Serie: The Boys, Band 3 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Garth Ennis' bitterböse Abrechnung mit Strumpfhosen tragendem Superhelden-Gesocks geht in die dritte Runde. Das vorliegende Tradepaperback enthält die beiden Story-Arcs „Good For The Soul“ (#15 - 18) sowie „I Tell You No Lie G.I.“ (#19 - 22), Letzteres etwas spröde übersetzt mit „Stunde der Wahrheit“.
Im Vergleich zu den bisherigen Bänden ist „Streicheleinheiten“ dialoglastiger, und zwar so dialog- bzw. textlastig, dass eine über Allgemeinplätze hinausgehende Inhaltsangabe angesichts der Fülle an Informationen erstens ein so langatmiges und zweitens ein so spannungszerstörendes Unterfangen wäre, dass ich darauf verzichte und stattdessen nur grob die Handlung umreiße.
Hughie „Wee“ Campbell, der sensible Neuling der Boys, knüpft zarte Bande mit Annie January aka Starlight von den Seven, einer der Superheldengruppen, die ganz dick im Geschäft sind und sich ihren Status haben vergolden lassen. Aber auch andere Mitglieder der Boys, Mother's Milk, Frenchman und Weibchen, dürfen sich zunächst einmal von ihrer gefühlsbetonten Seite zeigen und unter Beweis stellen, dass unter den rauen Schalen mehr oder weniger weiche Kerne schlummern.
Mit Annie läuft es zwar ganz gut, aber dann taucht ein neues Problem am Horizont auf: Blarney Cock, das von ihm getötete Mitglied der Teenage Kix, steht plötzlich als hirnloser Zombie mit heruntergelassenen Hosen vor Hughie und will seinen vom Neu-Boy adoptierten Hamster zurück, um ihn sich wieder in den Arsch zu schieben.
Nach diesem kleinen Intermezzo beschließt Hughie, mehr über die Vergangenheit der Boys sowie von Vought-Americans Superhelden herauszufinden, und sucht zu diesem Zwecke „The Legend“ auf, jenen ominösen alten Informanten der Boys, der in einem Keller voller Comics haust. Während Wee den unglaublichen Ausführungen des Alten lauscht, trifft Billy Butcher Homelander, den cholerischen, egozentrischen und egoistischen Führer der Seven, um einige Sachen zwischen ihnen beiden klarzustellen.
Wer wissen wollte, weshalb Superheldinnen in männlich dominierten Gruppen geduldet werden oder weshalb sich Superwesen generell lieber als Helden gerieren denn als Schurken, der muss nur bei Ennis nachschauen. Die Antworten sind so einleuchtend wie naheliegend: Die Frauen blasen ihren Kollegen einen, damit man(n) sie akzeptiert; und Held-sein ist finanziell lukrativer.
Auch wenn Ennis' Storys hin und wieder den Boden des guten Geschmacks berühren, am Zotigen haarscharf vorbeischrammen und nicht unbedingt etwas für zartbesaitete Schöngeister sind, so kommt man als Superhelden-Fan nicht an Comics wie „Preacher“, „Midnighter“ oder eben „The Boys“ vorbei, denn hier werden Fragen gestellt und beantwortet, die wir uns nie zu stellen trauten, die uns kranke Fans aber eigentlich immer umtrieben, wie bspw.: Sind Batman und Robin schwul? Treiben es Hawkman und Hawkgirl beim Fliegen?
In fast dekonstruktivistischer Manier nimmt derAutor das Comic-Genre und seine (fiktiven) Ikonen auseinander, beraubt sie auf vielerlei Weise ihrer Würde, des heroischen Nimbus und formt daraus ein neues Ganzes, etwas, das bei aller Übermenschlichkeit zutiefst menschliche Züge trägt, wobei sich diese Züge in einem Wort subsumieren lassen: Charakterschwäche!
Ennis' Helden - einschließlich der Boys - sind perverse, egozentrische, gierige, rücksichtslose, zynische und/oder psychopathische Opportunisten, in deren Reihen das zarte Pflänzchen „moralische Integrität“ zertreten wird, kaum dass es an die Oberfläche strebt.
Es wäre allerdings unangebracht, Ennis alleine die Lorbeeren ernten zu lassen, denn Darrick Robertsons trägt mit seiner erstklassigen Kunst signifikant zur Wirkung der Story bei. Sein hinsichtlich des Seitenaufbaus und der Bildkomposition eher konservatives und unspektakuläres Artwork entfaltet seine ganze Kraft in den Figuren, ihrem Posing, dem lebhaften, vielsagenden, ausdrucksstarken Mienenspiel.
Fazit: eine bitterböse, schmutzige Abrechnung mit dem US-amerikanischen Establishment, mit der Comic-Industrie und den vielen kleinen Helden-Verehrern, die regelmäßig ihr Taschengeld gierigen Ikonen-Vermarktern in den Rachen schmeißen.