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Titel: Sagenkinder: Fantastische Erzählungen Eine Rezension von Ida Eisele
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Klappentext:
Über 140 Autoren aus Österreich, Deutschland und der Schweiz haben sich von Mitteleuropas Mythen und Sagen inspirieren lassen und neue Geschichten geschaffen. 16 Kurzgeschichten über die Wilde Jagd, Rübezahl, Basilisken, Gargoyles, Drachen, Incubi, Wolpertinger und mehr sind in diesem Buch gesammelt.
Die Zwölfe (von J.S. Vorlauf)
Ein Wanderer trifft im Wald auf einen Zwerg, einen Drachen und eine Zwölfe, die keine Zwölfe ist...
Eine kurze, nett erzählte Geschichte, die sowohl mit Wörtern als auch mit der Realität selbst spielt. Zwar ist „Die Zwölfe“ nicht über die Maßen spannend oder gar actionreich, durch ihre Verspieltheit aber durchaus unterhaltsam.
Ein Flügel für Emil (von Karin Jacob)
Ein alter, lebendiger Wasserspeier wird restauriert und muss sein Geheimnis von da an mit dem Restaurator teilen.
Der alte Wasserspeier ist überzeugend und augenzwinkernd dargestellt und so gestaltet sich auch die gesamte Geschichte. Zwar irritiert die Darstellung der modernen Welt als durchgängig 'sündig' ein wenig, allerdings ist Emil, der Wasserspeier, hinreichend niedlich, um diese Irritation wieder auszugleichen. Insgesamt kann man die Geschichte wohl kindgerecht nennen.
Neue Erfahrungen (von Kristina Ruprecht)
Eine Frau kommt aus dem Urlaub in den Bergen heim und muss feststellen, dass sich ein lebendiger Wolpertinger in ihrer Tasche versteckt hat...
Diese Geschichte hat neben einem putzigen, kekssüchtigen Wolpertinger einen gelungen Einbruch des Übernatürlichen in die alltägliche Realität zu bieten. Die Charaktere sind mit wenigen Linien doch klar umrissen und bleiben im Gedächtnis.
Der gebrochene Schwur (von Marianne Acquarelli)
Eine Familie von Protektordrachen wird von ihrem menschlichen Fürsten verraten. Es gestaltet sich recht leicht, Verbündete gegen den verräterischen Fürsten zu finden, dennoch schwebt das Leben des ältesten Drachensohnes in Gefahr...
Eine spannende Erzählung mit genau der richtigen Mischung aus Hintergrund und Action. Das Drachenleben wird knapp, aber überzeugend dargestellt und fügt sich großartig in die beschriebenen Landschaften ein.
Der Basiliskenjäger (von Daniel Zodl)
Ein Junge, der seine gesamte Familie durch einen Basilisken verloren hat, wird zu einem erfolgreichen Basiliskenjäger. Eines Tages aber steht er einem unerwarteten Gegner gegenüber...
Eine spannende, allerdings nicht vollständig geglückte Geschichte. Einige historisch fragwürdige Aspekte fallen ins Auge: so kann ich mir die Bezeichnung „Kutschfahrt 2. Klasse“ in einer mittelalterlich feudalen Gesellschaft ebenso wenig erklären wie die stellenweise sehr moderne Ausdrucksweise der Charaktere. Inhaltlich erschließt sich mir nicht, warum der Basiliskenjäger es für normal hält, von einer Dame aus Konstantinopel von dort aus nach Salzburg geschickt zu werden, um dort einen Basilisken zu jagen. Die daraus resultierende Reise zieht sich etwas, während zu dem doch sehr destruktiven Ende einige Erklärungen fehlen.
Der Windname (von Miriam Kraft)
Eine Krähe erzählt ihrem Nachwuchs eine Geschichte. Vor langer Zeit erlebte sie mit, wie ein saliges Fräulein einem Bauernjungen half und darum in Schwierigkeiten geriet...
