Serie/Zyklus: Werke in Einzelausgaben. Band 3 Besprechung / Rezension von Ulrich Blode |
Spera ist der dritte Roman der Steinmüller-Werkausgabe aus dem Shayol Verlag. Der vorherige Band Andymon zeigte die Kolonisten eines Sternenschiffes, die ihr Utopia auf dem Planeten Andymon aufbauen. Eine völlig andere Entwicklung nimmt die Zivilisation auf dem Planeten Spera, die nach einem Rückfall ins Mittelalter das alte verlorengegangene Wissen neu gewinnen muss.
Die einzelnen Erzählungen umspannen dabei fast ein ganzes Jahrtausend. Zum einen besteht die Möglichkeit einzelne Geschichten zu lesen ohne die zeitliche Ordnung zu berücksichtigen, weil jede in sich abgeschlossen ist. Andererseits nehmen sie Bezug aufeinander, so dass sich auch das Lesen in der präsentierten Reihenfolge empfehlen lassen kann. Von den 26 Erzählungen sind bereits 9 vorher erschienen, z. B. im Alien Contact Magazin oder den Sammelbänden der "Lichtjahr"-Reihe. Somit wird ein Großteil hier zum ersten Mal veröffentlicht.
Inhaltlich ist der Band in vier thematisch zugehörige Bereiche gegliedert: Das Kristallene Zeitalter, Die Heldenzeit, Die frühe Neuzeit und Die Neuzeit.
Das Kristallene Zeitalter schließt sich an die Terraformung Speras an. Die in Inkubatoren erzeugten Kolonisten haben nach ihrem Willen die Landschaften des Planeten umgeformt und lassen sich in wenigen Stützpunkten nieder. Die Mehrzahl der Siedlungen geht aber auf deren Nachkommen zurück. Zwischen Schiffsgeborenen und Planetengeborenen entsteht zunehmend eine kulturelle Kluft. Und letztere verlieren allmählich das Wissen über die Technologien und die meisten der sog. Großen Alten träumen in Schlafkapseln der Zukunft entgegen. In Der letzte der Ungeborenen möchte Garth, einer der Alten, die Dorfbewohner überzeugen Lehrlinge in seine Obhut zu geben. Ob es klug war, sich immer mehr zurückzuziehen und eine Entfremdung zuzulassen? Der alt gewordene Garth beschließt im Dorf zu bleiben, er ist optimistisch. Am nächsten Morgen ist er tot, es wird ihm keiner nachfolgen. Und eine zweite Entwicklung zeichnet sich ab, es sind die gestaltwandelnden Teramöben oder Gallerten, die großen Plasmaklumpen gleichen. Die ursprünglichen Bewohner sind während des Planetenumwandlungsprozesses unerkannt geblieben. Jetzt sterben Menschen durch sie, werden verätzt und verbrannt. Ob Unfall oder Absicht bleibt unklar. Doch die Menschen halten ihre Gegner für Tiere, nennen diese Drachen und töten sie. In Die Herren des Planeten stellt sich die Frage, ob die Kolonisten die wahren Besitzer des Planeten Spera sind, wenn sie sich vor Angst und durch die Bedrohung ihres Lebens in Schutzräumen verstecken müssen.
Die Heldenzeit ist größtenteils wie Märchen und Sagen geschildert, was sie wie Phantasie erscheinen lässt. Hier beginnen die Legenden um die Drachentöter und enden die letzten Relikte sowie Überbleibsel der Großen Alten. Die Hüterin wacht über einen Traumturm, in dem die Schläfer und Träumer gelagert sind. Sie merkt nicht, dass ihre Aufgabe längst überflüssig geworden ist, obwohl ein merkwürdiger Gestank den Turm durchzieht. Erzählungen über die Drachen, Macht und Herrschaft bestimmen dieses Zeitalter. In Der Held im Gläsernen Berg macht sich ein Junge auf, um Beistand gegen einen der größten Drachen von einem der Großen Alten zu erflehen. Dieser ist längst tot und Dhau, der Junge, macht sich mit Schwert und Helm alleine zum Drachenkampf auf. Der das Rüstzeug schaut ist ein Stammesangehöriger, der sich zu einem verbotenen Berg aufmacht, in dem einst die Großen Alten ihre Waffen geschmiedet haben mögen. Doch der mutige Mann erkrankt und sein Vater lässt den mysteriösen Berg mit Feuer vernichten. Ein aufmerksamer Leser entdeckt, dass es nichts weiter war als ein zerborstenes Kraftwerk mit einem radioaktiven Leck. Ein andere Sicht der Dinge kommt in Die Fremdwesen zur Sprache, denn sie ist aus der Sicht der Teramöben, Drachen, erzählt. Eine bitterböse Geschichte mit gelungener Pointe ist Der Kerzenmacher. Ein magisch begabter Kerzenmacher möchte am liebsten seine Kenntnisse nicht einsetzen, vor allem nicht zum Bösen.
In der frühen Neuzeit entwickeln sich Staaten, die nach der Moderne streben und das alte Kristallene Wissen zurückerlangen wollen. Die Stadt Miscara erlebt eine kulturelle und industrielle Blüte. Ein Traummeister lässt die miscarischen Bewohner nach Großem streben. Die Kehrseite von Träumen schildern die Steinmüllers eindringlich in Vierundzwanzig Schritte, einem ewig wiederkehrenden Alptraum. Äußerst spannend wird es in Die Drachenprobe. Ein Drache hat eine Anwärtergruppe der Drachentöter infiltriert und jeder verdächtigt jeden. Dem Leser wird ein überraschendes Ende präsentiert.
