Titel: Slide - Durch die Augen eines Mörders Eine Rezension von Sonja Buddensiek |
Ich wende mich vom Schreibtisch ab und sehe zum Bett. Es ist eindeutig Sophies Bett, aber es hat eine andere Farbe. Vorhin lag eine makellos weiße Tagesdecke darauf. Jetzt ist es dunkelrot. Und nass. Ganz nass. Auf dem Bett liegt etwas. Es ist Sophie. Ihr schwarzes Haar umrahmt ihr weißes Gesicht. Sie hat die Arme hilflos neben sich ausgestreckt, in jedem Handgelenk klafft ein langer, blutiger Schnitt.
INHALT
Sylvia leidet an Narkolepsie - oder jedenfalls ist es das, was bei ihr diagnostiziert wurde. Sie weiß allerdings, dass dies nicht stimmen kann. Denn immer, wenn sie einschläft, wandert sie in den Körper desjenigen, von dem sie gerade einen Gegenstand berührt hat. Irgendwann hat sie sich einigermaßen damit arrangiert, versucht aber trotzdem möglichst, immer wach zu bleiben, weil sie sich vorkommt wie ein Eindringling. Doch eines Tages ist alles anders: Die beste Freundin ihrer Schwester ist tot - und Sylvia hat durch die Augen des Mörders alles mitangesehen. Nur weiß sie nicht, wer es war...
BUCHAUFMACHUNG
Zwar ziert das Cover das obligatorische Gesicht eines Mädchens, dennoch zieht es Aufmerksamkeit auf sich - dadurch, dass die Haut splittert, was durchaus einen kleinen metaphorischen Bezug zur Geschichte aufweist. Die Haarfarbe passt allerdings gar nicht, da Sylvia ihre pink gefärbt hat - hier hätte man besser aufpassen können. Insgesamt ist die Gestaltung nicht besonders originell, aber durchaus ganz nett anzusehen.
MEINE MEINUNG
"Slide" klang für mich vom Klappentext und auch den Bewertungen des Originals her wie ein sehr neuartiger Thriller mit Fantasy-Elementen, weshalb meine Erwartungen vielleicht etwas zu hoch waren. Denn letztendlich muss ich sagen: Abheben kann sich dieser Roman leider so gut wie gar nicht.
Protagonistin Sylvia beschreibt ihre Erlebnisse im Präsens aus der Ich-Perspektive. Der Schreibstil ist jugendlich frisch und flüssig zu lesen, geht aber mehr auf Gefühle und Gedanken ein als auf bildliche Beschreibungen, sodass ich mir die Figuren und die Umgebung oftmals nur spärlich vorstellen konnte. Die große Schrift in Verbindung mit dem kleinen Buchformat sorgt dafür, dass es nicht allzu lange dauert, bis man am Ende angekommen ist, gleichzeitig wird so aber auch schnell klar, dass sich für eine wirklich ausgeklügelte Story nicht genug Zeit genommen wurde.
Sylvia ist eine recht sympathische Hauptfigur, die aber besonders zu Anfang nur geringfügig eigene Entscheidungen trifft und sich vor allem hauptsächlich um sich selbst und ihre Probleme kümmert. Sie ist ängstlich, weil es jeden Moment zum Wandern kommen könnte, und auch ein wenig naiv, weil sie die deutlichsten Anzeichen für bestimmte Vorgänge einfach nicht zu deuten weiß. Im Laufe der Handlung wird sie selbstbewusster und einsichtig, kann aber noch immer nicht vollständig überzeugen. Ihr bester Freund Rollins gefiel mir da schon besser. Er sorgt sich um Vee, hat aber auch eigene Sorgen, für die sie sich lange nicht zu interessieren scheint. Was er an ihr findet, wurde mir persönlich nicht wirklich klar, dennoch ist er aufgrund seiner freundlichen, aber nicht unterwürfigen Art, wohl mein liebster Charakter.
Zane, der neue Schüler, in den sich Sylvia schnell verliebt, konnte mich bis zum Schluss kein bisschen berühren. Nicht nur, dass er der obligatorische Schönling ist, auf den alle Mädchen stehen, er ist auch noch intelligent, witzig, wunderbar - und gähnend langweilig. Was es mit ihm auf sich hat, war mir schnell klar. Jill Hathaway scheint da mehr ein Händchen für die unkonventionellen Charaktere wie Sophie und Amber zu haben, die Freundinnen von Sylvias Schwester, die beide ziemlich labil scheinen und daher tatsächlich aufwühlen und ein wenig schockieren können.
Anfangs bietet die Geschichte auch ansonsten wirklich gute Ansätze. Man erfährt, wie Vees Wanderung in andere Körper vonstatten geht, wie ihre Familienverhältnisse sind und was dazu führte, dass sie ist wie sie ist. Auch der Mord an Sophie und das Entsetzen beim Zuschauen sind glaubwürdig dargestellt. Danach allerdings beginnt das Ganze vor sich hinzuplätschern. 100 Seiten lang ergeht sich Sylvia nur in Überlegungen, was passiert sein könnte, unternehmen tut sie allerdings nichts. Dazu ist sie auch zu beschäftigt: Nämlich mit dem perfekten Zane, in den sie sich nach kurzer Zeit schon verliebt hat. Die Beziehung ist weder kribbelig noch glaubhaft und nervt hauptsächlich, da Vee darüber hinaus alles andere vergisst. Zudem ist der Tod des Mädchens äußerst unlogisch. Wenn jemand mit einem Messer auf einen zukommt, wird man sich wohl wehren und um das zu verhindern, müsste ein Beruhigungsmittel eingesetzt werden - weder Kampfspuren noch ein solches Medikament werden jedoch gefunden. Nun ja...
Irgendwann kommt Sylvia dann endlich auf die Idee, ihre Fähigkeit dafür zu nutzen, herauszufinden, was passiert ist. So kommt sie einigen interessanten Geheimnissen auf die Spur, was den Spannungsbogen nach oben treibt, den Täter findet sie allerdings nur durch Zufall heraus und befindet sich dann natürlich selbst in Gefahr. Wer hinter allem steckt wusste ich sowieso schon von Anfang an, denn wer bereits einige Thriller gelesen hat und vertraut ist mit der Auslese von Verdächtigen, braucht nicht lange nachzudenken. So war die für andere möglicherweise überraschende Auflösung für mich nicht nur langweilig, sondern auch komplett weit hergeholt: Das Motiv wirkt wie aus den Fingern gesogen und überhaupt nicht glaubwürdig. Das kann auch der nette Epilog mit einer Versöhnung nicht mehr ausgleichen - schade!
FAZIT
Während "Slide" mich anfangs noch mit einem originellen Grundgerüst und einem interessanten Geheimnis fesseln konnte, wurde ich mit Voranschreiten der Geschichte immer genervter. Nicht nur, dass sich Protagonistin Sylvia nach kurzer Zeit in einen Mitschüler verliebt und damit ihre Suche nach dem Mörder aus den Augen verliert, es war mir auch noch von vornherein klar, wer dieser letztendlich sein würde. Leider wieder ein Jugend-Thriller, der nicht wirklich zu überzeugen weiß. 2,5 Punkte.