Reihe: Star Trek: The Next Generation, Band 6 Eine Besprechung / Rezension von turon47 |
Story : Der von den Borg aufgewirbelte Staub hat sich inzwischen gelegt und nun ist es für die angeschlagene Föderation an der Zeit, sich die Wunden zu lecken.
Zahlreiche Welten liegen in Trümmern, Flüchtlingen vegetieren zusammengedrängt auf engstem Raum und die Milliarden Opfer hinterlassen Billionen trauernde, traumatisierte und verstörte Angehörige.
Zu ihnen gehört auch Jasminder Choudhury, deren Familie auf Deneva den Tod fand. Ihre kürzlich begonnene Liaison mit Worf , dem ersten Offizier der USS Enterprise NCC-1701-E , leidet schnell darunter und mehr und mehr zieht sich die stets so ausgeglichene Sicherheitschefin in ihr Schneckenhaus zurück. Selbst als ihr Schiff einen Transporter ausmachen kann, der Flüchtlinge ihrer Heimatwelt beherbergt, trägt dies nicht sonderlich zur Aufhellung ihrer Stimmung bei, denn Choudhury ist sich nur zu gut bewusst, was sich in den letzten Stunden ihrer Familie und ihrer Heimatregion zugetragen hat.
Derweil verbringen Kadohata und die schwangere Beverly Crusher etwas gemeinsame Zeit auf dem malerischen Meeresplaneten Pacifica . Doch nicht die Traumstrände locken die beiden Frauen, sondern die prekäre humanitäre (bzw. ‚spezitäre')Lage in den Flüchtlingscamps des Planeten, die von den Einheimischen als Ärgernis empfunden wird. Zusammengepfercht, unterversorgt und von einem grassierenden Krankheitserreger bedroht eskaliert die Lage mehr und mehr, bis sich Beverly in ihrer Not an ihren Mann wenden muss und sich Kadohata mit einer Waffe in der Hand zwischen den Fronten der einheimischen Sicherheitskräfte und eines wütenden Mobs aufgebrachter Lagerinsassen wiederfindet…
Lobenswerte Aspekte : Eine Frage schwebte unheilvoll über meinem Schädel, während ich dieses Buch förmlich verschlang:
Bin ich vielleicht eine Frau?
Die Umstände legen es nahe!
Selten, um genau zu sein nie hat mich ein Buch so berührt wie dieses. Vielleicht liegt es nur daran, dass das Thema Tod mich ohnehin gerade im Besonderen beschäftigt oder dass Schlaf in den letzten paar Wochen Mangelware für mich war, doch dieser Science-Fiction-Roman hat es tatsächlich geschafft, mich auf emotionaler Ebene zu berühren.
Als Mann gebe ich so etwas natürlich ungern zu, aber wenn man zuvor David Macks Destiny-Trilogie gelesen hat und weiß, mit welcher Wucht der Borg-Einfall den Alpha - und Beta-Quadranten erwischte, wird man sich nur schwer dem menschlichen und außerirdischen Leid entziehen können, dass hier so schonungslos wie nie zuvor präsentiert wird.
So bekam selbst ich, der ich (selbstverständlich zu Unrecht) zuweilen als Macho verschrien bin, hin und wieder feuchte Augen und fühlte mich wie ein Voyeur, der sich an dem Leid anderer Leute ergötzt. Des Öfteren nickte ich vom Mitgefühl gepackt mit dem Kopf, wenn das traditionelle Star-Trek-Motiv „ Tod und Krieg sind immer sinnlos “ zur vollen Blüte reifte und soviel sei bemerkt: das war ziemlich oft (jedoch nicht unerträglich oft) der Fall.
Dienlich ist dies vor allem den Figuren, denn so erhält ein jeder von ihnen ausreichend Platz zur freien Entfaltung. „Den Frieden verlieren“ ist ein Charakterroman der angefangen bei Jasminder Choudhury, Miranda Kadohata oder T'Ryssa Chen selbst alte Hasen wie Jean-Luc Picard , Geordi La Forge oder Beverly Crusher zugute kommt.
In diesem Zusammenhang sind besonders die Rückblenden von besonderem Interesse, denn sie leuchten nicht nur weiße Flecken auf der biografischen Landkarte einiger Figuren aus, sondern schaffen den Balanceakt, die Motive und Entwicklungskurven der einzelnen Personen zu erklären (vgl. S. 17, S. 105 oder S. 15ff.).
