Serie: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Eines Nachts beginnt es über den San Bernhardino Mountains, im östlichen Umland von Los Angeles, in Strömen zu regnen. Die mäßig erfolgreiche junge Schriftstellerin Molly Sloan kann - im Gegensatz zu ihrem friedlich schnarchenden Gatten Neil - nicht einschlafen. Zuerst wundert sich Molly nur über das leichte Schimmern des Regens draußen. Dann nähern sich nach und nach etwa zwanzig Koyoten dem einsam gelegenen Haus der Sloans und suchen ängstlich unter der Veranda Zuflucht. Molly gesellt sich zu ihnen, weil sie instinktiv spürt, dass ihr von den hundeähnlichen Wildtieren keine Gefahr droht. Mit einem Male flüchten die Koyoten vor einer unbekannten Gefahr panisch hinaus in die Nacht. Kommt Molly der nahe Wald sonst auch oft "wie eine grüne Kathedrale vor", so weiß sie doch ganz genau, dass sein Gott in diesem Augenblick "der Herr der Finsternis" ist.
Oben im Schlafzimmer schreit Neil in einem für ihn völlig untypischen Alptraum. Molly eilt hinauf und weckt ihn auf. Neil hat das Gefühl, als zöge etwas von der Größe mehrerer Berge über die Landschaft hinweg. Ihm entschlüpfen die Worte "euch zu sieben wie den Weizen", ohne dass er einen Grund dafür nennen könnte. Tief beunruhigt, schalten die Sloans den Fernseher ein und erfahren, dass weltweit Regenstürme auf die Menschen herunterprasseln. In atemberaubender Geschwindigkeit verschlechtert sich die Lage; die Zivilisation scheint zusammenzubrechen. Als in einem verrauschten Telefonat Neils Bruder Paul auf Hawaii erzählt, er habe sich in einer Kirche verschanzt, und als Erklärung undeutlich eine Bibelstelle mit den Worten "und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat" zitiert, packen Molly und Neil ihre Schusswaffen ins Auto und verlassen ihr Haus. [Wäre den Sloans zu den mittlerweile zwei Bibelsätzen das richtige Subjekt eingefallen, wüssten sie schon eine Menge mehr, aber leider ...]
Auf ihrem Weg zum nächstgelegenen Ort, Black Lake, halten sie bei ihrem nächsten Nachbarn, der sich mit seiner eigenen Waffe den Kopf weggeschossen hat. Trotzdem steht er plötzlich auf und zitiert kopflos T.S. Eliot, den Lieblingsdichter Mollys. Die Sloans flüchten und setzen ihren Weg fort. Im Radio verfolgen sie die letzte Funkübertragung von der ISS und hören, wie die Astronauten von unbekannten Wesen aufs Brutalste massakriert werden. Kurz vor Black Lake sehen sie im Vorbeifahren einen Fußgänger und erkennen in ihm Mollys Vater, einen siebenfachen Mörder, der eigentlich in der Psychiatrie sitzen sollte. Im Ort selbst entdecken sie schließlich eine Kneipe, in der sich etwa sechzig Leute verschanzt haben. Unter ihnen befindet sich der Literaturprofessor Derek Sawtelle, der eine unglaubliche Erklärung für die Ereignisse der letzten Stunden hat: Eine fast allmächtige außerirdische Macht unterzieht die Welt einer Art Terraforming-Prozess und verteilt mit den Regenmassen ihre eigenen Keime und Sporen. Und tatsächlich: Schon als der Morgen graut - und statt Sonnenscheins nur dichter Nebel den Himmel füllt - schleichen grauenhafte Lebewesen durch die Straßen und Black Lake wird zur Hölle auf Erden.
Wie so oft bei Dean Koontz verbindet Todesregen Science-Fiction-Inhalte mit den erzählerischen Mitteln des Horror-Genres. Wenn man der englischsprachigen Wikipedia-Seite des Autors glauben schenken kann, enthält das Buch noch weitere Elemente, die in seinen Werken immer wieder vorkommen:
Wie Dean Koontz selbst ist (1.) Molly Sloan in schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater erschoss zwei Lehrer und fünf Kinder, als er Molly aus ihrer Grundschule entführen wollte. Im Roman wird er zum (2.) unverbesserlich 'bösen' Gegenspieler seiner Tochter. Molly ist (3.) Schriftstellerin und lebt (4.) glücklich mit einem verständnisvollen Partner, Neil, zusammen, und zwar (5.) in Südkalifornien. Beide Eheleute besitzen (wie Koontz auch) (6.) Schusswaffen und fahren (7.) ein SUV. Eine wichtige Rolle fallen in dem Roman (8.) einem übersinnlich begabten Hund sowie (9.) extremen Wetterphänomenen zu. Außerdem werden (10.) mindestens ein Dutzend Mal Gedichte von T.S. Eliot zitiert.
