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Serie/Reihe: Tim und Struppi - Band 0, 1
Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Hergès Tim und Struppi ist ganz ohne Zweifel eine der wichtigsten Comicreihen im Franko-Belgischen-Stil. Manche Experten sehen sogar in der Reihe Tim und Struppi den Grundstein dieser Stilrichtung. Mehr noch: Tim im Land der Sowjets ist einer der ersten Modernen Comics überhaupt und damit ist die Integration von Sprechblasen in das Bild gemeint. Das von gab es nur Bildergeschichten, also Sequenzen von Bildern mit einem erläuternden Text darunter. Tatsächlich war mit einem Erscheinungsdatum von 1929 weit vor vielen anderen Vorreitern. Der moderne Comic wurde erst in den 1930ern definiert. Es mag verwundern, denn eigentlich ist das noch nicht so lange her und Comics, auch Mangas, sind heute sehr etabliert und es fällt schwer zu glauben, dass es von vor nur ein paar Jahrzehnten nicht so gewesen sein soll.
Die Geschichten an sich sind Zeichen der Zeit, in der sie entstanden sind. Tim im Land der Sowjets ist eine aus heutiger Sicht sehr unkorrekte Geschichte. Es steckt viel infundierte Kritik über das Regime in Russland darin und dies war auch der Grund, warum es lange dauerte, bis dieser historisch so wichtige Comic neu veröffentlich wurde. Tim und Struppi sahen damals noch anders aus und insgesamt war alles einfacher gezeichnet - man merkt die Auslegung auf die Veröffentlichung in Zeitungen. Hergé hat dieses Werk lange als eine Art Jugendsünde ignoriert, dabei ist die Geschichte durchaus nicht schlecht. Es gibt zwar keinen wirklichen Handlungsfaden, aber dafür war die Handlung fortlaufend, was damals für das Medium sehr fortschrittlich, wenn nicht sogar wegweisend war. Und es ist natürlich auch interessant zu sehen, wo die Wurzeln des Zeichners liegen.
Im Gegensatz dazu wirkt „Tim im Kongo“ viel besser ausgearbeitet und alles ist feiner gezeichnet. Das liegt aber auch daran, dass die vorliegende Fassung jene aus dem Jahre 1946 ist. Leider gibt es in der Ausgabe keinen sekundärliterarischen Teil, wie es sonst bei solchen Werksausgaben üblich ist, denn mich hätte wirklich ein Vergleich zwischen der ersten Fassung und der heute gültigen Fassung interessiert.
Inhaltlich, das kann man nachlesen, hat sich jedoch nicht viel geändert. Die Geschichte wirkt inhaltlich runder das das Abenteuer in Russland und es gibt einen klarer erkennbaren roten Faden. Jedoch ist auch diese Geschichte geprägt von der damaligen Sicht der Welt. Kongo, damals noch eine belgische Kolonie, wird sehr rückständig und verzerrt dargestellt. Auch die Art und Weise, wie Tim sich in dem Land benimmt ist mehr als zweifelshaft. Zum Bespiel erschießt er einen Affen, häuftet diesen und nimmt den Pelz um sich unter den andere Affen ungestört bewegen zu können, später tötet er einen Elefanten und nimmt ganz selbstverständlich die Stoßzähne mit und über die Darstellung der Afrikaner braucht man gar nicht zu reden. Der Comic ist nicht unumstritten. Hergé wurden rassistische, kolonialistische und gewaltverherrlichende Darstellungen vorgeworfen, doch dieser zeigt nicht viel Reue. In den zwei Überarbeitungen wurde nicht viel geändert. In dieser endgültigen Fassung aus dem Jahre 1974 (die erste Fassung 1930, Farbfassung 1946) wurde zumindest die Szene entfernt, in der Tim ein Nashorn mit Dynamit sprengt.
Aber das sollte man alles nicht zu eng sehen und man kann Hergé nicht die damals übliche Weltsicht vorwerfen. Einen Grund, den Comic zu ändern, die wie das heute in vielen Büchern gemacht wird, sehe ich nicht. Die beiden Comics sind Zeitdokumente und sollten in dieser Form erhalten bleiben. Man fängt ja auch nicht an, Wilhelm Buschs Bildergeschichten zu zensieren. Auch dieses, „Oh Gott, man kann Kinder so was nicht geben“, finde ich maßlos übertrieben. Ich bin mit den aus heutiger Sicht inkorrekten Comics von Hergé und den Bildergeschichten von Wilhelm Busch aufgewachsen. Ich habe es geliebt und mir bei den umstritten Szenen nicht so viel gedacht, sondern mich eher von den fremdartigen Geschichten faszinieren lassen. Wenn man diese heutige, recht engstirnige Sicht ablegt, findet man auch das, was den Erfolg von Tim und Struppi immer schon ausgemacht hat: Die Comics haben Herz und Tim und Struppi sind liebenswerte Charaktere. Vielleicht sind es auch Struppis ständige Kommentare zum Geschehen, die die Geschichten von Beginn an (also auch bereits bei Tim im Lande der Sowjets) untermauerten. Und dann ist da Hergés klarer und prägnanter Stil und die eigenwilligen, teilweise absurden Abenteuer, die ganze Generationen fasziniert haben. Die Kolorierung bei Tim im Kongo ist dezent und passend, wie man es von Tim und Struppi Abenteuern her kennt.
Die Gesamtausgabe von Tim und Struppi lässt mich ein bisschen zwiespältig zurück. Zum einen hätte ich mir gerade in diesem Band einen Teil über die Entstehung der Geschichte und einen Vergleich zwischen der Schwarzweiß und der Farbfassung gewünscht. Auf der anderen Seite ist die Ausgabe mit dem festen Einband mit 16,90 € pro Band sehr günstig und gibt Fans der Serie die Möglichkeit, eine Komplettausgabe für insgesamt 135 € zu erwerben. Dafür werden aber die Comics im Vergleich zu den Alben etwas verkleinert wiedergegeben. Außerdem wird der Band „Tim und der Haifischsee“ nicht enthalten sein, da es sich hierbei um die Comicfassung des Zeichentrickfilms handelte.
Fazit:
Tim und Struppi zu bewerten ist etwa so als ob man eine Kritik zu einem Werk von Schiller oder Goethe schreiben will. Nach all den Jahren haben die Geschichten von Tim und Struppi nichts von ihrer Faszination verloren. In den ersten Bänden sind die Geschichten manchmal etwas angestaubt und nicht mehr ganz dem Zeitgeist gerecht, aber lesenswert sind sie alle Male, vor allem, wenn an sich mit den Ursprüngen der Comics beschäftigen will.