Reihe: Die bizarre Welt des Edgar Allan Poe Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Wer sich des Namens von Altmeisters Edgar Allan Poe bedient, setzt für sich hohe Maßstäbe. So hat Nina Horvath die Messlatte recht hoch gehängt und den Autoren, die für diese Kurzgeschichtensammlung zusammenkamen, einiges abverlangt.
Andreas Gruber - „Rue de la Tonnellerie“
Die erste Erzählung ist von der historischen Figur des Komponisten Richard Wagner geprägt. Der junge Komponist verlor seine Anstellung als Kapellmeister in Riga. Geldmangel sorgt dafür, dass er sich 1839 mit seiner Frau Minna auf der Flucht befindet. Die deutschen Gläubiger lassen nicht locker, und so findet er sich bald auf Einladung von Heinrich Heine in Frankreich wieder. Mit ihren letzten Geldmitteln erreichen sie Paris und können sich eine billige Pension leisten. Richard Wagner wird von Sorgen geplagt. Von Heinrich Heines Geisterschiff beeinflusst, möchte er hier sein Werk vom Fliegenden Holländer komponieren. Seine Schreibblockade bringt ihn in finanzielle Nöte. Die sind ihm zwar nicht fremd, aber unangenehm. Schnell findet er Aufnahme in die höchsten Künstlerkreise der Kleinstadt. In einem kleinen, aber feinen Club an der „Rue de la Tonnellerie“ lernt er die Großen seiner Zeit kennen. Berlioz, Hugo, Balzac, Heine geben sich dort die Klinke in die Hand, sogar Poe selbst tritt in der Erzählung auf. Wagner bemerkt bald, dass sich seine neuen Bekannten regelmäßig in Madame Sorces „Steinzimmer“ einfinden. Heine lädt Wagner zu einer Zeremonie in das Hinterzimmer des Café Juliette ein.
Andreas Grubers Erzählung bietet leider keine wirklichen Überraschungen. Gekonnt geschrieben, ist die Erzählung, wie alle, die ich von ihm kenne, gut.
Matthias Falke - „Die steinerne Bibliothek“
Der wenig bekannte Erzähler berichtet in einem altertümlichen Ton, wie er die an Leseschwäche leidende Smera kennen und lieben lernt. Gerade jetzt muss er mit einer Expedition in die Mongolei reisen. Unterhalb eines buddhistischen Felsenklosters, tief im Sand begraben entdecken die Wissenschaftler eine gigantische Steinsammlung. In langen Briefen an die zurückgelassene Smera berichtet der Erzähler von der schweisstreibenden Ausgrabung und seinen Erlebnissen. Auf der riesigen Ansammlung monolithischer Steine, einer Art steinerner Bibliothek, soll angeblich das komplette Wissen der Menschheit festgehalten sein, gleichzeitig aber auch eine düstere Prophezeiung vom nahenden Untergang der Welt künden.
Matthias Falke gefällt mir mit seiner Erzählung sehr gut. Manchmal habe ich jedoch ein wenig das Problem, nicht genau zu wissen, in welcher Zeit ich mich befinde.
Markus K. Korb - „Jenseits des Hauses Usher“
Markus K. Korb entführt uns in eine alte Bibliothek, wo der Protagonist ein dickes Buch entdeckt. Dieses Buch wurde von Edgar Allan Poes Bruder Roderick verfasst. Roderick war ebenfalls Autor, aber auch Hobbykartograph. In dem kartographischen Werk entdeckt der Held der Erzählung einen Hinweis auf die tatsächliche Existenz des Hauses Usher. Dieses auch anderen Autoren als Poe oft bemühte literarische Motiv scheint ein tatsächliches Vorbild zu besitzen. Neugierig bearbeitet der Erzähler das Buch und findet an der Stelle, wo das Haus stehen sollte, einen See. Bei einem Tauchgang entdeckt er die Überreste eines Hauses, die zu Poes Geschichte passen könnten. Der archäologische Fund würde aus der Erzählung einen Tatsachenbericht machen und eine literarische Sensation darstellen.
Die Geschichte „Jenseits des Hauses Usher“ wirkt auf mich wie ein Text, der schnell vollendet werden musste, so als ob der Autor unter Abgabezwang gearbeitet hätte. Die Geschichte hätte ein etwas besser ausgearbeitetes Ende verdient.
