Reihe: The Sanctuary, 1. Band Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Thomas Cale ist ein Junge von vierzehn Jahren. Er kann sich an nichts anderes erinnern als an die Anwesenheit in diesem Kloster der Erlösermönche. Thomas kennt weder seinen richtigen Namen noch seine wahren Eltern. Seine Heimat ist der trostlose Ort, bekannt als Ordensburg des Erlöserordens. Es ist ein Ort, an dem die Gewalt und die Unterdrückung des Schwächeren an der Tagesordnung sind. Die jungen Novizen werden bereits als Kleinkind ins Kloster gebracht. Ab diesem Zeitpunkt geht es ihnen sehr schlecht. Die hier herrschenden Kriegermönche brechen den Willen der Kinder, was sich in jungen Jahren natürlich einfacher gestaltet als mit zunehmendem Alter. Jahre strenger Zucht, Gewalt und Entbehrungen stehen den Kindern bevor. Die Regeln sind rigoros, und wer sich nicht daran hält, wird schon wegen der kleinsten Vergehen grausam bestraft. Viele Kinder sterben in dieser Zeit und werden auf dem großen Friedhof zur letzten Ruhe gebettet: gestorben an Auszehrung, Hunger und ständigen Misshandlungen. Nur die Stärksten überleben das gnadenlose Auswahlprogramm. Thomas gewöhnte sich mittlerweile an seinen stetigen Hunger, die Ungerechtigkeiten und Züchtigungen. Er gehört zu den wenigen Jungen, die sich trotz allem ihren Stolz bewahren konnten. Thomas empfindet sogar sogar Freude an der stetigen Kampfausbildung, die einen Mittelpunkt seiner Erziehung darstellt. Mit ein paar Freunden streift er durch die Ordensburg, um deren kleine und größere Geheimnisse aufzudecken. So finden sie Gänge, die scheinbar nach außen führen, und geheime Räume. Oder eine Küche, in der es Köstlichkeiten gibt, die ihnen vorenthalten werden. Doch der Ort, der sie am meisten fasziniert, ist ein prunkvoll ausgestalteter Innenhof, in dem sich leicht bekleidete Mädchen aufhalten. Wie gebannt blicken sie sich dort um.
Doch Tags drauf geschieht etwas Grausames, was Thomas Cale zum Umdenken zwingt. Als er dem Zuchtmeister eine Mitteilung des Kriegsmeisters überbringen will, entdeckt er, dass der Zuchtmeister ein perverser Sadist ist. In seinem Zimmer versteckt er zwei der teuflischen Verschwörerinnen gegen den Herren, zwei Mädchen. Der Zuchtmeister der Ordensburg schneidet eines der Mädchen auf, bei lebendigem Leib. Ein weiteres Mädchen muss der unmenschlichen Tat zusehen, ohne den Blick abwenden zu können, oder sich zu befreien. Cale fasst einen Entschluss - ohne zu wissen, aus welchem Grund -, der sein ganzes Leben verändern wird. Er tötet den Zuchtmeister, indem er ihm ein Messer in die Oberschenkelarterie stößt, sodass dieser langsam verblutet. Und das Wichtigste, er befreit das Mädchen. Mit Cales Freunden Vague Henri und Kleist gelingt den beiden die Flucht aus der Ordensburg. Von nun an sind die vier Jugendlichen Freiwild. Denn die Leitung der Ordensburg kann solch eine Missachtung der Regeln und den Tod eines Ordensbruders nicht ungesühnt lassen. Sie müssen sich in einer ihnen unbekannten Welt bewähren, finden jedoch eine freundliche Aufnahme in der Metropole Memphis bei einigen wohlwollenden Menschen. Die Menschen sehen in den Jugendlichen ihre Chance, die Erlösermönche auszuschalten. Thomas erkennt für sich, dass er anders als die anderen ist, was nicht nur an seiner Erziehung liegt, sondern an den Gaben, die in ihm schlummern.
Der in Großbritannien mit viel Vorschusslorbeeren beworbene Roman Paul Hoffmans zieht die Leser mit seiner klaren Sprache sofort in seinen Bann. Er ist der Beginn einer Fantasy-Trilogie. In ihr wird eine Welt beschrieben, die für den Leser fremd und düster und mit schrecklichen Geheimnissen versehen ist. So in etwa, wie man sich gemeinhin das dunkle Mittelalter vorstellt. Damit trifft die Beschreibung auch recht gut eine abwechslungsreiche Welt. Die fast klischeehafte Beschreibung einer mittelalterlich erscheinenden Kirche und des damit verbundenen Kriegerordens, erschließt sich vor allem dann, wenn man mein E-mail-Interview mit ihm liest. Die Geschichte der Jugendlichen ist aber auch gleichzeitig die Geschichte einer Entwicklung vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Die Personen sind in den Beschreibungen sehr gut getroffen. Lebensecht, wie man zu sagen pflegt, denn als Leser kann man sie sich sehr gut vorstellen als Jugendliche von nebenan. Ohne Schwierigkeiten kann der Leser sich in die Personen der Kinder hineinversetzen. Er lernt, die Welt durch deren Augen zu sehen, lernt eine totalitäre und menschenverachtende Gewaltherrschaft von religiösen Fundamentalisten kennen. Gewalt ist an der Tagesordnung und Paul Hoffman versteht es, diese zu beschreiben, ohne sie zu verherrlichen. Der erste Teil des Buches ist überwältigend. Im zweiten Teil verliert sich diese Stimmung und geht in eine "gewöhnliche" Geschichte über.
Einige Szenen sind ausgesprochen plastisch und lebendig geschrieben, aber das reicht nicht aus, um wirklich Eindruck zu hinterlassen. Der zweigeteilte Roman - auf der einen Seite die düstere Ordensburg, auf der anderen Seite das intrigante Memphis - hinterlässt beim Leser genau diesen zwiespältigen Eindruck. Das ist gut so, wie es ist, denn neben einer fesselnden Erzählung bleibt vor allem die Frage, in welche Richtung sich Cale entwickeln wird. Dennoch lässt sich der Roman sehr gut lesen, doch bleiben viele Fragen offen, die erst in den nächsten beiden Teilen erklärt werden. Allzuoft bleibt es allerdings bei Andeutungen in dieser Geschichte. Und warum ist Thomas Cale die linke Hand Gottes?
Eine spannende Geschichte mit faszinierenden Charakteren. Ein gut nachvollziehbarer und immer wieder überraschender Roman, der sich langsam entwickelt, wie auch die handelnden Personen.