Bei all der Trauer gibt es aber auch einen Silberstreif am Horizont für all jene, die nicht unbedingt Freunde der bedrückten Stimmung sind. Tatsächlich gelingt es dem Autor William Leisner eindrucksvoll, den von Mack eher vernachlässigten Charakter T'Ryssa Chen zu entstauben und zu einem kongenialen Crewmitglied zurechtzubiegen, dass ein wenig Pepp in die ernste Angelegenheit zu streuen vermag (vgl. z.B. S. 62, S. 118ff. oder S. 201ff.).
Vor allem dieser Chen betreffende Satz von Seite 300 hat es mir wirklich angetan:
„ „Hier haben Sie ihre Autorisierung“, fauchte sie und bedachte ihn mit einer Handgeste, die ein vulkanischer Gruß hätte sein können, wenn dazu nicht drei Finger gefehlt hätten. “
Interessant daran ist allerdings nicht nur das Gleichnis, sondern vor allem die abweichende Rezeption, mit der Vulkanier hier auf ein gängiges Erdensymbol blicken.
Denn um ehrlich zu sein dreht sich bei Star Trek das gesamte Universum viel zu oft um die Menschheit und es ist in dieser Hinsicht erfrischend, einmal andere Perspektiven zu erfahren. So ist neben dem Vergleich irdischer und vulkanischer Gestik vor allem die Rezeption des irdischen Mittelalters durch Betazoiden (vgl. S. 149) und die Entsexualisierung des risanischen Jamaharon durch eine Einheimische (vgl. S. 11f.) wahrhaft wohltuend.
Besondere Bedeutung kommt Leisners Roman allerdings dadurch zu, dass es einen Neuanfang markiert, denn abgesehen davon, dass dieses Buch eines von dreien ist, in dem zeitgleich der Typhon-Pakt das erste Mal angesprochen wird (vgl. S. 316ff.), markiert es den Startpunkt für wirklich neue Abenteuer.
Die Borg sind tot, die anderen Mächte verbünden sich um einen Gegenpol zur Föderation zu bilden und die eigene Organisation ist in ihren Grundfestene erschüttert. Das allein macht es schon spannend, doch Leisner gelingt das Kunststück, die Crew endlich zusammenwachsen zu lassen. Wie sagt Picard auf Seite 279 so schon programmatisch?
„ Ich glaube, dieses neue Team beginnt endlich, zusammenzufinden. “
Und nicht nur dass! Die neue Zusammenarbeit mündet in einer Katharsis, die in einem direkten Gegensatz zur hier ebenfalls angesprochenen (und völlig deplatzierten) Meuterei in Peter Davids „ Heldentod “ (vgl. S. 56 und S. 176) steht und eine neue Ära der Enterprise einläutet. Besonders die antithetisch zu verstehende Weigerung Worfs, seinem Captain erneut das Kommando zu entziehen bietet durch seine Lösung hoffnungsvollere Ansätze für kommende Romane (vgl. S. 28ff.). Eine neue Crew hat sich endlich zusammengerauft, arbeitet Hand in Hand und bringt dem verdientesten Schiff der Flotte eine Reputation zurück, die einige von Leisners Vorgängern für fragwürdige Entwicklungen (Zauberborg, Meutereien oder Liebesschnulzen) aufs Spiel gesetzt haben. Die neue Mannschaft wird zwar Data , Riker oder Troi niemals das Wasser reichen können, verfügt aber über genügend Potenzial, um eine eigene Geschichte zu schreiben.
Kritikwürdige Aspekte : Wer in diesem auf Destiny unmittelbar aufbauendem Werk eine spannende Handlung sucht, muss unweigerlich enttäuscht werden. Das Actionfeuerwerk, die Raumschlachten und Phasergefechte der drei Vorgänger bleiben dieses Mal aus und die Geschichte ist zwar nachvollziehbar, aber beim besten Willen kein Kracher.
Das kann auch gar nicht der Anspruch dieses Buches sein, denn wie David Mack in seinen Schlussworten in „Götter der Nacht“ bereits zu Recht anmerkte, oblag es Personen wie Kirsten Beyer , die von seinem Vorgänger verursachten Scherben zusammenzukehren. Leisner hat ihr in diesem Gleichnis wohl den Müllbeutel gehalten.
