Serie: Strugatzki Werksausgabe, Band 3 Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Der dritte Band der Strugatzki-Werksausgabe weist den gleichen Aufbau auf wie schon die bisher erschienen Ausgaben: Neben den Romanen gibt es einen recht umfangreichen Anhang, der zum einen Notizen von Boris Strugatzki zu den einzelnen Werken enthält und interessante Einblicke in die Arbeit des Schriftsteller-Bruderpaars gibt und zum anderen Erklärungen von Erik Simon zu den verschiedensten Passagen der Romane. Eine Bibliographie rundet wie immer das Buch ab. Thematisch bilden die Romane diesmal keine Einheit, aber es werden Werke, die unter dem Pseudonym S. Jaroslawzew veröffentlicht wurden, abgedruckt.
Schnecke am Hang
Ein geheimnisvoller Wald mit eigenartigen Sümpfen und unerklärbaren Begebenheiten hat eine ganze Armee von Wissenschaftlern angelockt. Formalwesen und Bürokratismus der Forschungsstation haben längst ein eigenes Leben entwickelt, und so beschäftigen sich die Wissenschaftler inzwischen mehr mit sich selbst als mit dem Wald. Doch auch im Wald leben Menschen, die dem täglichen Wahnsinn des grünen Ungetüms ausgesetzt sind. Während Forscher Pfeffer verzweifelt versucht, von der kafkaesken Forschungsstation zu entfliehen, und es ihm einfach nicht gelingen mag, versucht der Walddorfbewohner Kandid die STADT zu erreichen, wenngleich er auch keine Ahnung hat, wo diese liegt, noch, was er sich darunter vorzustellen hat.
Das Buch ist, obwohl hervorragend geschrieben, nur schwer verständlich. Beide Handlungsebenen scheinen keinen Bezug zueinander zu haben und auch der Schluss ergibt so recht keinen Sinn. Alles erschließt sich aber, wenn man sich vor Augen hält, dass Arkady und Boris Strugatzki die Zustände in der Sowjetunion kritisierten. Zunächst beschrieben sie 1966 mit dem Kandid-Teil des Werks die Hilflosigkeit und das Unverständnis, das die Menschen dem Moloch Sowjetunion entgegenbrachten. Es gibt keinen Weg, den man gehen kann. Überall Hindernisse und keine Versorgung. Am Ende eine Konfrontation mit etwas, das man noch nicht einmal annähernd versteht. Zu guter Letzt sind da noch die Leichenmenschen - Zombies mit einer hohen Körpertemperatur. Die Strugatzkis erklären nicht, woher sie kommen und wohin sie gehen, aber ist das mit Leuten, die sich einem System unterwerfen, nicht genau so?
Im zweiten Teil des Buchs, verfasst 1968, werden die Ereignisse um den Wissenschaftler Pfeffer erzählt. Dieser Teil wurde zwei Jahre später verfasst und diesmal richtete sich der Angriff der Strugatzkis gegen die Bürokratie. Auf surrealste Weise, die einem Franz Kafka alle Ehre gemacht hätte, wenden sich die Autoren gegen das System. Pfeffer wird zum Spielball der Mächte; er erhält reihenweise unsinnige Anweisungen und wird von Ort zu Ort gescheucht. Am Ende jedoch ergibt sich Pfeffer ebenso dem System, wie es schon Kandid gemacht hat.
Betrachtet man das ganze Buch weniger von der politischen als vielmehr von der phantastischen Seite, so ergibt die Teilung in zwei Handlungsebenen ebenfalls einen Sinn. Während Pfeffer von außen auf den Wald schaut und den Blick für das Detail verliert, ergeht es Kandid genau umgekehrt. Er erkennt sprichwörtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht und ist unfähig, die Ereignisse zu begreifen, da ihm der Blick für das Detail fehlt. Da beide Protagonisten scheitern, bleiben die Strugatzkis dem Leser die Erklärung für all die Ereignisse schuldig, doch das passt zum Wesen des Buchs.
8 von 10 Punkten.
Die Zweite Invasion der Marsmenschen
In einer fiktiven Kleinstadt erleben die Bewohner die Invasion der Marsmenschen, die kaum gewalttätig, dafür sehr subtil abläuft. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich eine Invasion und nicht etwa ein Putsch war. Dann jedoch beginnt der Handel mit Magensaft, der von den Herrschern teuer bezahlt wird. Und plötzlich sollen die Menschen blaues Getreide essen. Am Ende jedoch fügen sich die Menschen, wie sie es immer getan haben, und der Frage, was wirklich passiert ist, begegnen sie mit Ignoranz.
