Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Ulrich Blode |
Das Jahrbuch zur Science Fiction aus dem Shayol Verlag ist ein einzigartiger Almanach mit Beiträgen bester Qualität und umfangreichen Übersichten. Die Herausgeber Udo Klotz und Hans-Peter Neumann legen ein sekundärliterarisches Werk vor, das wesentliche Hinweise und Informationen zu aktuellen Autoren, Werken, Reihen und Serien enthält.
Bereits der erste Beitrag ist eine echte Überraschung. Jeff VanderMeer, einer der originellsten Autoren fantastischer Geschichten, gibt "Leseeindrücke eines Autors und Kritikers aus den USA" wieder und stellt nennenswerte Romane (z. B.
Der Blick der Herausgeber auf die deutsche Szene ist gründlich und listet ebenfalls die Kleinverlage auf. Erfreulich ist, dass sie nicht nur die bekannten Autoren nennen, sondern auf manche Perle verweisen. So heben sie Audrey Niffeneggers Roman Die Frau des Zeitreisenden und Dieter Hasselblatts Aufklärung eines Modelle-Falls oder Modelle Delphin, Hiob, Säurebad hervor. Niffeneggers Bestseller dürfte bisher kaum als SF wahrgenommen worden sein. In einem interessanten Fazit nehmen sie eine Kategorisierung der SF-Publikationen in Profi-Klasse, Business-Class, Economy-Class und Holzklasse vor.
Franz Rottensteiner bereichert Udo Klotz’ und Hans-Peter Neumanns objektiven Bericht um einen persönlichen Rückblick auf das Jahr 2004.
Bernhard Kempen schildert die Situation der Perry Rhodan-Serie, der größten Science Fiction-Serie der Welt, die in ihren Spin-Off-Serien auf den Reihencharakter setzt, zum Beispiel dem sechsbändigen Lemuria-Taschenbuchzyklus. Bereits Perry Rhodan bietet mit den Heften, Taschenbüchern und Hardcoverausgaben ausreichend Lesestoff. Die Schwesterserie Atlan erweitert das Spektrum durch eine eigene Buchausgabe und eine fortlaufende Heftserie.
Eigenwillig ist Rainer Staches persönliche Kommentierung der Perry Rhodan-Serie, weil er kaum nachvollziehbare Schwerpunkte entdeckt (Algorrian, Friedensfahrer) und sich scheinbar lieber auf Nebenschauplätze begibt (Rainer Castor). Staches Beitrag ist also (erfreulich) kontrovers und bietet Anlass zu Diskussionen.
Auch der Konkurrenz wird entsprechender Platz zur Verfügung gestellt. Harun Raffael beleuchtet Manfred Weinlands Bad Earth, die mit der Nummer 45 eingestellt wurde.
Erfreulich sind Aufsätze über die Science Fiction in Polen, Russland, Bulgarien, Griechenland und den Niederlanden. Problematisch ist bei diesen Beiträgen, dass die deutschen Leser kaum eines der aktuellen Werke kennt, mangels Übersetzungen. Das wird durch die Einbindung in (historische) Trends gemildert, so dass das betrachtete Jahr 2004 nicht für sich alleine steht. Auch ist ein Anfang getan, erfolgreiche ausländische Autoren und ihre Werke hier kurz vorzustellen, von denen man vielleicht nie etwas gehört hätte.
Der Rezensionsteil widmet sich vor allem dem Buchsektor und Computerspielen. Die Besprechungen sind alle ausführlich und verständlich. Wenig gelungen ist hingegen die Filmrubrik, die eindeutig zu kurz ausfällt bzw. die Filmauswahl sehr restriktiv ist. Wobei sich die Frage stellt, ob wirklich "alle" wichtigen Filme besprochen wurden. Insgesamt stellt sich bei den Rezensionen heraus, dass buchfremde Medien eher stiefmütterlich behandelt werden.
Weiter gibt es die Ergebnisse der Science Fiction-Preise und Nachrufe auf verstorbene Autoren (Anm.: Der Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar wird seit 1983 und nicht seit 1979 vergeben, wie im Jahrbuch geschrieben).
Einzigartig ist die Bibliographie zur gesamten deutschen SF-Literatur des Jahres 2004, die sowohl nach Autoren als auch nach Verlagen geordnet ist. Die Inhalte von Magazinen, Anthologien, Jahresbänden und Sammelwerken werden zudem detailliert aufgeführt und die wichtigsten Sekundärwerke. Das bedeutet nicht nur, dass ein Leser bei seinem Lieblingsautor, sondern bei den Verlagsbibliographien auch nach bestimmten Serien nachschlagen kann.
Hans-Peter Neumann und Udo Klotz haben unbestritten eine wichtige und einzigartige Forschungsarbeit geleistet, die ihresgleichen sucht. Zwar gehen die Herausgeber selber nicht von einer hundertprozentigen Vollständigkeit ihrer Bibliographie aus, aber allenfalls eine handvoll "Exoten" unter den Science Fiction-Büchern dürften fehlen. Aufgrund der Herangehensweise und der Kompetenz der von Klotz und Neumann, kann von einer "kompletten" Bibliographie ausgegangen werden. Ein Beispiel für die Gründlichkeit ist die Aufführung der zwei Buchnummern, die der Heyne Verlag vorübergehend seinen Science-Fiction-Romanen gab (das hat Heyne bei seiner eigenen Bibliographie im Science Fiction Jahr selbst nicht berücksichtigt). Wer noch nach Lesestoff sucht, wird hier bei der Bibliographie bestimmt fündig, sollten die meisten Bücher des Jahres 2004 nämlich noch im Handel erhältlich sein.
Zuletzt stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Shayol Jahrbuch zur Science Fiction. Es ist mit den Jahresrückblicken und der Bibliographie ein unverzichtbares Nachschlagewerk, das seinesgleichen sucht. Die hohe Qualität erreicht es erstens durch seine Herausgeber und zweitens durch die Auswahl der Gastautoren (Stichwort: Jeff VanderMeer). Echte Mängel sind nicht vorhanden. Verbesserungsmöglichkeiten ergeben sich beispielsweise bei den Filmrezensionen. Die Aufnahme eines weiteren Aufsatzes zur deutschen Science Fiction wäre überlegenswert, um einen Bereich ausführlicher zu behandeln, z. B. die Sekundärliteratur, wissenschaftliche Forschung oder Personen. In jedem Fall füllt das Jahrbuch eine große Lücke im Bereich der Sekundärliteratur aus. Fazit: Empfehlenswert für alle, die sich privat oder beruflich mit Science Fiction beschäftigen.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.