Titel: Schlachten Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
London in ferner Zukunft. So beginnt der Klappentext und führt uns in eine Stadt, die von der Außenwelt vergessen ist und wo sich Clans um die Macht streiten. Wenn man genauer hinsieht, findet man in dem Buch Teile des Nibelungenliedes wie auch (im Nachwort beschrieben) den ersten Teil der isländischen Völsungen-Saga. Nichtsdestoweniger findet Melvin Burgess seine eigene Art der Erzählung, die dem Leser ohne weiteres zusagt.
London liegt darnieder. Die Regierung zog sich fluchtartig aus der Stadt zurück und hat sie ihrem Schicksal überlassen. Die Häuser sind verlassen, und was gebraucht wird, wird aus den Ruinen geholt. Häuser werden abgerissen, man holt sich Steine zum Bauen, Holz zum Heizen, Möbel und was sich sonst noch finden lässt. Zwischen den Ruinen, teils versteckt, wächst das, was man an Lebensmitteln benötigt. Verschiedene Güter werden in die Stadt geschmuggelt, immer auf der Hut vor den anderen, denn Besitz erweckt Neid. Neid erweckt Gewalt und zum Schluss kann es immer nur einen geben, der andere bleibt auf der Strecke. Das Schicksal meint es mit den Überlebenden in der Stadt nicht gut. Rivalisierende Gangster-Banden fochten ihre Kämpfe um die Herrschaft aus, bis nur noch zwei Familien übrig blieben. London ist geteilt, die Herrschaft üben die zwei Familien aus, die am brutalsten, hinterhältigsten und grausamsten waren: die Volsons und die Conors. Wer jetzt noch hier sein Leben fristet, ist auf die Gnade der Stadtherren angewiesen, denn verlassen kann diese Welt des Terrors niemand. Im Umkreis der Stadt leben die sogenannten Halbmenschen. Das sind genetisch veränderte Kreaturen, teils Mensch, teils Maschine, teils Tier. Obwohl sie untereinander auch wenig Frieden halten, sehen alle in den Menschen einen leckeren Appetithappen.
Die Beherrscher der Ruinen bekriegen sich untereinander. Entweder man gehört zu den Volsons oder zu den Conors oder ist tot. So einfach ist die erste Regel. Die zweite ist nicht weniger einfach, je nach Sicht derjenigen, der sie anwendet: Nur ein toter Conor / Volson ist ein guter Conor / Volson.
Nur einer versucht, dem Treiben ein Ende zu bereiten. Er will Frieden schließen. Er ist niemand Geringeres als der Clanchef der Volsons, Val Volson persönlich. Aus diesem Grund ist er gewillt, seine Tochter Signy, seinem Erzfeind Conor zur Frau zu geben.
Dieser Frieden währt nicht eine Hochzeitsnacht lang. Conor, den Signy zuerst tatsächlich süss fand, nutzt den Frieden aus, um Signys Familie in einen Hinterhalt zu locken und zu ermorden. Die Hochzeit in Westminster Abbey wurde damit zur Farce. Lediglich Signys Zwillingsbruder Siggy überlebt das Massaker. Signy erfährt, dass Siggy lebt, und will jetzt nicht nur Rache, um den Tod ihrer Familie zu rächen, sondern sie will auch Siggy retten. Conor jedoch, der sie tatsächlich liebt und bei ihrer ersten Begegnung sogar rot wurde, dem spielt sie die Geliebte vor. Dabei macht sie aus ihrem Herzen eine Mördergrube, denn sie plant seinen Tod.
Die Geschichte ist leider ausgesprochen brutal, der Titel Programm. Melvin Burgess ist kein Autor von typischen Jugendbüchern. Er schreibt, was er denkt, und der Leser muss durch oder er bleibt auf der Strecke und lässt das Buch ungelesen in der Ecke liegen. Wer weiterliest, wird mit einer ausgezeichnet geschriebenen Erzählung belohnt. Der Schreibstil ist sehr jugendlich gehalten, biedert sich in der Sprache aber nicht an. Daher werden sich die Jugendlichen, die das Buch lesen, angesprochen fühlen und es nicht verschreckt ablehnen. Dabei ist der Autor bei seinen Ich-Erzählern und der Art, wie sie sprechen, immer abwechslungsreich und vor allem ehrlich. Gewalt ist da, wird aber nicht beschönigt und nicht verteufelt. Von den verwöhnten Zwillingen Signy und Siggy zum Schlaffi Conor, der seine Schwäche mit Gewalt überdeckt, bis hin zu den Halbmenschen, die fast echtere Menschen sind als die Menschen selbst, finden sich viele originelle Gestalten. Es ist durchaus möglich, sich mit allen Handlungsträgern zu identifizieren.
Wer Lust auf einen originellen Roman hat, kann unbesorgt zugreifen. Klappt man das Buch nach der letzten Seite zu, bleibt erst einmal ein nachdenklicher Leser zurück, der einiges verdauen muss.