Die Industrialisierung ist kennzeichnend für die Neuzeit. Einher geht das Ende des Traummeisters von Miscara. Die Eroberer und Der Thrak und der Telegraph zeigen die veränderte Machtgrundlagen. Nicht Waffen, sondern die Wirtschaft, Infrastruktur und Kommunikation sind bestimmend für den Machterhalt. Der Thrak, Herrscher von Grunelien, kann einen Umsturzversuch mittels seiner Telegraphen beenden. Informationen bestimmen die Darstellung von Macht und ihren Erhalt, weil so die Zustimmung der Bevölkerung der Soldaten gesichert wird. Eine humorvolle Situation entsteht, als der Zug des Thrak an einem leeren Bahnhof Halt macht. Durch einen Übertragungsfehler bei der Telegraphie erwartet die freudige Bevölkerung ihren Herrscher eine Station weiter. Und letztlich wird in den Weltraum gegriffen. Eine kleine Anleihe bei den Gemini-Missionen der NASA gibt es in Die Himmelsstürmer, denn die Weltraumfahrer wollen nur mit Fenster in ihren Kapseln hochgeschossen werden. Der Wettlauf der Großmächte führt zum Streit, wem das immer noch im Orbit wartende Sternenschiff mit seinen Künstlichen Intelligenzen gehört. Aber die Zwistigkeiten führen zu einer Katastrophe. Nur wenn die Menschen sich einig sind, wird das Schiff sein Wissen preisgeben. Bis dahin wird es auf seine Kinder warten und von ihnen träumen.
Spera präsentiert sich völlig anders als Andymon. Zum einen ist das auf die Struktur zurückzuführen. Es ist ein Erzählband, dessen Teile zwar thematisch vor einem gemeinsamen Hintergrund spielen, aber nicht alle gelesen werden müssen. Also auch für diejenigen geeignet, denen kürzere Geschichten mehr liegen. Außerdem sind die Geschichten selbst in einem unterschiedlichen Stil gestaltet. Wie bereits genannt, erinnert manches in der Heldenzeit mehr an Märchen. Es ist jedoch immer realistisch. Einige Hinweise auf technologische oder naturwissenschaftliche Phänomen sind offen, andere versteckt. Die Autoren Angela und Steinmüller konstruieren ihre Texte durchdacht, vermeiden plumpe Anspielungen. Wer mehr wissen möchte, schaut bei der Chronologie Speras im Anhang nach. Die optimistische und utopische Stimmung Andymons ist hier verflogen. Trotz gleicher Voraussetzung ist dieser Versuch einer Kolonisierung längst nicht so gelungen. Glücklicherweise vermeiden die Autoren jede Endzeitstimmung mit banalen Schockeffekten. Sie setzen vielmehr auf leisere Töne. Das können Humor, Nostalgie, kleinere Schrecken und sogar ab und zu optimistische Einsprengsel sein. Und mit Der Reichsgründer gibt es sogar einen kleinen Beitrag des Schriftstellers Erik Simon. Auf einen wichtigen Aspekt des "Romans in Erzählungen" weist der Klappentext hin: "Eines der in den Spera-Geschchten immer wieder auftauchenden Motive sind die Träume - sowohl diejenigen, die in den Märchen und Legenden des Planeten Gestalt annehmen, als auch die im Traumturm für die Bewohner der Stadt Miscara vorfabrizierten. Spera entwirft einen weiten und vielfältigen Hintergrund, vor dem dann Der Traummeister, der zweite Teil der Spera-Dilogie (folgt als Band 4 der Werkausgabe), das Thema in einem einzigen Punkt der Raumzeit des Planeten fokussiert."
Fazit: Ein weiterer Band des Autorenpaars Angela und Karlheinz Steinmüller, der ihre Vielseitigkeit zeigt. Sehr schön und gelungen.
Inhalt | ||
Seite | Kurzgeschichte | Autor* |
Das Kristallene Zeitalter | ||
5 | Die Former | |
8 | Die Herren des Planeten | |
25 | Die Träumer | |
27 | Der letzte der Ungeborenen | Angela Steinmüller |
Die Heldenzeit | ||
43 | Die Hüterin | |
46 | Der Held im Gläsernen Berg | |
61 | Der Reichsgründer | Erik Simon |
68 | Der das Rüstzeug schaut | |
79 | Die Fremdwesen | |
81 | Brannurq, der Bezwinger | |
90 | Die Märchenerzähler | |
92 | Der Kerzenmacher | |
Die frühe Neuzeit | ||
99 | Die Meisterträumer | |
103 | Vierundzwanzig Schritte | |
110 | Der Drachentöter | |
114 | Die Drachenprobe | |
131 | Die Miscarierinnen | |
134 | Der Tintenschwarze Spiegel | Angela Steinmüller |
Die Neuzeit | ||
151 | Die Astronomen | |
154 | Sterntaler | |
168 | Die Eroberer | |
171 | Der Thrak und der Telegraph | |
193 | Die Schatzsucher | |
196 | Das Wunderelixier | Angela Steinmüller |
206 | Die Himmelsstürmer | |
208 | Das träumende Schiff | |
Anhang | ||
226 | Zur Chronologie Speras | |
233 | Fragment einer Karte des Südkontinents | Gundula Sell |
234 | Publikationsgeschichte |
* sofern nicht Angela & Karlheinz Steinmüller