein Vater ist tot, der ältere Bruder verschollen, und seine Mutter und der jüngere Bruder sind im Begriff, den Familienbesitz an eine Sekte bzw. herumziehende Zigeuner (direkt dem großen Klischee-Fundus entnommen und bei Vance "Trevanyi" genannt) zu verschleudern.
Glinnes Hulden ist in den Fens aufgewachsen, einem wunderschönen Landstrich aus Tausenden von Inseln, Wasserkanälen und Buchten im Übergang zwischen Festland und Meer. Hier besaß die Familie die Inseln Rabendary und Ambal, bis Glay Hulden, der jüngste Sohn des Hauses, Ambal unter Wert an einen Außenweltler verkaufte, um den Erlöß seiner Sekte schenken zu können. Bei seiner Heimkehr muss Glinnes zuerst einmal die Familie Drosset von Rabendary vertreiben, eine skrupellose Trevanyi-Sippe (mit einer ebenso atemberaubend schönen wie zickigen Tochter), die langsam, aber sicher die Insel plündert. Danach erst kann er sich seinem Hauptproblem widmen: Zwar besaß Glay überhaupt nicht die Befugnis, die Insel Ambal zu verkaufen, da auf Trullion jedweder Besitz vom Vater auf den ältesten Sohn übergeht, aber genau dieser Sohn ist verschwunden, und davon abgesehen verfügt Glinnes nicht über das Geld, um Ambal zurückzukaufen.
Was kann er also tun? Glinnes erinnert sich seiner sportlichen Vergangenheit und versucht sich als Hussade-Profi. Hussade ist eine Art Mischung aus Footballspielen (ohne Ball) und `Spiel ohne Grenzen’, bei der es - stark vereinfacht - darum geht, zur gegnerischen Grundlinie vorzustoßen und der gegnerischen Sheirl (im Idealfall eine schöne Jungfrau) die Kleider vom Leib zu reißen. Glinnes’ Stürmerkarriere entwickelt sich eine Zeit lang vielversprechend. Dann jedoch verkomplizieren die Nachstellungen der mörderischen Drosset-Sippe, Überfälle von Sternenpiraten und Glinnes’ aufgewühlter Hormonhaushalt die Lage immer mehr. Glinnes verfällt auf wenig legale Methoden, sein Glück zu mehren, und hat keine Ahnung, dass sein wichtigster Mitwisser der Connat selbst ist ...
Mein altes Heyne Lexikon der Science Fiction-Literatur aus dem Jahre 1980 schreibt zu Jack Vance:
Vance schreibt Science Fantasy, die durch ihren bizarren Detailreichtum und ausgefallene Namensgebung fasziniert. Dabei paart er oftmals antiquierte Redewendungen mit exotischen Szenarios ... Seine Spezialität ist die Beschreibung von absonderlichen Lebensumständen, Sitten und Bräuchen fremder Planetenvölker, die er mit akribischer Genauigkeit darzustellen weiß. Trotz des fesselnden Hintergrunds und der phantastischen Schauplätze bleiben viele seiner Romane seltsam unbefriedigend. Die Handlung ist oft oberflächlich, die Charakterisierungen simpel, die dünne Idee lohnt den Aufwand an Phantasie im Detail nicht.
Den meisten Aussagen in diesem Zitat kann ich aus eigener Erfahrung zustimmen. Ich habe im Laufe der Jahre zahlreiche Werke des Autors zügig und entspannt gelesen - und bald darauf weiterverschenkt. Einige Bücher jedoch verteidigen seit langem ihren Platz auf meinem Bücherregal - und zu diesen gehört "Trullion". Auch dieser Roman weist mehrere Eigenheiten auf, die ihm in den Augen des Lesers zum Nachteil gereichen können. Zuerst einmal reden wir hier ganz eindeutig über ein `Männerbuch’: Fast alle Frauen in dieser Geschichte sind reine Sexobjekte, `aktive’ bzw. ehemalige Sheirls, deren ganzes (sehr emotionales) Denken darauf ausgerichtet ist, eine gute Partie (vorzugsweise adligen Geblüts) für sich an Land zu ziehen. Gleichzeitig weist die Handlung gegen Ende riesige Logiklöcher auf, die nicht zu übersehen sind. Dass Glinnes’ detektivische Bemühungen erfolgreicher sind als die der Polizei, ist einfach grober Unfug von Seiten des Autors. Und last but not least: Vances Handlungsträger sind wieder einmal nur holzschnittartig charakterisiert.
