Titel: Tod in Neverland Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Die Heldin der Erzählung, Kelly Rich, lebt im Moloch Großstadt, gekonnt verkörpert durch New York, die Weltstadt, die keinen Schlaf kennt. Kelly hat vor Jahren ihre Familie verlassen, um sich ohne den Kontakt zu ihr ein Leben aufzubauen, das sie unter Kontrolle hat. Der Rückzug von der Familie ist eher mit einer Flucht zu vergleichen.br> Gemeinsam mit Josh Cavey, ihrem Kameramann und Assistenten, betätigt sie sich äußerst kreativ: Sie stellt filmische Portraits von Menschen her, die ihr Leben weiterhin positiv betrachten, obwohl sie ein einschneidendes, schlechtes Erlebnis hinter sich haben. Zurzeit arbeitet sie mit Nelly Worthridge, einer alten Dame im Rollstuhl, die ihre Beine, aber nicht den Lebenswillen verlor.
Als Kelly nach Hause kommt, erwartet sie auf ihrem Anrufbeantworter eine schlimme Nachricht. Ihre fünfzehnjährige Schwester wurde schwer verletzt im dichten Wald gefunden und liegt seither im Koma. Ein Unbekannter hat sich an sie herangemacht und einfach liegen gelassen. Verständlicherweise sind die Eltern verstört und Panik um den vielleicht bevorstehenden Tod ihrer Tochter macht sich breit. Während sich Kelly auf die Reise in den abgelegenen Ort Spires macht, erleidet Nelly Worthridge einen Schlaganfall. Josh kümmert sich um Nelly, die langsam, aber sicher Gaben entwickelt, die übersinnlicher Natur zu sein scheinen. Unter anderem hört der diensthabende Krankenhausarzt Mendes am Krankenhausbett der alten Dame eine Voraussage, die seinen ungeborenen Sohn betrifft.
Die Rückkehr nach Spires ist für Kelly nicht nur eine Heimkehr aufs elterliche Anwesen, sondern eine Reise in ihre eigene Vergangenheit, vor der sie sich in New York versteckte. Auf der Fahrt nach Spires fühlt sie sich immer unwohler und muss an ihr gefühlskaltes Elternhaus denken. Langsam kehren Erinnerungen zurück und ihr wird wieder klar, warum sie damals ihren Geburtsort überstürzt verließ: herzlose Eltern, die mit ihrer Gefühlskälte in dem Mädchen einen Gefühlsstau auslösten. Mit fünfzehn steckten ihre Eltern sie in eine Nervenheilanstalt. Drei Jahre, in denen sie keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen hatte, verbrachte sie dort. Warum, kann sie nicht mehr sagen, das Ereignis hat sie vollständig verdrängt. Dennoch ist es seltsam, dass ihrer Schwester im gleichen Alter etwas sehr Beunruhigendes geschieht. Langsam kehren die Erinnerungen zurück. Bedrückende Erinnerungen. Zu Hause angekommen, erfährt sie, nicht nur ihre Schwester wurde angegriffen, sondern auch weitere Menschen gelten im unheimlichen Forst als vermisst. Kelly muss sich ihren Schrecken und dem gefährlichen Ort stellen.
Ronald Malfi belässt es aber nicht bei einem Handlungsstrang. Die eingangs erwähnten Personen - Josh Cavey, Dr. Mendes und vor allem die alte Frau Nelly Worthridge - bleiben nicht nur am Rande erwähnte Figuren. Im Gegenteil, gerade die Verbindung zwischen Kelly und Nelly wird wegweisend. Verzerrte Bilder der von Nelly Worthridge gemachten Filmaufnahmen, deren Weissagungen, bis hin zu erschütternden Ereignissen, grauenhaften Begegnungen - Ronald Malfi beschreibt hier eine ergänzende Geschichte.
Es ist schon beeindruckend, wie der Autor einen schaurigen Mystery-Thriller erschuf, einen beeindruckenden Horror-Roman, der durchaus das Zeug hat, den nächsten Vincent-Preis zu erhalten. Der Roman liest sich frisch und leicht, lässt den Leser gern der Erzählung folgen. Diese beginnt recht beschaulich, noch ohne Besonderheiten. Jedoch lockt Ronald Malfi mit jedem weiteren Satz den Leser in eine düstere Welt. Ab einem bestimmten Punkt kann der der nicht mehr entscheiden, ob hier Wirklichkeit oder Phantasie Einzug in die Erzählung halten. Zudem besticht der Roman stilistisch und atmosphärisch. Er benutzt die Versatzstücke, die in jedem Horror-Roman vorkommen: die dunkle, unbekannte Macht, ob Bestie oder unheimliche Person, der dunkle Wald, ein verfluchtes Haus, Menschen mit besonderen Gaben und natürlich normale Menschen als Opfer. Alles findet sich auch in Tod in Neverland. Wie in jedem guten Horror-Roman geht es vorwiegend um Gefühle und Gedanken. Ängste und Phobien stehen im Vordergrund, dann die Einsamkeit und die Gedanken und Erinnerungen daran. Meist ist es jedoch so, dass die ausgemalte Angst, wie sie bei Howard Philip Lovecraft und Edgar Allan Poe geschickt beschrieben werden, furchtbarer ist, als die Situation selbst. Ronald Malfi gelingt dieser Spagat in seiner Erzählung hervorragend. Ein weiterer Pluspunkt des Autors ist seine Beschreibung der handelnden Figuren. Gleiches gilt für die mysteriöse Geschichte an sich sowie das elterliche Anwesen und in besonderem Mass das Herz des Waldes. Der Autor formulierte ein spannendes Abenteuer mit schaurigen Schauplätzen. Tod in Neverland besticht durch eine selten gelesene Kraft und Eindringlichkeit, setzt nicht auf subtilen Horror, sondern schleicht sich mit düsteren aufwühlenden Bildern in die Gedanken der Leser. Autor und Roman bereichern die Horror-Szene ungemein. Ein würdiger Nachfolger von Howard Philip Lovecraft und Edgar Allan Poe.