Olaf Kemmler - „Zu Gast bei Meister Pforr“
Der Journalist Carl Friedrich Cotta ist bei seinem Arbeitgeber, einer Zeitung, in Ungnade gefallen und man hat ihm deshalb auf der Redaktion das wenig anspruchsvolle Gebiet der Spukgeschichten, Geistererscheinungen und Sensationsberichte überlassen. Bislang konnte er alle seltsamen Begebenheiten als Trick entlarven. Während einer Kutschfahrt nach Heidelberg, wo ein Apotheker im Ruf steht, Gold herstellen zu können, erfährt er die Geschichte eines Hexenmeisters, der in einem Odenwälder Dorf leben soll. Die Geschichte besteht darin, dass der Hexenmeister angeblich Menschen und Tiere die Herzen herauszureißt, um diese anschließend in Maschinen einzubauen und seine Kreationen dadurch zu beleben. In der Hoffnung auf eine gute Geschichte für seine Zeitung macht sich Cotta auf die Suche nach dem Mann.
Die Erzählung kommt erst langsam in Fahrt, denn der Beginn ist etwas langatmig. Dafür ist die Geschichte aber gekonnt ge- und beschrieben. Manch eine Wendung kommt unerwartet. „Zu Gast bei Meister Pforr“ ist eine gelungene Schauergeschichte, die durchaus zu Zeiten von E. A. Poe die ungeteilte Aufmerksamkeit der Leser gefunden hätte.
Michael Knoke - „Die Schattenuhr“
Robert Thompson hat lange nichts mehr von seinem Bruder George gehört. Der Kontakt zu ihm ist eingeschlafen. Es gab wohl nichts Wichtiges, was man sich als Geschwister erzählen konnte. George und seine Frau Claudine laden ihn urplötzlich ein, ihnen auf ihrem Anwesen einen Besuch abzustatten. Das Haus seines Bruders, sicher eine Hommage an das Haus Usher, übt eine bedrückende Wirkung auf Robert aus. Den Bewohnern dagegen scheint die seltsame Stimmung nichts auszumachen. Robert lernt das Haus kennen, welches in einem scheinbar immerwährenden Halbdunkel liegt. Die Ecken und Winkel wirken nicht symmetrisch, und man hat den Eindruck, ständig könnten irgendwelche Geister erscheinen. Darauf weisen auch die seltsamen Hinweise hin, die Robert über die früheren ungewöhnlichen Bewohner, brotlose Künstler und gescheiterte Existenzen, findet.
Während der Leser weitaus mehr erfährt als Robert Thompson, langweilt er sich ein wenig, während er Robert bei seinem Tun zuschaut. Die Stimmung der Erzählung ist dem Thema angemessen, wird aber oft zerstört, weil zuviel geschrieben wird.
Die Schattenuhr ist der erste Band einer geplanten Reihe unter dem Titel Die bizarre Welt des Edgar Allan Poe. Herausgeberin Nina Horvath sammelte fünf Geschichten, die in die Zeit und in die Schreibwelt von Edgar Allen Poe führen. Ich bin etwas zwiegespalten. Denn das Buch war schnell ausgelesen, ohne mich wirklich zu beeindrucken. Nehme ich den serientitelgebenden Autor als Referenz, so muss ich sagen, bin ich etwas enttäuscht. Manches Mal wirkt die Erzählung etwas verkrampft, dann wieder wird zu viel geschrieben. Andererseits wählte Nina Horvath für die Sammlung keine x-beliebigen Schriftsteller aus. Die Autoren (keine Autorinnen) sind durchaus in der Lage, zu schreiben und die Stimmung zu erzeugen, die man als Leser erwartet. Die Motive ähneln durchaus den Geschichten Poes, nehmen sogar Bezug auf einzelne seiner Texte. Durch die Nennung Poes habe ich eine höhere Erwartung und dementsprechend einen höheren Anspruch. Wären die gesammelten Geschichten ‚nur’ Schauergeschichten, wäre ich sicherlich anders an sie herangetreten.
Die Schattenuhr - die Rezension von Frank Haubold