| Titel: Tage auf Meridian (1994) Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Am Anfang von Eric Browns Roman-Erstling Tage auf Meridian sitzt Bob Benedict auf der Veranda seines Hauses und erinnert sich an die tragische Geschichte, die er im Folgenden erzählen wird: wie er Fire Trevellion kennen lernte und wieder verlor.
Benedict war Raumschiffpilot, bis bei einem Unfall durch sein Verschulden einhundert Passagiere starben. Seit einem Jahr nun lebt er auf einer kleinen Insel des Planeten Meridian, vereinsamt immer mehr und versinkt im Drogenrausch, um nicht jede Nacht von Alpträumen heimgesucht zu werden. Bobs Nachbar, der Biologe Abe Cunningham, versucht ihn aus seinem Schneckenhaus herauszulocken und überredet ihn, am folgenden Abend zusammen eine Party samt Filmvorführung der bekannten Künstlerin Tamara Trevellion zu besuchen. Zuvor fliegen beide aber noch aufs Festland in die Wüste, um dort eine von Abes Tierfallen zu entleeren (Bob will bei diesem Ausflug heimlich "Frost-Blumen" pflücken, aus denen seine Droge gewonnen wird).
Am Zielort erwartet die beiden ein grausiger Anblick: Ein Sandlöwe, ein riesiges einheimisches Raubtier, verschlingt gerade einen menschlichen Körper, von dem Bob nur noch einen Uniformfetzen der "Telemasse-Gesellschaft" retten kann. In der Zukunft von Tage auf Meridian reisen die Menschen per Transmitter - oder "Telemasse-Stationen" - von Stern zu Stern. Gerade jetzt kursieren allenthalben Gerüchte, die Erde wolle den kostspieligen Telemasse-Verkehr mit Meridian einschränken, da der dünnbesiedelte Kolonialplanet ökonomisch für die Erde ohne Bedeutung ist. Das hätte für die Meridianer allerdings einschneidende Konsequenzen, da ihre Welt im Wesentlichen eine Künstlerkolonie ist und keine eigene Landwirtschaft besitzt.
Am Abend treffen anlässlich der Künstlerparty sämtliche wichtigen Handlungsträger des Romans zusammen. Außer Bob und Abe sind das Direktor Rolfe Steiner von der Telemasse-Gesellschaft - mitsamt seinem neuen "technischen Berater" Guy Weller; der Polizeichef des Planeten, Douglas Foulds; die herrschsüchtige Gastgeberin, Tamara Trevellion, für die die Kunst das Einzige ist, was im Leben zählt, sowie Tamaras Tochter Fire, eine verschüchterte, zarte Zwanzigjährige, auf die neben Bobs Hormonen auch seine ritterlichen Gefühle sofort reagieren; denn Fire wird von ihrer Mutter behandelt wie die geringste ihrer Bediensteten. Bob verstrickt sich zunehmend in ein Geflecht aus Familienkrieg und interstellarer Politik, in dem er schnell den Durchblick verliert ...
Interviewer: Your first novel, "Meridian Days" shows the influence of [Michael] Coney very plainly.
Eric Brown: It certainly does: a colony planet, coastal setting, love interest, mystery and intrigue, artists ... It was also influenced by Ballard's "Vermilion Sands", the enclosed micro-cosmic world of an artists' colony. But it was an early work.
Diese Passage aus einem Interview (das in InfinityPlus erschien - und das ich noch mehrfach bemühen werde) fasst im Wesentlichen zusammen, was den Leser in Tage auf Meridian erwartet. In dem Interview bennennt Brown im Übrigen einige Aspekte, die er als Autor grundsätzlich im Auge behält (ich erspare mir einfachheitshalber hier wörtliche Zitate):
1. Auf sauberes Handwerk achten, einen prätenziösen Schreibstil vermeiden.
2. Langweile den Leser nicht, sondern erzähl eine gute Geschichte.
3. Die Charaktere müssen den Leser ansprechen.
4. An Wissenschaft und Technologie interessiert nur, welche Auswirkungen sie auf die Menschen haben.
Einigen dieser Forderungen kann Brown in seinem Erstlingswerk gerecht werden. Das Buch ist ungemein lesbar und in einfacher Sprache geschrieben. Die Handlung beschränkt sich auf wenige wichtige Personen, wenige Schauplätze und einen überschaubaren Zeitraum (von ein bis zwei Wochen). Techno-Blabla bleibt dem Leser erspart; in diesem Buch geht es um wirtschaftliches Kosten-Nutzen-Denken und seelische Abgründe, nicht darum, wie genau Transmitter funktionieren.
