Serie/Zyklus: ~ Titel: Qual Originaltitel: Distress Autor: Greg Egan Übersetzer: Bernhard Kempen Verlag/Buchdaten: Heyne, erschienen: 1995 Besprechung / Rezension von Christian Plötz |
In der Mitte des nächsten Jahrhunderts werden wir Gewissheit haben: Es gibt keinen Thron im Himmel. Kein mystischer Schöpfer, der unser aller Geschicke lenkt. Es gibt nur uns. Die Gentechnologie ist soweit fortgeschritten, dass Geschlechtsunterscheidungen, Rassen und somit Nationalität und Ideologie frei wählbar sind. Lediglich der Kampf gegen die Wissenschaft trägt religiöse Züge. Dieser Fanatismus ist begründet, wenn doch reichen Leuten die Möglichkeit offensteht, ihren Organismus völlig von der Umwelt autark zu machen. Das bedeutet, sie können alte Autoreifen essen, mit Stoffen hantieren und Gase einatmen, die normale Menschen umbringen würden. Außerdem sind sie völlig immun gegen Viren und Bakterien, weil ihre DNA auf anderen Basenpaaren aufgebaut wurde. Diese selbsternannte Elite würde gern die restliche Menschheit auslöschen und eine neue Welt mit den von ihnen Auserwählten aufbauen.
Allerdings geht von solchen Spinnern weniger Gefahr aus, als von einer netten Physikerin, Mitte 40, die sich hauptsächlich damit befasst, mathematische Theorien miteinander in Einklang zu bringen um eine sogenannte "Universaltheorie" zu formulieren. Diese UT soll alle bisher aufgestellten Hypothesen, die einzelne Phänomene erklären, widerspruchsfrei zu einem riesigen mathematischen Modell des Universums machen. Allerdings glauben einige Fanatiker, dass durch die Formulierung einer solchen UT das Universum erst geschaffen wird. Also versuchen sie, alle zu töten, die das Universum nicht in ihrem Sinne formulieren. Außerdem sind einige Biotech-Konzerne daran interessiert, die Insel im Pazifik, auf der diese UT erstmals veröffentlicht werden soll, völlig zu vernichten, denn sie wurde durch gestohlene Gen-Patente erbaut. Auf dieser Insel hat sich eine völlig regierungsfreie Gesellschaft etabliert, die natürlich allen Mächten der Welt ein Dorn im Auge ist, beweist deren Existenz doch, dass die Abwesenheit von Hierarchie nicht automatisch zu Chaos führt. Und mittendrin ist ein Wissenschaftsjournalist, der sich eigentlich einen möglichst ruhigen Auftrag aussuchen wollte, hat ihn doch seine vorherige Dokumentation über die Ausartungen der modernen Technik psychisch arg gebeutelt ...
Anmerkung: Eine schöne neue Welt wird uns da verheißen, aber mal ehrlich: Wer glaubt denn, daß die Gentechnik eine saubere Technik ist, die keinerlei "Nebenwirkungen" hat, solange sie nicht missbraucht wird? Die Atomkraft wurde vor 30 Jahren ähnlich dargestellt und selbst wenn man ihren Missbrauch in Form von Atombomben außer acht lässt, ist Kernenergie keineswegs sauber. Vielmehr stellt der radioaktive Abfall ein genauso ernstes Problem dar, wie die Luftverschmutzung durch die erste industrielle Revolution. Genauso wird auch die Gentechnologie neue Probleme schaffen. Das Utopia, das am Anfang jeder neuen Technik herbeigesehnt wird, lässt Greg Egan im Pazifik entstehen. Eine künstliche Insel, eine perfekte Gesellschaft, umzingelt und angefeindet von unserer verdorbenen Welt. Dieses Buch verdient Aufmerksamkeit. Egan stellt seine Vision dar, wortreich und hervorragend gestaltet. Zum Happy End kann sich dann wieder jeder seine eigene Meinung bilden.
Ich kann dieses Buch wärmstens empfehlen. Endlich mal wieder Literatur, die diese Bezeichnung verdient, dabei aber nie so hochgestochen daherkommt, dass die Spannung oder der Unterhaltungswert flöten geht.
Bewertung: 8 von 10 Punkten
Eine Übersicht der Serie gibt es auf der Autorenseite
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