Serie/Zyklus: ~ Vorgestellt von Ulrich Blode
|
Um es gleich zu sagen, das Jahrbuch zur Science Fiction 2003 ist ein bestens gelungener Überblick über das letzte Jahr. Die Beiträge sind nicht überdimensioniert, so dass sich ein zu bewältigender Leseumfang von knapp 340 Seiten ergibt.
Es beginnt mit einem Essay des Kritikers John Clute über die Science Fiction seit den achtziger Jahren. Er beschränkt sich auf die anglo-amerikanischen Autoren, wie z. B. William Gibson, Kim Stanley Robinson, Iain M. Banks, Stephen Baxter u. a.. Vieles ist nicht neu, was Clute zu erzählen hat. Auf der anderen Seite ist seine Sicht der Science Fiction als Literatur die, "sich mit der Gegenwart auseinandersetzt", durchaus interessant.
Einen kurzen Überblick über die aktuelle angloamerikanische Science Fiction gibt Hannes Riffel. Er bemerkt, dass die Grenzen zur Fantasy fließender werden und bezieht in seine Darstellung verschiedene Entwicklungen der letzten Jahre oder Jahrzehnte mit ein. Anschließend gehen Udo Klotz und Hans-Peter Neumann auf die Science Fiction in Deutschland ein, geben eine Übersicht und weisen auf Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten zur angloamerikanischen Literatur hin. Die ersten drei Artikel des Jahrbuchs bilden eine kleine Einheit für sich und man bekommt einen guten Eindruck über Science Fiction Themen und die Verlagszene. Der Bericht über die deutsche Szene kann im nächsten Jahrbuch ruhig ausführlicher ausfallen, ist das Jahrbuch doch hauptsächlich dieser Literatur gewidmet.
Vier Texte des Shayol Jahrbuchs sind der Perry Rhodan-Serie gewidmet. Wie umfangreich inzwischen das Produkt Perry Rhodan geworden ist, zeigt Bernhard Kempen. Zu Recht stellt er die Frage, ob man gewillt ist mehrere hundert Euro im Jahr alleine für die serienbezogenen Produkte auszugeben. Wie eine Marketingmaßnahme liest sich also sein Text nicht, es ist eine prägnante Zusammenfassung.
Rainer Staches "Persönlicher Jahresrückblick" ist ein einziges Ärgernis in diesem sonst sehr schönen Jahresbuch. Stache kommentiert vor allem das Ende des Thoregon-Zyklus und den Anfang des Sternenozean-Zyklus. Treffsicher bemerkt er die Fehler im Konzept des Thoregon-Zyklus und der einzelnen Schreibstile. Leider ist der Text doch zu persönlich und man liest dann Wörter wie "Kamikaze-Duo", "stinkende Pferderüpel mit Supergehirnen" und "Katastrophen-Castor". Eine Argumentation erfolgt nur in den seltensten Fällen und es wäre besser gewesen eine Inhaltsangabe zum Zyklus zu liefern, bevor eine wertende Stellungnahme und Interpretation kommt. Eine Analyse ohne verzerrende Kommentare ist genauso vorstellbar. Nicht-Perry-Rhodan-Leser werden schwerlich mit Staches Text etwas anfangen können, höchstens als Amüsement, wasdas für eine seltsame Serie sein soll. So leid es mir tut, ich denke, dass viele einen solchen persönlichen Jahresrückblick hätten liefern können und das sogar besser.