Leider weist Tage auf Meridian mehrere Schwachstellen auf. Brown ist sich dessen offenbar bewusst und spricht wohl deshalb entschuldigend von "an early work." Probleme bekommt der Roman vor allem auf zwei Ebenen: der Story und bei der Charakterisierung. In der Handlung der Geschichte klaffen große logische Lücken. Dass etwa Bob und Abe genau dort in der Wüste landen, wo gerade eine Leiche herumliegt, ist schon unglaubwürdig. Dass ihnen auch noch am selben Abend rein zufällig alle Tatverdächtigen über den Weg laufen ist lachhaft. In diesem Buch wird der Leser bis zum Ende nicht in die genauen Zusammenhänge eingeweiht, und zwar höchstwahrscheinlich deshalb, weil Eric Brown sie selbst nicht kennt. Kurz vor Schluss heißt es (auf Seite 225): "Dann schüttete mir Fire ihr Herz aus, und dadurch wurden für mich die Ereignisse der vergangenen Woche klar verständlich." Leider erzählt sie uns Lesern nichts, sondern lässt uns weiter im Dunkeln tappen.
Wer als Autor Sätze wie den eben zitierten schreibt, hat seine Prioritäten offensichtlich anders gesetzt. Tatsächlich liegt Browns Hauptaugenmerk bei seinem Protagonisten Bob Benedict sowie der Kunst:
Interviewerin: Your characters, certainly in your early novels and short stories, were despairing souls. (...) They found redemption [Erlösung] either through love, or (...) via their art.
Eric Brown: I think that's true ...
Tage auf Meridian spielt hauptsächlich auf einem Archipel, 'wo jeder Mensch eine Insel ist'. Konkreter ausgedrückt: Alle wichtigen Charaktere sind existenziell einsam, leben gänzlich allein ('one man = one island') oder zumindest in keiner befriedigenden Beziehung. Ansonsten erfährt man wenig über sie. Bobs Werben um Fire wirkt auf den Leser wie die Suche nach Erlösung von der Sinnlosigkeit des Lebens. Der egomanischen Künstlerin Tamara Trevellion steht dieser Ausweg nicht offen. Für sie zählt nur die Kunst. Ihre Person stellt den einzigen Fall dar, wo Eric Brown der Technologie eine wichtige Rolle zuweist. Trevellion lässt sich genetisch-chirurgisch buchstäblich in einen 'kalten Fisch' umwandeln und demonstriert damit das Ausmaß ihres Selbsthasses.
Es ist fast ausschließlich die Feindschaft zwischen Bob und der Künstlerin, die für Spannung sorgt. Die Charaktere der zwei Menschen sind es eigentlich nicht. Dafür ist Bob zu sehr der verzweifelte Süchtige und die Trevellion die wahnsinnige Künstlerin (mit Anleihen beim 'mad scientist'). Brown verschenkt das Thema Kunst an simple Horroreffekte. Wo in J.G. Ballards Vermilion-Sands-Erzählungen zumindest gelegentlich eine morbide oder dekadente Atmosphäre reizvoll wirkt, sind die meisten Künstlerfiguren bei Brown einfach nur dämlich.
Bei allem, was ich an diesem Buch zu monieren hatte, war Tage auf Meridian immerhin eine kurzweilige Lektüre mit einem 'Helden', dem des Autors Sinn für Realität sehr enge Grenzen setzte. Außerdem sind mir Browns o.a. Maximen sehr sympathisch, und wer Michael Coneys (bessere) Romane zu schätzen weiß, verdient auf jeden Fall eine zweite Chance. Darum habe ich mir gleich Eric Browns zweiten Roman (Das Nada-Kontinuum) besorgt, der im selben Universum angesiedelt ist.