Tatsächlich wie ein altes Märchen klingt diese Geschichte, deren ausgefeilte Sprache mich von der ersten Zeile an überzeugt hat. Die Charaktere sind einerseits märchenhaft, andererseits aber eigenständig und durchdacht, sodass mein Vergleich mit dem Märchen vielleicht nicht ganz stimmt. Eigentlich hat man hier wirklich eine Legende vor sich. Auch die Handlung ist abwechslungsreich und schwer vorherzusehen. Insgesamt sicher eine der besten Geschichten dieser Anthologie.
Hexentrug (von Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser)
Eine mächtige Hexe will in ihrer Machtgier Rübezahl überlisten...
Auch „Hexentrug“ besticht durch eine gewählte Sprache, die dem Anspruch der Sage durchaus gerecht wird. Auf unterhaltsame Weise kann der Leser beobachten, wie die Hexe Rübezahl in die Falle lockt. Und obwohl der Ausgang der Geschichte lange Zeit vorhersehbar wirkt, wartet am Ende doch eine Überraschung.
Das Herz des Wedmaks (von Manfred Lafrentz)
Ein Junge fällt unter den Bann eines Wolfsmädchens und muss einen bösen Zauberer töten...
Diese wunderbar erzählte Geschichte entführt den Leser in eine ganz eigene Mythenwelt mit doch irgendwie vertrauten Wesen, die ganz wie in einem Märchen detailreich und märchenlogisch dargestellt werden.
Das Haseltor (von Rosalie Art)
In einer Parallelwelt leben die unterschiedlichsten Sagenwesen friedlich Seite an Seite. Mit der Welt der Menschen sind sie nur über die immer seltener werdenden Haseltore verbunden. Alljährlich findet ein großes Fest statt, dessen Höhepunkt ein Geschichtenwettbewerb ist. Ein junger Incubus will diesen gewinnen, doch er fühlt einen eigenartigen Sog...
Eine Geschichte mit interessanten Ansätzen, die mich aber nicht so recht überzeugen konnte. Es fehlt ein wenig die Spannung und das klare Streben auf einen bestimmten Punkt hin. Zwar werden am Ende im Rundumschlag alle zuvor erwähnten Probleme gelöst, allerdings bleibt völlig unklar, warum das geschieht und wie es von diesem Punkt an weitergehen könnte.
Der Vorfahr (von Leander Mahoi)
Ein saliges Fräulein erzählt einem Mann im Wald eine Geschichte von seinem Vorfahren: Dieser wanderte einst durch die Berge, um einen geheimnisumwobenen Tempel zu erreichen...
„Der Vorfahr“ breitet eine vielfältige, faszinierende Sagenwelt vor dem Leser aus, die leider sehr darunter leidet, dass vieles nicht erklärt wird. So wird zum Beispiel über eine Person gelacht, die auf irgendeine Weise „grün“ ist, ohne dass erwähnt würde, was denn nun an diesem Mann grün sein soll (denn dass es um eine tatsächlich vorhandene Farbe geht, kann man aus dem Gesagten schließen). Worum genau es nun in der Geschichte geht, ist mir unmöglich festzustellen. Das kurze Vorspiel mit dem seligen Fräulein und dem Mann im Wald steht für mich in keinerlei logischem Zusammenhang mit dem Rest der Geschichte und auch was der Vorfahr in den Bergen eigentlich tut und sucht bleibt mir schleierhaft. Das Potential dieser Geschichte wird leider nicht genutzt.
Untergeschoben (von Sonja Schimmelpfennig)
Eine Vampirin bittet einen als Buchhändler arbeitenden Magier um Hilfe, weil sie fürchtet, der Sohn einer Freundin sei ausgetauscht worden...
Diese Geschichte wartet mit einer gelungenen Vermischung von Sage und Realität auf. Eine gewisse Spannung besteht die ganze Zeit über, die Charaktere sind interessant und für eine so kurze Geschichte bemerkenswert vielseitig.
Legenden am Fluss (von Erich Huber)
Der Wassermann der Wien erwacht aus einem langen Schlaf und muss feststellen, dass sich inzwischen vieles verändert hat...