Es folgen Besprechungen des Taschenbuchzyklus Andromeda und der Atlan-Miniserie Centauri. Felix Darwin hätte an zwei oder drei Stellen einen stärkeren Zusammenhang zur Heftserie herstellen können. So schreibt er zu Andromeda: "Zu sehr beschränken sich die Autoren (...) auf ein Referieren von Fakten, und der Roman gerät ihnen zu einem Geschichtsbuch ohne emotionale Durchschlagskraft." Nun sollte seitens der Leser ein langgezogenes und fragendes Ja??? bzw. Und??? folgen. Perry Rhodan-Andromeda greift das Thema der Superintelligenz K'UHGAR aus der Heftserie auf. Die vielen Fakten kommen zustande, weil die Autoren unbedingt die Geschichte der Superintelligenz in den Taschenbüchern unterbringen wollen. Aber sie bauen das ungeschickt in die Handlung ein. Doch Darwin nennt das nicht. Seine Behauptungen scheinen vom Himmel zu fallen, was mir übrigens bei Staches Text besonders stark auffällt. [Anm.: Es kann sein, dass es mir bei den Eingangstexten des Jahrbuchs deswegen nicht aufgefallen ist, weil ich mich bei Perry Rhodan besser auskenne als generell bei der Science Fiction.]
Gewiss ist das Shayol Jahrbuch zur Science Fiction kein wissenschaftliches Werk. Etwas anspruchsvoller könnte es dennoch sein. Die Beiträge Bernhard Kempens, Felix Darwins und Gerhard Udes zu Perry Rhodan bzw. Atlan sind gut geschrieben. Es ist gewiss nicht zu viel zum Thema Perry Rhodan im Jahrbuch vorhanden. Aber es fehlen Beiträge zu anderen Heftserien, so dass hier ein Missverhältnis entsteht.
Franz Rottensteiners Rückblick ins Jahr 2003 ist "sehr subjektiver und begrenzter Natur", wie er selber schreibt. Doch ist es ein unaufgeregter Blick und verständlich geschrieben. Andreas Eschbach, Stanislaw Lem, Angela und Karlheinz Steinmüller, Erik Simon, Philip K. Dick... werden genannt. Gewissermaßen, was ist gelungen und was weniger an den Publikationen. Zu den weniger gelungenen zählt Rottensteiner den ersten Roman, Sternentanz, des SF-Kritikers John Clute. Als das Sekundärwerk des Jahres zählt für ihn Jacek Rzeszotniks Buch über die Lem-Rezeption in Deutschland.
Rzeszotnik ist es, der im Jahrbuch über die Science Fiction in Polen aus zwei Jahrzehnten berichtet. Bereits in den SFGH-Chroniken 197 der Science Fiction Gruppe Hannover (eigentlich seit Jahren "alleine" von Wolfgang Thadewald redaktionell und als "Herausgeber" betreut) hat Rzeszotnik über die Situation der polnischen Science Fiction berichtet. Für die zukünftigen Shayol Jahrbücher sollte man Rzeszotnik auf jeden Fall wieder als Autoren gewinnen. Sowohl der polnische als auch der anschließende russische Bericht sind erfrischende Lichtblicke, handeln die Texte mal nicht von englischsprachiger Literatur. Den Herausgebern ist zu wünschen, dass sie die Rubrik zur europäischen Science Fiction erhalten können.
Zwei weitere Artikel stehen noch aus, bevor es zu den Rezensionen geht. Das Interview mit Erik Simon ist nett zu lesen. U. a. spricht er über die perfekte Zusammenstellung von Anthologien. Lustig ist eine Anmerkung, um Simons Begriff "Penne" (für Schule bzw. Gymnasium) zu erklären. Anscheinend ist dieses Wort heute nicht mehr gebräuchlich. Und dann ist über Walter Müllers Wenn wir 1918... zu lesen, das 1930 erschien und später verboten wurde.
Die Rezensionen zu den wichtigsten Büchern, Filmen und Computerspielen stammen aus dem Alien Contact Magazin. Ohne Zweifel sind sie exzellent geschrieben und bieten eine Entscheidungshilfe für den interessierten Leser, Zuschauer und Spieler. Etwas unglücklich ist die Zweitverwertung der Texte aus Alien Contact. Zwar ist es nicht negativ zu sehen, doch beim nächsten Jahrbuch wären zusätzliche und eigens dafür geschriebene Rezensionen schöner.