Manche Figuren werden schon durch ihr Äußeres so prägnant beschrieben, dass man sie gleich richtig einordnen kann. Von Sippenchef Vang Drosset etwa weiß Vance zu berichten: "Seine Haut hatte die Farbe von trockenem Biskuit, und seine Augen glommen gelb, als würden sie von innen beleuchtet." (S. 51) Klar, dass solch ein teuflischer Kerl nichts Gutes im Schilde führen kann. Für andere Charaktere reicht eine einzige Eigenschaft (Glinnes’ verschollener Bruder war vor allem lüstern), oder aber Vance arbeitet mit Gegensätzen: Glinnes ist blond - und folglich lebensbejahend und freundlich; Glay dagegen schwarzhaarig - und also düster und grüblerisch. Glinnes erträumt sich ein ruhiges, zufriedenes Leben - der frustrierte Bruder dagegen hält das Universum für seinen Widersacher (s. S. 24).
Dennoch habe ich mich von diesem Buch gut unterhalten gefühlt. Über den oft gepriesenen Schreibstil des Autors lassen sich anhand der dreißig Jahre alten Übersetzung (bei der mir zumindest zwei offensichtliche Fehler auffielen) natürlich keine Aussagen machen. Bei wohlwollender Betrachtungsweise kann man aber auch den `Schwächen’ des Buches positive Seiten abgewinnen: Die Hell-Dunkel-Symbolik, die sich Vance in "Trullion" zunutze macht, ist in der abendländischen Kultur ein ganz alter Hut - und wird vom Autor meiner Meinung nach absichtlich eingesetzt, ist Ausdruck seiner spielerisch-ironischen Einstellung seinem Werk gegenüber. Ich habe diesen Roman mit Vergnügen gelesen, weil ich die Kombination aus alten Erzählmustern einerseits und einem neuzeitlichen Weltbild andererseits interessant fand. Dazu kamen dann noch die schon angesprochenen "exotischen Szenarios" und ein Quantum staubtrockener Humor - und alles zusammen ergab eine angenehme Mischung. Aber der Reihe nach.
Vance ging es überhaupt nicht darum, eine realitätsnahe Geschichte zu erzählen. Stattdessen war einiges an diesem Roman `märchenhaft’. Die Figur des inkognito umherwandernden Connat etwa findet sich ähnlich schon mit Harun al-Raschid in "1001 Nacht". Ähnliches gilt für die eindimensionalen Charaktere und den jungen Helden, der hinauszieht in die Welt und schließlich auf wundersame Weise sein Glück (?) macht. So betrachtet werden (na ja, vielleicht) sogar die logischen Brüche der Handlung entschuldbar.
Ganz alten Ursprungs ist auch der Traum von einem Leben im Paradies. Die Menschen auf Trullion führen überwiegend eine bukolische, genügsame Existenz. Eine ausgedehnte Siesta ist ihnen wichtiger als die puritanische/protestantische Arbeitsethik. Angenehmerweise malt der Autor das Bild dieser Gesellschaft meist in freundlichen Farben. Die asketische Sekte der Fanscher scheitert letztlich auf ganzer Linie.
All diese Zugeständnisse an die eskapistischen Leserbedürfnisse vermischt Vance allerdings mit einigen dunkleren Farbtupfern. Immer wieder sterben unvorsichtige Menschen auf Trullion, die von indigenen Meeresbewohnern, den Merlingen, unter Wasser gezogen werden (Horror!). Und das Leben im Garten Eden macht aus den Menschen offenbar keine Engel. Es finden grausame öffentliche Hinrichtungen statt - zusätzlich untermalt von die Zuschauer aufpeitschender Musik -, und genauer betrachtet ist das Hussade-Spiel nichts anderes als Krieg plus Vergewaltigung in symbolischer Form.
Vances Weltbild ist illusionslos. Sein Kosmos kommt ohne göttliche Ordnung aus. Alle Menschen streben letztlich nach ihrem eigenen Vorteil, und manche Verbrechen werden nicht gesühnt. Das Sprachrohr des Autors ist dabei der Connat, ein Realpolitiker mit guten Absichten und wenig Skrupeln, dessen Maxime es ist, sich eher aus allem herauszuhalten, da, wenn der Staat sich in die Belange seiner Bürger einmische, er meist nur weitere Probleme den schon bestehenden hinzufüge. Diese Ansicht ist sicher anfechtbar, macht aber - und darauf wollte ich die ganze Zeit hinaus - die Welt von "Trullion: Alastor 2262" um einiges vielschichtiger.
Die zwei Folgebände der Trilogie sind inhaltlich völlig in sich abgeschlossen und für sich allein lesbar. Genau das werde ich sicher demnächst auch tun und überprüfen, ob ich mich zurecht angenehm an "Marune: Alastor 933" erinnere.
Trullion: Alastor 2262 - die Rezension von Rupert Schwarz