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Eine Rezension von Judith Gor (Weitere Rezensionen von Judith Gor findet ihr hier auf fictionfantasy oder auf ihrer Website www.literatopia.de) |
Immer wenn es regnet, schwänzt Oberschüler Takao die ersten Schuldstunden und geht in einem Park spazieren. Dort trifft er eines Tages eine junge Frau, die Bier trinkt und Schokolade isst. Takao setzt sich zu ihr und zeichnet still an seinen Entwürfen für Schuhe, während die Frau gedankenverloren in den Regen schaut. Er träumt davon, Schuhmacher zu werden, doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Irgendwann kommt Takao mit der Frau ins Gespräch, die ein seltsames Gedicht zitiert, dessen Sinn er zunächst nicht versteht. Doch das Eis ist gebrochen und als die Regenzeit anbricht, treffen sich die beiden regelmäßig im Park und sitzen einfach zusammen. Manchmal teilen sie auch ihr Essen und Takao fasst sich bald ein Herz und erzählt der geheimnisvollen Frau von seinem Traum. Da ahnt er noch nicht, wer sie ist …
The Garden of Words ist ein sehr stiller und poetischer Anime, der auf die Wirkung seiner atemberaubenden Bilder setzt und mit relativ wenigen Dialogen auskommt. Die Leben der beiden Protagonisten werden grob umrissen, die Bilder wechseln stetig, doch schon nach zehn Minuten glaubt man, Takao zu kennen. Und bald darauf auch die junge Frau, die zwölf Jahre älter als Takao ist, was zwar nicht zum großen Problem wird, aber letztlich doch ein Hindernis darstellt. Beide sind ganz normale und gleichzeitig ganz besondere Menschen, ruhig und in sich gekehrt. Sie können zusammen schweigen und sich an ihrer gegenseitigen Anwesenheit erfreuen – und sie lieben beide Regentage. So schön, wie diese in diesem Film gezeigt werden, kann man diese Liebe auch nachvollziehen, denn meist fällt nur leichter Regen, der alles in ein unwirkliches Licht taucht. Wie in einem Traum.
Es ist erstaunlich, wie viel man in gerade einmal 47 Minuten über die Protagonisten erfährt und so fühlt sich das Ende des Films wie ein Verlust an. Gerne hätte man die beiden weiter begleitet, beobachtet, wie sie neuen Mut fassen und wieder versuchen, ihre Träume zu verwirklichen. Denn am Anfang ist Takao sehr unsicher und hält nicht viel von seinen Schuhentwürfen. Und die junge Frau scheint ihr Leben komplett an die Wand gefahren zu haben. Doch dadurch, dass sich die beiden begegnen, retten sie sich gegenseitig. Dass der Film genau dann abbricht, als die beiden ihre eigene kleine Welt verlassen und etwas Reales entstehen lassen, ist wahnsinnig schade, verstärkt aber die Magie dieser Geschichte. Wenn man mit einem offenen Ende leben kann, kann man sich in diese leisen Töne richtig verlieben.
Da im Regen die symbolische Kraft von The Garden of Words liegt, wird Wasser natürlich besonders schön dargestellt. Während der wolkenverhangene Himmel leicht an ein Aquarell erinnert, sind die Tropfen, die ins Wasser des kleinen Sees im Park fallen, gestochen scharf. Über nasse Flächen laufen realistische Spiegelungen und das warme Zwielicht im Regen erzeugt eine verzauberte Atmosphäre. Doch auch die Pflanzen im Park, die ganzen Blumen und verschiedenste Bäume wurden mit viel Liebe zum Detail gezeichnet, ebenso wie die eng bebauten Wohngebiete. Die Figuren selbst sehen realistisch aus, ähnlich wie in Ame & Yuki – Die Wolfskinder, sprich es gibt keine ausgeflippten, bunten Frisuren und keine ausgefallene Kleidung. Selbst die Schuhe, die Takao zeichnet, sind schlichtweg normal. Er ist kein exzentrischer Designer, sondern hat einfach Freude daran, Schuhe zu machen. Hervorzuheben ist außerdem die melancholische (Klavier-)Musik, die die nachdenklichen Szenen stimmungsvoll untermalt.
Zu den insgesamt 107 Minuten Bonusmaterial gehört neben Interviews, dem Trailer und einem animierten Storyboard (das sehr skizzenhaft daherkommt) noch ein Kurzfilm von Makoto Shinkai mit dem Titel Proud Future Theater. Hier wechseln Filmsequenzen mit Standbildern, während eine weibliche Stimme die Geschichte von A-Chan erzählt. Diese ist in einer (wohl nahen) utopischen Zukunft angesiedelt, wo Technik das Leben vereinfacht und die Großstadt so grün wie nie wirkt. A-Chan hat sich von ihrem Vater entfernt und steht nun auf eigenen Beinen. Dabei gab es keinen Streit, doch A-Chan ist nun einmal erwachsen geworden und hat nun keine Lust mehr, mit ihrem Vater zu essen. Als jedoch ihre Katze Mi-Chan stirbt, die beim Vater gelebt hat, erkennt A-Chan, dass sie wichtige Personen in ihrem Leben sehr vernachlässigt hat. Auch wenn der Film sehr kurz ist, transportiert er eine schöne Botschaft. Leider wurde er nicht synchronisiert, sondern nur untertitelt.
Fazit
The Garden of Words ist eine herrlich verträumte und poetische Geschichte über zwei Menschen, die sich beinahe ohne Worte näherkommen und dabei ihre eigene Welt erschaffen. Doch so wie die Regenzeit irgendwann endet, endet auch der Traum und die Protagonisten müssen sich der Realität stellen. Wundervolle Animationen, die zwischen gestochen scharfen Regentropfen und warmem Zwielicht changieren, schaffen eine verzauberte Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann. Ein nachdenklicher Film für verregnete Herbsttage oder kalte Winterabende! 9 von 10 Punkten.