Eine reine Auflistung, anders geht es eben nicht, sind die wichtigsten Science Fiction Preise. Wobei es hier Mischformen gibt, die auch Fantasy berücksichtigen. Eine vollständige Trennung beider Genres läßt sich nicht verwirklichen und wäre auch kaum wünschenswert. Kurze Erklärungen ermöglichen es dem Leser einzuordnen, wofür und von wem die Preise verliehen werden. Zumindest bei den deutschen Preisen könnten auch kleinere genannt werden, die bereits über längere Zeit verliehen werden. Ob es solche gibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Auf jeden Fall fehlt der mit 4.000 Euro dotierte Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar, der im Jahr 2003 an Zoran Drvenkar für Sag mir, was du siehst ging. Träger dieses Phantastik-Preises sind u. a. Carl Amery und Bernhard Kegel. Auch könnte beispielsweise der japanische Seiun-Award genannt werden, um den Blick nicht nur nach Europa oder Nordamerika zu richten. [Anm.: Andreas Eschbach ist mit der japanischen Ausgabe des Jesus Videos für den Seiun Award 2004 nominiert.] Die abschließende Bibliographie ist sehr umfangreich und enthält etliche Abbildungen der Romane und Bände. Kleine Fehler der Bibliographie müssen hier nicht aufgezählt werden, weil es Kleinkrämerei wäre.
Meine persönlichen (unerfüllbaren) Wünsche für das nächste Shayol Jahrbuch zur Science Fiction sind ein Bericht über die japanische Science Fiction und das Jahrbuch als Hardcoverausgabe.
Was bleibt ist ein sorgsam erstelltes Buch zur Science Fiction. Lesenswert!
Inhalt | ||
Seite | Artikel / Kurzgeschichte / Essay | Autor |
7 | Vorbemerkung der Herausgeber | |
8 | Science Fiction von 1980 bis heute | |
25 | Die Grenzen werden fließend ... Science Fiction und Phantastik im angloamerikanischen Raum 2003 | Hannes Riffel |
30 | Science Fiction in Deutschland 2003 | Udo Klotz |
37 | Odyssee im Sternenozean. Perry-Rhodan-Rückblick 2003 | |
41 | Perry Rhodan vor dem Wechsel der Zwiebelschale? Ein ganz persönlicher Jahresrückblick | Rainer Stache |
45 | Perry Rhodan: Der Andromeda-Zyklus | Felix Darwin |
49 | Perry Rhodan: Der Atlan Centauri-Zyklus | Gerhard Ude |
52 | Ein Blick zurück ins Jahr 2003 | Franz Rottensteiner |
58 | Wege und Irrwege. Zur Situation der Science Fiction in Polen in den 80er und 90er Jahren | Jacek Rzeszotnik |
67 | Die russische Phantastik-Szene 2003 | Wladislaw Gontscharow |
76 | Von Menschenfressern, Ameisen und anderen Merkwürdigkeiten. Ein Gespräch mit Erik Simon | Hans-Peter Neumann |
93 | Wenn wir 1918 ... Walter Müllers Sozialutopie in Neuauflage in einer Buchreihe wider das Vergessen | Wolfgang Both |
97 | Lesefutter. Die wichtigsten Bücher des Jahres | Hardy Kettlitz |
131 | Phantastik aus Deutschland. Die wichtigsten Bücher des Jahres | Siegfried Breuer |
155 | Die wichtigsten Filme des Jahres | Arno Behrend |
165 | SF Interaktiv. Die wichtigsten Computerspiele des Jahres | Gerd Frey |
177 | Nachrufe auf 2003 verstorbene Autoren | Siegfried Breuer |
181 | Die Preisträger des Jahres. Die wichtigsten nationalen und internationalen SF-Preise | Hans-Peter Neumann |
185 | Bibliographie der Science Fiction in deutscher Sprache 2003 | Hans-Peter Neumann |
336 | Personenindex |