Koontz (oder, literaturwissenschaftlich genauer: sein Erzähler) (11.) moralisiert ständig. Er ist überzeugt von der Existenz des metaphysischen "Bösen", und das sowohl im abstrakten wie im sehr konkreten Sinne. Menschen werden als durch und durch böse bezeichnet (und entmenschlicht). Das Böse kann aber auch in unbekannter Form in dunklen Ecken lauern. Von Anfang an fällt in Todesregen auf, wie häufig Koontz dieses Adjektiv benutzt. Darüber hinaus kritisiert er massiv den Zustand der amerikanischen Gesellschaft: Schwerverbrechen werden seiner Meinung nach viel zu lasch geahndet. Eine 'Bestie' wie Mollys Vater landet nicht im Zuchthaus, sondern in der Psychiatrie. Als Neal Sloan im Fernsehen nach Informationen sucht, findet er jede Menge gewalttätige Filme und Pornographie. Alle Kinder, die in dem Roman vorkommen, haben Eltern, die entweder saufen, prügeln oder Drogen nehmen.
Sprachlich bietet Todesregen die - wie mir scheint - für Horror-Bestseller typische redselig-geschwätzige Art von Prosa, die gerne fünf Sätze schreibt, wo auch zwei ausgereicht hätten, und sich gelegentlich zu Metaphern versteigt, die literarisch interessierten Lesern leicht Magengeschwüre verursachen. Der Lesbarkeit des Werks tut das aber keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil, kann man doch jederzeit auch mit halber Konzentration dem Handlungsverlauf folgen, ohne komplizierte Inhalte oder ausgefeilte Charakterbeschreibungen zu verpassen. Letztere kommen eh nicht vor. Die meisten Personen sterben viel zu schnell, als dass sie ein Eigenleben entwickeln könnten, und die beiden Protagonisten Molly und Neil sind so 'gut', dass ihre Füße kaum den Boden berühren.
Trotzdem ist der Roman nicht uninteressant. Fast seine gesamte Handlung spielt sich in weniger als einem Tag ab (ein Detail, das weiter unten noch wichtig sein wird),und in dieser kurzen Zeitspanne verwandelt sich Black Lake in den furchterregendsten Ort, der mir je untergekommen ist. Offenbar sind seine Schöpfer so mächtig, dass der Mensch für sie höchstens die Bedeutung einer lästigen Stechmücke haben kann (siehe deutsches Titelbild). Angesichts dieser Ausgangslage kann das Ende des Buches eigentlich nur die totale Vernichtung alles irdischen Lebens beschreiben. Die Frage, wie Koontz letzlich ('12.') das scheinbar Unvermeidliche vermeiden wird, erzeugt beim Leser eine beträchtliche Neugierde, die Gedanken an einen vorzeitigen Abbruch der Lektüre gar nicht erst aufkommen lassen.
Und jetzt: DAS ENDE
Wenn Sie Todesregen zu einem späteren Zeitpunkt einmal selbst lesen wollen, ist es unverzichtbar, dass sie an diesem Punkt nicht weiterlesen. Es erweist sich nämlich, dass ...
... Dean Koontz eine Neuauflage der Sintflut bzw. den Tag (!) des Jüngsten Gerichts beschreibt. Die Außerirdischen in ihrem unermesslich großen Raumschiff kommen offenbar von Zeit zu Zeit vorbei und sieben die Menschheit - trennen die Spreu vom Weizen. Dabei versucht Luzifer (teils in der Gestalt von Mollys Vater) möglichst viele 'Seelen' an sich zu reißen, während andere Kräfte (das Buch bleibt hier vage), in Gestalt von Mollys toter Mutter bzw. des Schäferhunds Virgil, versuchen, die Kinder zu retten - und alle, die diesen selbstlos beistehen. So überlebt schließlich etwa ein Prozent der Menschen von Black Lake die große Prüfung und errichtet (für einige Zeit) ein Paradies auf Erden.
Diese Schlusspointe ist zwar sehr ausgefallen, deshalb aber noch nicht schlecht. (Mir scheint generell, dass es in der Literatur keine schlechten Plots gibt, sondern nur schlechte Umsetzungen). Dass mir und den meisten anderen Rezensenten im Internet dieses Ende sauer aufgestoßen ist, liegt sicher daran, dass Koontz anscheinend jedes Wort bierernst meint und die Todesstrafe für beinahe die gesamte Menschheit akzeptiert. Dies wiederum finde ich nicht hinnehmbar. Was konnten etwa die Astronauten der ISS dafür, dass sich auf ihrer Station keine Kinder aufhielten, die sie hätten beschützen können? Ist es (siehe Molly und Neal) wirklich so vorbildlich, Feuerwaffen im Haus zu haben und die Umwelt belastende Spritschleudern zu fahren? Und wie sollte eigentlich der Urteilsspruch über superreiche Schriftsteller ausfallen, die Jahr für Jahr in ihren Romanen auf die bestialischste Weise Menschen 'um die Ecke bringen' - genau das, was Koontz den Fernsehmachern vorwirft?
Auf dem PC eines weniger verwirrten Autors hätte Todesregen trotz seiner biblischen Grundidee ein wirklich interessanter Roman werden können. So ist das Buch eher zu einem Stück Erbauungsliteratur für christliche Fundamentalisten mit einem Sinn für Splattereffekte geworden.
Todesregen - die Rezension von Erik Schreiber