Serie: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Als eine Flotte von irdischen Kolonistenschiffen nach 37 Jahren die Welt Nebel-2 erreicht, muss sie feststellen, dass ihre neue Heimat ein lebensfeindlicher Wüstenplanet ist. Dessen ungeachtet etablieren sich bald zehn Kolonien an den Ufern mehrerer Salzseen und versuchen, dem Planeten Tag für Tag das zum Überleben Notwendige abzuringen. Eine der Kolonien, Senaar, hält es für ihre heilige Bestimmung, auf dem von den Siedlern bald auf den Namen Salz umbenannten Planeten die Alleinherrschaft anzutreten. Unter fadenscheinigem Vorwand beginnt man gegen die Anarchisten-Kolonie Als einen Vernichtungskrieg, um einen ideologischen Gegner aus dem Weg zu räumen und andere Kolonien einzuschüchtern. Nur wenige Alsisten überleben das Flächenbombardement Senaars und starten einen Guerillakrieg gegen den übermächtigen Nachbarn. Fortan verüben beide Seiten grauenhafte Kriegsverbrechen und richten sich gegenseitig zugrunde.
Die Kolonisierung fremder Welten war immer schon ein beliebtes Sujet für Science-Fiction-Romane, gibt sie Autoren doch die Gelegenheit, Grenzerromantik mit der Beschreibung und Eroberung phantasievoller Lebenswelten zu verbinden. Genau dies wird in Sternennebel allerdings nicht geboten. Der Roman ist vielmehr die parabelhafte Beschreibung dessen, was passiert, wenn Gewalt nur zu immer neuer Gegengewalt führt. Der Leser erlebt den Krieg dabei abwechselnd aus der Perspektive zweier Ich-Erzähler, die die beiden Konfliktparteien repräsentieren: der Barleis, des Diktators der Kolonie Senaar, sowie der des Alsisten Petja. Beide Charaktere sprechen zu ihren eigenen Leute und bieten Außenstehenden (also uns) nur eine sehr unvollständige Beschreibung ihrer Gesellschaft.
Dies trifft am krassesten auf Barlei zu, dessen Erzählung im Ton politischer Memoiren gehalten ist. Barlei ist der `Führer’ einer faschistischen, religiös-fundamentalistischen, erzkapitalistischen Diktatur, die all das repräsentiert, wovor sich Amerika-Skeptiker in ihren schlimmsten Alpträumen fürchten. Seine Sprache ist voll des Pathos, seine Worte malen das Bild eines Vaters der Nation, der in allem, was er tut, nur an sein Volk denkt. Kurz: Als Erzähler ist er völlig unglaubwürdig. Gerade das verleiht diesem Teil des Romans jedoch einen eigenen Reiz. Man ist als Leser ständig mit der Dekodierung von Barleis Phrasen beschäftigt und entdeckt bald einen eitlen Machtmenschen, der seine homosexuellen Neigungen negiert.
Petja Szerelem wirkt auf den ersten Blick wesentlich sympathischer. Er ist Mitglied eines anarchistischen Kollektivs, das Hierarchien und Besitzdenken radikal ablehnt: Es gibt bei den Alsisten weder eine Regierung noch dauerhafte eheähnliche Beziehungen. Auszuführende Arbeiten werden per Computer zugelost, und wer diese nicht ausführt, hat keine gesetzlich festgelegten Sanktionen zu befürchten - es kann ihm höchstens passieren, von erzürnten Anarchisten zusammengeschlagen zu werden. Individuelle Freiheit und Wunschbefriedigung sind die höchsten und beinahe ausschließlichen Ziele dieser Gemeinschaft. Jeder sagt, was er denkt, und tut, was er möchte. Als ist keine anarchistische Idylle, sondern bei aller hippiehaften sexuellen Freizügigkeit ein gefühlloser, kalter Staat. Petja wird von seiner großen Liebe Turja von jetzt auf gleich abserviert, als er ihr zu "rigidistisch" wird (alsistisch für `besitzergreifend’); und Petja selbst vergewaltigt die senaarianische Gesandte Rhonda Titus, weil er in seiner Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen anderer gar nicht auf die Idee kommt, dass eine Frau aus Angst nicht laut `Nein’ sagen könnte.
Als der Krieg ausbricht, steht man als Leser fest auf Seiten der Alsisten und ertappt sich dabei, innerlich nach Vergeltung zu schreien. Das ist auch genau die emotionale Falle, in die die Anarchisten tappen. Petja organisiert den bewaffneten Widerstand und wird zum massenmordenden Terroristen, der nicht einmal vor `schmutzigen Bomben’ zurückschreckt. Dadurch wird er letztlich zum Ebenbild seines größten Feindes.
Am Ende wechselt Adam Roberts auf anrührende Weise die Perspektive und überlässt das letzte Wort Rhonda Titus, einem der Menschen, die zu allen Zeiten die Verbrechen ihrer `Führer’ ausbaden müssen.
Wenn man Sternennebel eines vorwerfen kann, dann die allzu karikaturhafte Darstellung der Alsisten. Ihre Unfähigkeit, sich in die Denkweisen der Senaarianer einzufühlen, erscheint unrealistisch, eine ausschließlich auf dem Prinzip des Eigennutzes beruhende anarchistische Gemeinschaft schwer vorstellbar. In jeder anderen Hinsicht ist Roberts’ Debütroman aus dem Jahre 2000 eine beachtliche Leistung. Von der gedanklichen Schärfe und dem sprachlichen Niveau, die das Werk auszeichnen, können die meisten SF-Autoren nur neidvoll träumen. Für mich war Sternennebel eine der beeindruckendsten Lektüren seit langem.