Reihe / Serie: Wurdach SF-Reihe, Band 12 Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Die Medien als Instrument der Kriegsführung
"Es kommt nicht darauf an, was wahr ist. Es kommt nur darauf an, was in den Nachrichten läuft." (S. 120)
Zuerst einmal das Positive: "Simon Goldsteins Geburtstagsparty" weiß anfangs als Weltentwurf zu überzeugen. Der Roman kommt als ein Politthriller daher, der genau die Art Zukunft beschreibt, die wir linken Kapitalismusskeptiker für die Welt in vierzig Jahren erwarten: Das Öl ist knapp, sichere Arbeitsplätze ebenfalls. Damit die Menschen in den westlichen Industrieländern sich nicht gegen den Status quo auflehnen, werden sie von ihren gewählten Vertretern und der Wirtschaft nach Strich und Faden belogen. Die Politiker benutzen die Medien dazu, die Massen zu manipulieren. Sie verbreiten Gerüchte, schüren z. B. antipolnische Ressentiments - alles nur, um von realen Missständen abzulenken. Eine nicht näher genannte US-Geheimorganisation verübt sogar in Europa Mordanschläge, die sie fiktiven Terrorgruppen in die Schuhe schiebt.
Für diese Leute arbeitet der Amerikaner John Dove (ein Pseudonym, das sich nicht zufällig kaum von `John Doe’ unterscheidet). Nachdem er gerade erst 13 Menschen auf einem Marktplatz in Andorra ermordet hat, soll er in einer Kirche im französischen Narbonne einen Sprengsatz zur Explosion bringen. Doch John kann einfach nicht mehr und wird dadurch zum Sicherheitsrisiko für seine Auftraggeber, die beschließen, sich seiner zu entledigen. Dabei wollen sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie planen einen weiteren Bombenanschlag, dem neben John auch die irische Journalistin Fiana O’Nolan zum Opfer fallen soll. Fiana glaubt, herausgefunden zu haben, dass Giraux, der Präsident der Inner European Union, vor einiger Zeit bei einem Attentat getötet wurde und seitdem von einem Double ersetzt wird.
John und Fiana werden zum selben Ort bestellt und entgehen nur um Haaresbreite der für sie bestimmten Bombe. Von nun an sind die beiden auf der Flucht vor ihren Verfolgern. Unterstützt werden sie dabei u. a. von Frank Böttger, einem frustrierten deutschen Informatiker in Diensten des "Instituts für Meinungsforschung", dessen Job es ist, für die deutschen Behörden die Medien zu manipulieren und Beeinflussungsversuche seitens anderer Parteien aufzudecken. Frank hatte Fiana im Internet ursprünglich auf die Spur Giraux’ gebracht.
Bis zu diesem Stadium entwickelt sich das Plot von Heidrun Jänchens Roman einigermaßen logisch. Ihr Europa des Jahres 2050 extrapoliert nur Tendenzen, die für meinen Geschmack heute schon absehbar sind, und drückt sie mir als gewogenem Leser von Zeit zu Zeit auf die Nase. So etwa auf Seite 111:
"Sie verlassen sich darauf, dass sie mit uns tun und lassen können, was sie wollen, weil wir sowieso nicht durchsehen. So ist das. Sie fördern die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland durch Steuerermäßigungen. Dann jammern sie ein bisschen herum, dass Arbeitsplätze vernichtet werden. Und dann erklären sie dir, dass du der letzte Dreck bist, weil du keine Arbeit mehr hast."
Daneben gibt es ab und zu Szenen, in denen Charaktere gut getroffen sind. Vor allem fiel mir das bei John auf, einmal aber auch bei Frank Böttger, dem Informatiker-Single, als der die todkranke Nathalie Auer kennen lernt:
"Sie war ... rein äußerlich groß und stark, aber darunter zerbrechlich und unsicher. Beschützerinstinkt, lästerte er über sich selbst, Beschützerinstinkt und sexuelle Frustration. Schwanzdenken." (S. 96)
`Touché’, dachte da der Mann in mir.
Jetzt kommen wir leider zum großen `Aber’. Letztlich hat mir der Roman aus mehreren Gründen nicht gefallen. Die meiste Zeit über blieben mir die Charaktere des Buches ebenso fremd wie die Schauplätze der Handlung. Die Gründe dafür verorte ich in der Sprache des Textes, die mir austauschbar und langweilig vorkam, und im Fehlen detaillierterer Ortsbeschreibungen. Etwa nach der halben Lektüre fühlte ich mich zum ersten Mal versucht, schnell weiterzublättern und gleich das Ende zu lesen.
Das habe ich dann nicht getan und bin im weiteren Verlauf mehrfach über die Entwicklung des Plots gestolpert. In "Simon Goldsteins Geburtstagsparty" gibt es zwei außerordentliche Zufälle: Zum einen mietet sich Frank Böttger bei Nathalie Auer als Untermieter ein, die (was er nicht weiß) die Tochter seines Vorgesetzten ist. Wenig später dann läuft Fiana O’Nolan in Marseille buchstäblich Éloïrse St. Clair über den Weg, der Mörderin von Präsident Giraux. Für meinen Geschmack ist das mindestens ein Zufall zu viel.
Damit hören meine Probleme mit der Geschichte aber noch nicht auf. Nach zwei Dritteln des Buches nimmt die Handlung eine völlig neue Wendung. Die `Flucht-Story’ wird abgeschlossen, und es beginnt die Art `Eine-kleine-Gruppe-versucht-die-Welt-zu-retten-Story’, mit der vor allem sehr alte SF-Texte gerne einfache Lösungen für komplexe Sachverhalte aus dem Ärmel zaubern. Dieses Rettungsunternehmen wird auf neunzig Seiten abgehandelt und gerät damit entweder viel zu kurz oder viel zu lang. Dass dabei nebenbei noch die USA als Land der Vollidioten belächelt wird, fand ich auch übertrieben.
In einem Diskussionsthread auf SF-Netzwerk.de erwähnte Heidrun Jänchen, dass "Simon Goldsteins Geburtstagsparty" als wesentlich umfangreicherer Roman geplant war. Offenbar wollte sie ursprünglich in mehreren unabhängigen Subplots ein facettenreicheres Bild der von ihr erschaffenen Welt zeichnen. Vielleicht hätte diese längere Version einen Roman ergeben, der zumindest mir besser gefallen hätte (andere Leser haben im Übrigen viel mehr Vergnügen mit der Lektüre gehabt als ich und in dem oben erwähnten Thread positivere Urteile abgegeben). Ich fühlte mich jedenfalls gleich an John Brunners Klassiker "Morgenwelt" (OT: "Stand on Zanzibar"; 1968) erinnert, in dem auf faszinierende Weise aus kleinen Mosaikstücken eine Welt des frühen 21. Jahrhunderts zusammengesetzt wird. Auch durch jenen Roman zieht sich, als roter Faden, eine Thrillerhandlung - und stört mehr, als dass sie nützt.
Simon Goldsteins Geburtstagsparty - die Rezension von Rupert Schwarz