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"In the months afterwards all of the women, at some point, said they'd known the men were leaving the valley. (...) After all, they were their men, their husbands. No one could read them like they could. So no surprise if they should see what was coming. That's what the women said in the long silence afterwards.
But in truth none of them saw any change in the men's behaviour. None of them knew the men were leaving and in many ways this was the hardest part of what happened. Their husbands left in the night. (...) The women, meanwhile, slept soundly in their beds. It was only in the morning when a weak September sun shone into the valley that they realised what had happened." [S. 3]
Als im September 1944 die deutsche Wehrmacht mit der Eroberung Englands beginnt, verschwinden in einem abgelegenen Tal im englisch-walisischen Grenzgebiet eines Nachts sämtliche Männer aus ihren Häusern und dem Leben ihrer Frauen. Die Bauern wurden bereits 1940 heimlich als Mitglieder der sogenannten "Auxiliary Units" angeworben, um im Falle eines Einmarsches im Untergrund Sabotageakte gegen die deutschen Truppen zu verüben. Am folgenden Morgen wachen die ahnungslosen sechs Frauen mit Kopfschmerzen auf und sehen sich vor die Situation gestellt, fortan allein ihre Berghöfe bewirtschaften zu müssen. Unter der Leitung der etwa sechzigjährigen Maggie Jones machen sie sich an die Arbeit, bis plötzlich Anfang November sechs deutsche Soldaten im Tal erscheinen. Als es eines Nachts an die Tür der 26-jährigen Sarah Lewis klopft, ruft sie freudig den Namen ihres Ehemannes Tom ... und steht unvermittelt Hauptmann Albrecht Wolfram gegenüber, der mit seiner Patrouille den Auftrag besitzt, für Himmlers Privatsammlung nach einer mittelalterlichen Weltkarte zu suchen, die in den Berghöhlen des Tales vor den deutschen Bombenangriffen in Sicherheit gebracht wurde.
Albrecht findet sehr bald das gesuchte Kunstwerk. Und er erkennt sofort, aus welchem Grunde es keine Männer im Tal gibt. Sollte er dieses Wissen an die Gestapo weitermelden, würden die Frauen unweigerlich zur Abschreckung hingerichtet. Aber der 33-jährige Doktor der mittelalterlichen Geschichte und Literatur hat auch drei Jahre Russlandfeldzug hinter sich, und es graust ihn davor, bei der Erstürmung Londons dabei sein zu müssen. Als er merkt, dass seine Vorgesetzten ihn vorläufig vergessen haben, beschließt er, mit seinen Männern die Zeit bis zum Ende der Feindseligkeiten an diesem so kargen und friedlichen Ort auszusitzen.
Zuerst leben Waliserinnen und Deutsche neben einander her. Als dann jedoch der Ausnahmewinter 1944-45 das Vieh und die Existenz der Einheimischen zu zerstören droht, helfen die Soldaten den Frauen und werden zu Bauern. Langsam erwacht wieder der Mensch in Albrecht, der sich in Sarah verliebt. Währenddessen schreibt Sarah in ihrem Tagebuch Briefe an ihren Mann, ohne je den Deutschen zu erwähnen, der in ihren Gedanken immermehr an Toms Stelle tritt.
Für einige Zeit wird das Tal zu einem Zufluchtsort, der jedoch ständig von Entdeckung bedroht bleibt. Die Frage ist nie, ob, sondern nur wann das Wüten der Welt auch diese Idylle erreichen wird.
Nach zwei von der Kritik sehr positiv aufgenommenen Lyrikbänden und einem Reisebericht legte der walisische Schriftsteller Owen Sheers (Jahrgang 1974) im vergangenen Jahr mit Resistance seinen Debütroman vor. Formal ist das Werk ein Alternativweltroman, in dem der 2. Weltkrieg anders verlief, als unsere Geschichtsbücher es darstellen. Sheers steht mit dieser Art von "retrospective science fiction" [so beschrieb der Autor sein Werk in einem Interview im Independent] besonders im angelsächsischen Sprachraum in einer (allzu?) langen Tradition. Leicht könnte man sich fragen, ob es auf der Welt nicht schon genügend Romane über SS-Offiziere mit schnarrender Stimme und zackigem Schritt gibt. Zu Sheers Ehrenrettung muss jedoch erwähnt werden, dass er sich sein Thema nicht aus reißerischen Gründen aussuchte. Die Initialzündung für sein Buch war offenbar eine Fernsehsendung über George Vater, einen alten Nachbarn des Autors, der 1940 tatsächlich für die Auxiliary Units Special Duties Section angeworben wurde. Vater war damals offen gesagt worden, seine Lebenserwartung betrüge im Ernstfall 14 Tage.