Gerade im Hinblick auf diesen Umstand wäre allerdings ein weiterer begleitender Essay, der der Einordnung der beschriebenen Ereignisse gedient hätte, äußerst hilfreich gewesen.
Was für eine Situation herrscht in der Föderation? Ist dies ein Präzedenzfall in der Geschichte der Sternenflotte ? Wie verhält es sich mit dem Typhon-Pakt?
Gerade letztere Frage bietet die Möglichkeit, das Buch mit zwei anderen Werken zu vergleichen: „ Einzelschicksale “ und den fünften Titan-Band „ Stürmische See “ (ein drittes Buch, „ Full Circle “ von Kirsten Beyer, in dem es um den Fortgang der Ereignisse für die Voyager geht, ist bislang noch nicht in deutscher Sprache erschienen).
Während Titan dabei etwas außer Konkurrenz läuft, verdichtet sich relativ schnell den Eindruck, dass „Einzelschicksale“ eher auf die politischen Auswirkungen fixiert ist, während „Den Frieden verlieren“ die Aufgabe hat, die Ereignisse von der menschlichen, oder besser emotionalen Seite zu betrachten. Ein Indiz für diese These wäre, dass sich Hinweise auf „Einzelschicksale“ erst gegen Ende dieses Buches bemerkbar machen (vgl. 315ff.)
Einen weiteren Kritikpunkt wert sind die Abspaltungstendenzen verschiedener Föderationswelten wie sie in diesem Buch besprochen werden (vgl. S. 247ff. oder S. 317f.).
Nachdem bereits eine Vielzahl der Planeten, die man aus Filmen und Serien kannte, durch den Borg-Einfall in Destiny zerstört wurde, droht der Föderation nun Ungemach, weil verschiedene Welten mit dem Gedanken spielen, den Verein zu verlassen. Damit gehen die Star-Trek-Autoren das Risiko ein, das dem Zuschauer vertraute Bild des Star-Trek-Universums so weit zu entfremden, dass es seinen Wiedererkennungswert irgendwann verliert.
Überhaupt wirkt diese Entwicklung nicht allzu glaubwürdig. Heruntergebrochen auf die jüngeren Ereignisse der Erdengeschichte muss man doch festhalten, dass sich das Saarland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht an Frankreich anschloss oder Louisiana trotz Katrina noch immer zu den USA gehört. Es passt schlichtweg nicht, dass in einer Zukunft, in der die Menschheit nach Weiterentwicklung strebt, seine Wurzeln derartig verneint und zu solcher Illoyalität neigt.
Befremdlich wirkte außerdem der Vergleich des capellanischen Admirals Leonard James Akaar , im Zuge dessen Picard unterstellt wurde, der Kirk dieses Jahrhunderts zu sein (vgl. S. 313f.).
Ich denke, dass wohl nichts in diesem (Star-Trek-) Universum so unzutreffend sein könnte, wie diese sehr weit hergeholte Behauptung. Die Unterschiede zwischen beiden Charakteren ist immerhin ein zentraler Kern TNGs und für viele der Grund, der Serie bis heute treu zu sein.
In „ The Staircase Implementation “, einer Folge der „ Big Bang Theory “ erfasst es Leonard Hofstadte r wohl am besten, als er die schwierige Frage wiefolgt beantwortet:
„ Original series over next generation, but Picard over Kirk. “
Übersetzung : An dieser Stelle soll nicht noch einmal über die Verwendung von „Ensign“ (vgl. S. 30) oder „ Medikit “ (vgl. S. 153) eingegangen werden, da dies bereits zur Genüge in den Rezensionen von „ Märtyrer “ und „ Mission Gamma I: Zwielicht “ geschah. Es sei nur mahnend der Zeigefinder erhoben um anzumerken, dass sich Cross Cult mittlerweile dabei ist, sich eine Sammlung von Begriffen anzueignen, die das Potential hat, in Richtung „ Starfleet “, „ Insignienkommunikator “ oder „ Medo-Offizier “ des Heyne -Verlags gehen.
Beide Begriffe gehen an der deutschen Synchronisation zu weit vorbei.