Mit diesem relativ kurzen Roman haben die Strugatzkis das Kleinbürgertum und die Kleingeistigkeit der Menschen kritisiert. Es ist den Menschen egal, wer sie führt, so lange sie einigermaßen in Ruhe gelassen werden und sich nicht zu vielen Änderungen stellen müssen. Es ist offensichtlich, dass hier die Mitbürger der Sowjetunion gemeint waren und dass hier klar kritisiert wird, dass sich die Menschen zu leicht mit den Umständen abfinden und sie noch nicht mal hinterfragen. Roman und Botschaft sind klar, aber abgesehen davon bietet der Roman durchaus gute, kurzweilige Unterhaltung.
7 von 10 Punkten
Die Last des Bösen
Mit diesem Roman hatte ich so meine Probleme. Es geht in sehr metaphorischer Weise um den Teufel. Der Protagonist erzählt aus den Notizen seines Mentors, womit sich eine weitere Handlungsebene ergibt. Die Erzählung aus der fiktiven Provinzstadt Taschlinsk beschreibt auf der einen Ebene den Kampf einer Jugendbewegung, die vom Regime als zersetzend angesehen wird. Auf der anderen Ebene wird aus dem Leben eines Astrophysikers erzählt, der mit Ahasver Lukitsch Bekanntschaft macht, der die Rolle des „ewigen Juden“ verkörpert und dessen Vorgesetzter der Demiurg ist, auch Satan genannt. Der Held verhilft beiden zu einer Seele und wird mit einer Entdeckung belohnt.
Das ist ein Roman, für den man sich unbedingt Zeit nehmen sollte. Durch die zwei Ebenen wird der Roman zwar interessanter, aber keineswegs einfach zu lesen, zumal die Strugatzkis auch nicht versuchen die Lektüre einfacher zu machen, sondern, ganz im Gegenteil, viel mit Metaphern arbeiten. Zum Lesen in der U-Bahn auf der Fahrt in die Arbeit ist er definitiv nicht geeignet.
6 von 10 Punkten
Ein Teufel unter den Menschen
Nachdem der ehemalige Major S. Woloschin in Tschernobyl der radioaktiven Strahlung ausgesetzt wurde, entwickelte er besondere Fähigkeiten, mit denen er begann, sich an den Menschen für all das Leid zu rächen, das er während seines Lebens erleiden musste. Der Protagonist erzählt von den Begegnungen mit Woloschin. Dennoch konnte auch er am Ende den Mann kaum von seinem Wahnsinn abbringen. Das Buch schlägt einen deutlichen Bogen zu „Die Last des Bösen“, doch während jenes Buch kryptisch und durchaus faszinierend war, ist „Ein Teufel unter den Menschen“ ein sehr gewöhnlicher Roman, der hinter den meisten anderen Romanen der Brüder zurückfällt. Mag sein, dass sich hinter dem Pseudonym S. Jaroslawzew überhaupt nicht die Strugatzki-Brüder verbergen. Andere Quellen nennen Arkadi Strugatzki als Autor. All diese Möglichkeiten können zutreffen, denn im Nachwort geht Boris Strugatzki speziell auf dieses Pseudonym ein. Wie auch immer, das Reiten auf der Tschernobyl-Welle und atomare Mutationen sind für die Strugatzkis unwürdig und schon gar in den 1980er Jahren. In der Zeit der Golden-Age-SF wäre so etwas ja noch gegangen, aber nicht in den 1980er Jahren. Der Roman ist bestenfalls durchschnittlich und nicht besonders erwähnenswert.
5 von 10 Punkten
Aus dem Leben des Nikita Woronzew
Ein Staatsanwalt bekommt das Tagebuch eines Verstorbenen ausgehändigt. In diesem ist der Zeitpunkt des eigenen Todes genau vorausgesagt, überhaupt schien der Verstorbene alle Einzelheiten seines Lebens im Voraus genau gewusst zu haben. Gemeinsam mit einem anderen Beamten geht der Staatsanwalt den Stationen im Leben Nikita Woronzews nach und trifft auf Leute, die der Mann beeinflusst hatte. Doch ist das Ganze die Wahrheit oder nur eine geschickt inszenierte Farce? Der relativ kurze Roman ist kompakt und gut verfasst. Die Geschichte ist schön und spannend erzählt und eine angenehme Abwechslung zu den beiden schwierigen Romanen dieses Bandes. Die Geschichte wurde wiederum unter dem Pseudonym S. Jaroslawzew verfasst.
8 von 10 Punkten
Insgesamt eine Sammlung mit Höhen und Tiefen. Von der Qualität her kann der Band nicht mit den ersten Bänden der Werksausgabe mithalten.