Empörung und Verwirrung angesichts der modernen Zeiten sind der Grundton dieser Geschichte, die fröhlich und augenzwinkernd dahinerzählt leider ohne roten Faden oder Ziel bleibt. Das Erwachen des Wassermanns, sein Zusammentreffen mit anderen nur noch dahinvegetierenden Sagenwesen und seine Suche nach dem Donaufürsten enden wie vorherzusehen im Chaos.
Jörn (von Tanja Rast)
Frisch auf einen abgelegenen Hof gezogen muss sich eine Frau damit auseinandersetzen, dass sie einen Hausgeist hat...
„Jörn“ konnte mich mit einer spannenden Erzählweise und einer schaurig traurigen Story begeistern. Zwar ist der Geist selbst nicht über die Maßen schrecklich – sondern eher niedlich – allerdings ist es seine Geschichte, die den Leser entsetzt. Auch der recht pragmatische Umgang mit dem Geist erhebt „Jörn“ über gewöhnliche Geistergeschichten und reiht ihn überzeugend in den Kreis der Sagen ein.
Das grüne Tor (von Margrit Dornuf)
Einige Zwerge nutzen ein Tor im Haus einer Rheintochter, um einen Weg nach Niflheim zu öffnen. Denn sie wollen den sagenhaften Schatz der Nibelungen...
Ein gewisses Ungleichgewicht herrscht zwischen der ausführlichen Vorbereitungsphase, während welcher der Leser mit Örtlichkeit und Charakteren vertraut gemacht wird, und dem Hauptkonflikt, den es zu lösen gilt. Zudem kann ich die kleinstädtische Harmonie, welche den ersten Teil der Geschichte dominiert, nur schwer mit der Weltrettungsproblematik im zweiten Teil vereinbaren. Letztlich ist es auch der Schluss, welcher der Geschichte in meinen Augen einiges an Glaubwürdigkeit raubt. Während erst Hinauszögern und anschließend hastige Aktion das Geschehen bestimmen, findet am Ende ein langer Dialog mit Erklärungen statt. Und schließlich: Eine Ohnmacht als Reaktion auf die Erkenntnis, gerade so einer Katastrophe entgangen zu sein, mag für eine zu fest verschnürte Dame aus dem vorletzten Jahrhundert einigermaßen angemessen sein. Heute wirkt es fehl am Platz. Insgesamt konnte mich diese Geschichte vom Inhalt her kaum überzeugen.
Odinstein (von Angelika Öhrlein)
Eine Frau will für den Hof einer in Urlaub gefahrenen Freundin sorgen und wird Zeugin, wie Odin zwei Jugendliche ermordet.
Eine sprachlich und spannungstechnisch gut erzählte Geschichte, die mich mit ihrer Brutalität allerdings etwas verstört hat. Zwar kommt es noch verständlich daher, dass Odin heutzutage auch Biker in die Wilde Jagd mit aufnimmt. Dass er allerdings einen „zu Tode gehetzten“ Rentner rächt, indem er die Schuldigen aufknüpft, ist für mich erst einmal nicht mit meinem Odinbild vereinbar. Die Charaktere der beiden jugendlichen Täter bleiben zudem blass und unreflektiert. Insgesamt keine wirklich schlechte Geschichte, aus der man aber dennoch mehr hätte machen können.
Geisterreiter (von Christine Figueiredo)
Eine Baronesse trifft nachts im Wald auf ein Geisterpferd und lüftet sein Geheimnis...
Düster und mit einprägsamen Figuren bildet der „Geisterreiter“ einen schönen Abschluss der Anthologie. Das etwas neuzeitliche Ambiente ist hervorragend geschildert und stand mir während dem Lesen ständig sehr bildhaft vor Augen. Einzig das Ende fand ich ein wenig verstörend und ebenso wie die vorletzte Geschichte würde ich diese keinem Kind als Gutenachtgeschichte vorlesen.
Zusammenfassend:
Obwohl ich an einigen Geschichten durchaus etwas auszusetzen hatte, habe ich mich bei jeder gut unterhalten gefühlt und mich während dem Lesen nicht gelangweilt. „Sagenkinder“ ist ein gelungener Querschnitt durch die Sagenwelt des deutschsprachigen Raumes und wartet mit einigen wirklich lesenswerten Perlen auf.