Immer noch ungewohnt ist für mich das Duzen unter Offizieren wie Beverly Crusher und Miranda Kadohata (vgl. S. 98) oder Geordi La Forge und Worf (vgl. S. 171ff.), denn trotz allem privaten Verständnis dafür und trotz aller persönlicher Abscheu unseren Siez-Protokollen gegenüber verstößt auch dies gegen die Gewohnheiten der deutschen Synchronisationstradition, in deren Verlauf die TNG-Crew immerhin fünfzehn Jahre ohne das fraglos angenehmere wie glaubwürdigere ‚Du' auskamen.
Der Rest des Romans ist relativ frei von Fehlern, doch wie immer ist ‚relativ' sehr relativ, denn ein Satz auf Seite 252 hab ich in einer solchen Form seit dem ersten Vanguard-Band „ Der Vorbote “ nicht mehr gesehen:
„ Uns wurden nicht nur all diese Flüchtlinge aufgebürdet, und das ohne jedwede Unterstützung der Föderation, nein, gleichzeitig werden auch noch unsere Mienen und Produktionsbetriebe föderalisiert. “
Anachronismen : Es sind die kleinen Gesten, die diesen Roman so liebenswert machen. Popelige Erwähnungen in den Serien wie die " Shallash " (S. 82), das " Hermosa-Edbeben " (vgl. S. 165f.) oder " Omicron Ceti " (S. 271, der Planet, der hier für die Umsiedlung von Flüchtlingen in Erwägung gezogen wird, sollte laut " Falsche Paradiese " gar nicht bewohnbar sein) werden geschickt in den größeren Kontext eingewoben und erfreuen jene Fans, die sie erkennen und werden von jenen, die nichts damit anfangen können, nicht als störend empfunden.
Nicht halb so lang ist hingegen die Liste an
Nun gut, auch in diesem Werk mal wieder vom lieben Geld zu lesen (vgl. S. 142 oder S. 275) obwohl in Filmen wie " Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart " oder " Star Trek IIX: Der erste Kontakt " und Folgen wie " Die Karte " oder " Die neutrale Zone " dem monetären System längst eine klare Abfuhr erteilt wurde, doch eigentlich ist dass schon der schlimmste Faux-pas des äußerst detailreichen Buches.
Nur wenn man unbedingt will kann man auch noch die Herkunft Geordi La Forges aus dem somalischen Mogadischu als 'etwas bemüht' bezeichnen, denn der französische Nachname legt eher eine ehemalige französische Kolonie, Amerika oder gar Frankreich nahe. Das an sich ist aber nicht weiter tragisch, denn in ein anderes Land umzuziehen ist sogar heutzutage nicht weiter schwierig und eigentlich ist die Idee, der heute arg gebeutelten Stadt einen solchen Lichtblick zu schenken, recht angenehm.
Fazit : "Den Frieden verlieren" heißt in diesem Fall vor allem, mit alten Lesegewohnheiten zu brechen. Der Abschied vom Actionspektakel 'Destiny' fördert eine einfühlsame und anrührende Charakterzeichnung zu Tage, die einer Crew gilt, die im Verlaufe der Handlung endlich zusammenwächst und den Staffelstab aufnimmt, der bereits "Mehr als die Summe" überreicht worden ist.
Obwohl durchaus die Gefahr besteht, dass sich Star Trek in seiner Buchform in eine Richtung entwickelt, in der die Föderation kaum mehr wiederzuerkennen ist, verspricht dieser Neubeginn auch eine verheißungsvolle Zukunft, denn endlich hat eine vielseitige Mannschaft zueinander gefunden, die das Original zwar nicht ersetzen kann, aber immerhin in der Lage ist, die Abenteuer des Raumschiffes Enterprise würdig fortzusetzen.
Denkwürdige Zitate :
" Was auch immer dem Entstehen unterworfen ist, ist dem Vergehen unterworfen. Das ist eine der fundamentalen Wahrheiten dieser Existenz: Alles ist vergänglich. "
Choudhury, S. 145
" Heute ist ein guter Tag zum Leben. "
Worf, S. 214
" Ich glaube nicht, dass es in den vier jahren meiner Zeit als Botschafter auch nur eine Situation gab, in der ich mich nicht gefragt habe 'Was würde Captain Picard tun?'. "
Worf, S. 217
Bewertung : Auferstanden aus Ruinen.