Titel: Spider-Man |
Der schüchterne Peter Parker wird von einer genetisch modifizierten Spinne gebissen und entwickelt daraufhin Superkräfte.
Wild und verwirrend ist die Pubertät, und jeder, der vermag, ehrlich zurückzublicken, weiß von Abenteuern und Erlebnissen zu berichten, die nicht taugen, den Enkeln erzählt zu werden, ob deren zarter Ohren und kindlicher Gemüter. Umso verwunderlicher, dass die Traumfabrik mit dieser einschneidenden Phase im Leben fast jedes Menschen gar nicht oder nur - welch rekursive Ironie - in höchst pubertärem Maße umgeht. Ernsthafte und einfühlsame Auseinandersetzungen mit dem Tosen der Hormone und Gefühle kann man mit dem Elektronenmikroskop suchen und wird doch nur in der verrauchten Baskenmützenecke fündig, in der Regisseure wie Todd Solondz mit seinem hervorragenden "Welcome to the Dollhouse" auf Fördergelder warten.
Es sei denn, man verläßt die breiten Pfade der Eindeutigkeit und begibt sich ins spannende, aber auch trügerische Dickicht der Metaphern, Allegorien und Paraphrasen, ohne Umschweife also ins - aufgrund der hierzulande jahrzehntelang betriebenen Comicbücherverbrennungen - halbleere Kino zu Sam Raimis Spider-Man. Die Geschichte der schüchternen Waise Peter Parker, die lernen muss, mit ihren Superkräften verantwortlich umzugehen, inszeniert der bekannte - hierzulande aufgrund der jahrzehntelang betriebenen "Gewalt"videoverbrennungen lange nicht mit seinen Hauptwerken vertretene - Regisseur als liebevolle Coming-of-age-Story mit sympathischen Hauptdarstellern, einfühlsamen, aber nicht allzu tiefgängigen Botschaften und rasanten Spezialeffekten.
Tobey Maguire also, der traumäugige Liebling des ambitionierteren amerikanischen Kinos, spielt den schmächtigen, tolpatschigen und gehemmten Schüler, späteren Studenten und Fotografen Peter Parker, der seit seiner Kindheit unglücklich in seine Nachbarin, die bezaubernde, rothaarige Mary Jane Watson verliebt ist. Kirsten Dunst gibt diese Traumfrau aller auf gewohnt hohem Niveau, aber bis auf eine Szene im strömenden Regen nicht so herausragend wie in ihren besten Filmen (ein Bonobo, wer hier anderes vermutet als die bloße Beschreibung schauspielerischer Qualitäten) . Der beste Freund des klugen, aber ständig gehänselten Peter ist der reiche Harry Osborn (James Franco etwas blass), Sohn des Firmenbesitzers Norman Osborn, den Willem Dafoe präsent und mit Lust am Grimassenziehen darstellt.
Die Dinge ändern sich, als Parker versehentlich von einer genetisch veränderten Spinne gebissen wird, was ihm übernatürliche Reflexe und Kräfte verleiht und die Fähigkeit, an Wänden und Decken hinaufzuklettern und meterlange Netze zu verschießen. Parker genießt seine neue Macht in einer humorvollen und tricktechnisch überzeugenden Szene nach der anderen, bis eine persönliche und dank Maguires Schauspielkunst nur milde kitschige, vielleicht sogar rührende Tragödie ihn zum elegant durch die Häuserschluchten New Yorks schwingenden Kämpfer für das Gute macht, der dennoch von den Boulevardblättern der Stadt (herrlich klischeehaft: J.K. Simmons als großspuriger, Zigarre rauchender Herausgeber) verdammt wird.
Ohne einen charismatischen Gegenspieler ist natürlich auch ein freundlicher Spider-Man aus der Nachbarschaft nur die Hälfte wert, und so verwandelt sich Norman Osborn nach der überstürzten Einnahme kraftverstärkender Mittel in den psychotischen Green Goblin, der die Stadt terrorisiert. Dafoe vermittelt das schizophrene Leiden seiner Figur so engagiert wie Raimi die perfiden und zynischen Versuche des Goblins, Spider-Man auf seine Seite zu ziehen. Dieser, eben noch damit beschäftigt, mit Mary Jane eine leichtfüßig inszenierte Lois-Lane-Clark-Kent-Superman-ménage-Ã -trois zu zweit aufzubauen, sieht seine Lieben nun in Lebensgefahr und muss die Faust und die Fäden schwingen, um sie, sich und die Stadt zu retten. Die Effekteschmieden glühen, Don Burgess' farbenfrohe Kamera fliegt in beeindruckendem Tempo mit der Spinne über und unter den zahllosen Hochhäusern hinweg, die gelungenen Kostüme James Achesons werden hier und dort aufgerissen, David Koepps Drehbuch bietet Gelegenheit zu einigen letzten One-Linern, und die Musik des unvergleichlichen Danny Elfman spielt noch einmal eindrücklich auf. Schließlich ist der über zwei Stunden lange, aber immer kurzweilige Spider-Man am Ende, das zugleich den Anfang der unvermeidlichen Fortsetzung vorzeichnet. Wird jener Teil so gekonnt inszeniert und harmonisch bespielt wie dieser, kann man ihn ungesehen empfehlen - einen tieferen Eindruck über sich selbst hinaus wird freilich auch ein zukünftiger Spider-Man nicht hinterlassen: Im Sommer bleiben keine Spuren im Schnee.
3,5 von 5 Sternen