Ausgehend von dieser Grundidee, erzählt Owen Sheers uns eine Geschichte, in der die Schlachten und Feldzüge fast ohne Bedeutung sind. Nach jahrelangem Krieg ist es der Wehrmacht gelungen, die sowjetischen Truppen hinter den Ural zurückzudrängen, sodass am D-Day 1944 ausreichend Truppen von der Ostfront herantransportiert werden können, um die Landung der Alliierten in der Normandie abzuwehren und selbst über den Kanal zu setzen. Sheers argumentiert zwar, eine solche Entwicklung des Krieges sei auch in unserer Welt durchaus möglich gewesen, allerdings ist dieses Problem für das Buch im Grunde nicht weiter wichtig. Die Handlung des Buches dreht sich vielmehr parabelhaft, allgemeingültig um die Frage, wie sich eigentlich anständige Menschen unter extremsten Bedingungen verhalten, und sie beschreibt die Mechanismen, die überall dort wirken, wo eine Invasionsarmee auf eine unterworfene Bevölkerung trifft. Ab und zu wird aus der Perspektive des Auxiliary-Unit-Mitglieds George Bowen [eine späte Verbeugung des Autors vor seinem Nachbarn] beschrieben, wie die englische Zivilbevölkerung sich langsam mit den Besatzern arrangiert, die Essensmarken austeilen und mit Geld um sich werfen; wie sie sich von den eigenen Widerstandskämpfern abwendet, deren Anschläge doch nur zu Strafaktionen und Massenerschießungen führen; und wie sie dabei ausblendet, dass Menschen jüdischen Glaubens aus ihrer Mitte verschleppt werden, um auf dem Kontinent in `Straflagern’ zu arbeiten.
Der überwiegende Teil des Romans jedoch dreht sich um sechs deutsche Soldaten und sechs walisische Frauen. Die Geschichte spielt 1944/45 - und nicht etwa direkt nach dem britischen Desaster von Dünkirchen -, weil Sheers Soldaten beschreiben wollte, die durch den Russlandkrieg menschlich verroht sind. Zu Beginn spielt der Funker Steiner mit dem Gedanken, Sarah Lewis zu vergewaltigen, und für einen Moment ist sein Hauptmann versucht, ihm seinen Willen zu lassen.
Eine zweite Hauptrolle neben den Menschen spielt die Landschaft. Verständlicherweise hat sich der walisische Autor für seinen Erstling ein Terrain ausgesucht, auf dem er sich sicher fühlt. Seine Oase des Friedens ist zugleich ein Ort, der den Farmern alles abverlangt. Deren Leben in der Natur ist von harter Arbeit gekennzeichnet. Im Winter sterben Schafe in Schneewehen, frieren Pferde zusammen, die sich aneinander drängten, um Schutz vor dem eisigen Wind zu finden. In dieser Situation werden Schlächter allmählich wieder zu Menschen: Der bayerische Bauer zähmt das wilde Pferd; der verstummte Schütze wird von der verwirrten Frau `adoptiert’, die ihre ganze Familie an den Krieg verlor; der Gefreite bändelt mit dem Teenagermädchen an; und der Arzt wird zum Geburtshelfer für das Vieh.
Dieses Buch erzählt seine Geschichte ruhig und distanziert, lyrisch und vielleicht gar elegisch - und schafft es trotzdem, eine ungeheure Spannung zu erzeugen. Je mehr der Leser vor allem über Sarah Lewis und Albrecht Wolfram (und in Rückblenden über ihr Vorleben) erfährt, desto mehr fragt er sich bang, wie dies einmal enden wird.
Dabei verzichtet Owen Sheers fast vollständig auf Gewaltausbrüche. Wenn einmal etwas potenziell Dramatisches geschieht, nimmt er regelmäßig den Ausgang vorweg und berichtet erst dann von den Einzelheiten. Das beginnt schon beim allerersten Satz ("In the months afterwards ...) und setzt sich mehrfach in ähnlicher Form fort. Als sich einmal Maggie Jones und der Bayer Otto Klepper über die Berge ins sechs Meilen entfernte Hay-on-Wye wagen, um dort Maggies jungen Hengst auf einer Farmmesse vorzustellen, beschreibt der Autor zuerst Sarahs Erleichterung bei ihrer Rückkehr, um erst dann im Einzelnen auf den Tag einzugehen.
Liest man meine Inhaltsangabe - und schaut sich das Titelbild an, auf dem Sarah Lewis von ihren walisischen Hügeln aus auf die Ebenen Herefords hinabblickt -, könnte man leicht glauben, eine billige Romance vor sich zu haben. Genau das ist Resistance gewiss nicht. Der Roman ist ein Stück ernsthafter Literatur, dessen Sprache man die dichterische Vergangenheit des Autors ansieht. Vielleicht ist das größte Verdienst dieses Romans, dass seine Menschen nie größer als das wahre Leben sind. Sowohl Albrecht als auch Sarah begehen im Verlauf der Handlung Taten, die sie moralisch in unseren Augen beschädigen. Gerade dadurch aber ergreift uns ihr Schicksal. Resistance ist kein Buch, dessen Lektüre auf schlichte Weise glücklich macht. Dieses eine Mal kommt nicht die US-Kavallerie geritten, um den Tag im Handstreich zu retten. Darum geht es hier nicht. Hier geht es um Menschen, ihre Sehnsüchte und Entscheidungen. Resistance ist ein Buch, an das man sich noch nach zehn Jahren erinnert und das den Leser vergessen lässt, dass Nazi-Deutschland nie einen Fuß auf englischen Boden setzte.
Themenbereich "Parallel Welten"
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