Titel: Retrum Eine Rezension von Sonja Buddensiek |
Alexia riss erschrocken die Augen auf. "Wir haben auf einem Kindergrab geschlafen! Und nicht nur das: Es ist das Grab eines Neugeborenen!"
"Ja und?", frage ich beunruhigt.
"Ich habe gehört, dass das unglaubliches Unglück bringt."
Inhalt:
Christian treibt sich viel auf Friedhöfen herum, seit sein Zwillingsbruder tot ist.
Dort lernt er eines Nachts auch drei Jugendliche kennen, die auf den Ruhestätten der Toten übernachten und mit ebensolchen auch in Kontakt treten. Christian ist fasziniert von dieser Gruppe, die sich "Retrum" nennt und tritt bei - doch schnell wird aus Spaß tödlicher Ernst und Christian wird klar, dass nichts so ist, wie es scheint...
Buchaufmachung:
Durch die raue Gestaltung mit der Silhouette eines Friedhofes und dessen Gräbern wirkt das Buch sehr düster und damit passend zur Stimmung. Der Buchschnitt ist schwarz und "läuft" geradezu in die Seiten hinein, was klasse aussieht. Auch der violette Spotlack-Titel passt perfekt - die Aufmachung ist wirklich gelungen!
Meine Meinung:
Aufgrund des grandiosen Covers und der sehr originell klingenden Story hatte ich hohe Erwartungen. Doch schon auf den ersten Seiten wurde mir klar, dass mich etwas vollkommen anders erwartete und auch jetzt ist mir noch immer nicht klar, warum "Retrum" einen Hype in Spanien ausgelöst haben soll...
Ich hoffte auf einen wahnsinnig spannenden Thriller voller Gänsehaut, so, dass ich gar nicht aufhören kann zu lesen. Stattdessen ist es mehr ein Buch über Christian und seine Probleme mit den Mädchen. Seine Sitznachbarin Alba ist in ihn verliebt und verwandelt sich von einem Tag auf den anderen von einer grauen Maus in die Traumfrau überhaupt - sehr logisch! Christian fühlt sich von ihr angezogen, aber da ist ja auch noch die wunderschöne Alexia aus der Friedhof-Truppe, in die er sich von Anfang an unsterblich verliebt hat. Wovon ich irgendwie nichts bemerkte. Er sieht sie, findet sie klasse und denkt fortan an nichts anderes. Dabei kamen mir seine Gefühle aber in keinster Weise nahe, stattdessen war ich da schon das erste Mal genervt.
Auch Chris' Eintritt in "Retrum" wird komplett an den Haaren herbeigezogen beschrieben. Er trifft die Jugendlichen, wird von ihnen beinahe zusammengeschlagen, dann finden sie ihn plötzlich ganz toll und schlagen ihm eine Mutprobe vor: Eine Nacht auf dem Friedhof verbringen. Und obwohl er sie kein Stück kennt, springt er auf die Idee an und macht sofort mit. Davon abgesehen, dass ich eher schreiend weggelaufen wäre vor den Jugendlichen mit den weißen Gesichtern und violetten Lippen, fand ich das doch reichlich unglaubwürdig. Und das ist nicht der einzige solcher Aspekte - aber ich will ja nicht alles verraten.
"Thriller" kann man das Buch jedenfalls schon mal nicht nennen, so viel ist klar. Die Spannung lässt die erste Hälfte des Buches gänzlich zu wünschen übrig, denn es passiert nichts.Christian besteht die Aufnahmeprüfung, trifft sich mit den anderen auf Friedhöfen, versucht, Albas unermüdlichen Annäherungsversuchen zu entkommen und vor seinem Vater zu verstecken, was er so treibt. Aber auch, als dann langsam Fahrt aufgenommen wird, plätschert alles noch so vor sich hin. Die Handlung ist so konfus und ohne rechten roten Faden, dass ich mehrmals zurückblätterte, weil ich dachte, ich hätte etwas überlesen - so kam bei mir keine Lesefreude auf.
Die Charaktere sind bis auf Christian selbst total platt gehalten. Er ist ein Einzelgänger und eine eher traurige Person, seit sein Bruder gestorben ist. Er sieht gut aus, wird aber von den anderen hauptsächlich gemieden. Durch seine melancholische Art wirkt er ein wenig schutzbedürftig, was ihn sympathisch macht. Seine "Retrum"-Freunde allerdings konnten mich gar nicht überzeugen. Alexia, die Schöne, Tolle, Wunderbare, Robert, der Nette, Lorena, die...Aufbrausende. Jedenfalls wird letztere so beschrieben, aber sie kam viel zu wenig vor, um einen Eindruck zu hinterlassen. Alba ist eine nette Persönlichkeit, wirkte aber durch die Anhänglichkeit sehr nervig. Allesamt wirkten auf mich stereotyp und schlecht charakterisiert, sodass ich fast nie mitfieberte.
Miralles Schreibstil ist gut und fesselt trotz der lahmen Geschichte. Er beschreibt authentisch die Umgebung und bringt auch die düstere Atmosphäre super rüber. Allerdings wird er sowohl in der Beziehung Alba-Christian als auch Alexia-Christian zwischendurch sehr kitschig, was so gar nicht passen wollte. Und während er die Spannung vorantreiben könnte, um endlich an den Punkt zu gelangen, auf den er hinauswollte, ergeht er sich lieber in Beschreibungen irgendwelcher Schriftsteller oder Denker, die rein gar nichts mit der Story zu tun haben und so nur langweilen.
Das Ende ist dann einfach nur...ermüdend und ärgerlich. Die Erklärung für die Vorgänge ist maximal schlecht, hauptsächlich aus den Fingern gesogen und komplett unglaubwürdig. Plötzlich sind Leute für alles verantwortlich, die hunderte Seiten zuvor ein einziges Mal auftauchten und alles ist geklärt. Andere Ermittlungen werden nicht mit einbezogen, vor allem nicht die der Polizei - die bleibt außen vor. Christian bekommt alles erzählt und damit hat es sich. Ein Ende, das mir eindeutig zeigte, dass das für mich leider nichts war.
Fazit:
"Retrum" hat mich als Thriller-Fan auf beinahe ganzer Linie enttäuscht. Es nervt und ist stellenweise nur langweilig, von Spannung fehlt jede Spur und auch die Figuren sind schlecht charakterisiert. Francesc Miralles hat einen angenehmen Schreibstil, aber komplett konfuse Vorstellungen von einem Buchaufbau - sodass das Ende schlussendlich auch wieder so gar nicht überzeugen will. Schade, ich hatte viel, viel mehr erwartet!