|
Titel: Seeherzen
Eine Besprechung / Rezension von Melanie |
Das Cover des Buches könnte vermutlich zu vielen Geschichten passen, solange sie nur am Meer spielen: Es zeigt die Silhouette einer Frau, die auf steinigen Klippen aufs Meer hinaus schaut, während ihr Schal im Winde weht. Ein poetisches Cover, das gut zur Geschichte passt – auch wenn es den Leser vermutlich etwas anderes erwarten lässt als er dann zwischen den Buchdeckeln findet.
Miskaella ist anders. Eine Andersartigkeit, die sie schon als Kind zu spüren bekommt – umso stärker, als sich ihre merkwürdige Gabe zeigt. Sie kann die Robben rufen und beeinflussen. Einsam, ungeliebt und ausgenutzt lernt sie ihre Magie zu meistern und damit jene zu bestrafen, die ihr einst Unrecht taten: Die Männer und Frauen von Rollrock Island. Ihre Magie treibt Frauen und Männer auseinander, verändert das Schicksal so mancher Menschen und ist doch nicht mehr als das Abbild einer fast vergessenen Zeit.
Magie findet sich in dieser Geschichte nur am Rande, “Robbenliebe” wird sie genannt – und ist zumindest hier vermutlich der Grund für die Geschichten über Meerjungfrauen und Selkies. Eine alte Legende besagt, dass auch die Menschen von Rollrock unter ihren Ahnen welche finden werden – auch wenn dieses Wissen streng gehütet und nicht gern gesehen ist. Wirklich erinnern tun sich nur die wenigsten – und recht ungern, wenn man die Reaktionen auf die Gabe der jungen Miskaella betrachtet. Letztendlich ist es aber weder Miskaellas Gabe noch die Geschichte der Robbenfrauen und -männer, die Margo Lanagan in “Seeherzen” erzählt.
Schon der Klappentext bezeichnet “Seeherzen” als “mehr als allein eine Geschichte”. Das Buch erzählt nicht nur eine, sondern mehre Geschichten über Melancholie, Liebe, Hoffnung und Verzweiflung. Gefühle, die der Leser aus jedem Satz herauslesen, sogar mitfühlen kann. Jede der Figuren, die Margo Lanagan in ihrem Buch zu Wort kommen lässt, gibt dem Leser einen tiefen Eindruck in deren Gefühlswelt – und stellt gleichzeitig einen kleinen Aspekt in der Geschichte der Insel dar.
Dennoch bleibt die Insel so unnahbar, wie ihre Figuren greifbar sind. Rockroll könnte überall sein, die Geschichte der Menschen auf ihr zu jeder Zeit spielen. Und das Schicksal, dass die Menschen ereilt, ist ebenso grausam wie nachvollziehbar. Die Abneigung der Inselbewohner gegenüber der komischen Miskaella ist dabei genauso nachvollziehbar wie Miskaellas Reaktion – beide sind eben einfach menschlich. Aber was bleibt einem Menschen, dem Liebe und Zuneigung verwehrt bleiben? Was wird er verändern, wenn er die Macht hat, Veränderungen zu bewirken – und wie wirken sich die Veränderungen auf die einzelnen Menschen in seiner Umgebung aus? Davon erzählen Margo Lanagans Figuren. Völlig authentisch beschrieben, kann man jede einzelne verstehen – und das, obwohl die Autorin es versteht, die dunklen Seiten eines jeden ans Tagelicht zu bringen. Dunkle und düstere Gefühle überschatten damit die vom rauen Meer und Wind zerklüftete Insel. Liebe und Zuneigung sind hier seltener zu finden als Traurigkeit und Verzweiflung. Und dennoch gibt es immer wieder Hoffnungsschimmer: Gefühle und Taten, die den Leser hoffen lassen – auch wenn diese Hoffnung öfter vergebens ist, als sich bewahrheitet. Dennoch gibt es immer wieder Funken, die sie am Leben halten – und mit der Letzten Seite schwelt es wieder, das Feuer der Hoffnung.
Es ist eine bittersüße Geschichte, die Margo Lanagan erzählt. Eine Geschichte, die nur leicht fantastisch, eher märchenhaft zu nennen ist, die die Gedanken der Leser beschäftigt und mit der letzten Seite sehr nachdenklich zurück lässt. Wer weiß schon, ob sich die Geschichte so oder so ähnlich nicht wiederholen wird oder schon wiederholt hat? Nichtsdestotrotz lässt die Geschichte den Leser auch mit Hoffnung im Herzen zurück. Dann, wenn sich mit der letzten Seite die ersten leichten Fäden eines Happy Ends erahnen lassen und sich zeigt, dass in jeder Figur einige der positiven Gefühle hausen.
“Seeherzen” ist keine einfache Geschichte, keine leichte Kost und definitiv keine typische Fantasy – eher ein poetisches Märchen, ein Buch zum Nachdenken, Grübeln und Fühlen. Aber auch eine Geschichte, die den Leser mitreißt und selbst mit der letzten Seite noch nicht loslässt. “Seeherzen” ist eben mehr “als allein eine Geschichte”: Ein Buch, für das man sich Zeit nehmen muss, nur dann kann einen die Geschichte mitreißen, in einem Strudel aus Gefühlen, durchmischt von einem leichten Hauch Magie.