Der "Orbit Hospital"-Zyklus Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Ohne Zweifel ist der Orbit-Hospital-Zyklus von James White eines der Standardwerke der SF. In zwölf Bänden schuf James White eine Welt, die sich um ein gigantisches Krankenhaus am Rande der Galaxis konzentriert. Dass dieses Konzept so abwegig nicht ist, beweisen die vielen Krankenhausserien, die über die Mattscheibe flimmern. Doch in den 50ern, in denen White die Grundsteine für diesen Zyklus in Form von Kurzgeschichten legte, war noch nicht abzusehen, dass Menschen sich so sehr am Leiden anderer ergötzen würden.
Man stelle sich eine Station vor, die unglaublich riesig ist und das größte Krankenhaus in der Galaxis darstellt. Alle Wesen der Galaktischen Föderation, die über 60 Mitglieder umfasst, sind dort anzutreffen. Für alle Arten wurden Lebensräume geschaffen. Die Ärzte rekrutieren sich aus den unterschiedlichsten Rassen, und so kann es schon mal vorkommen, dass Patient, Arzt, Assistenzarzt und Krankschwester je einer anderen Art angehören.
Dass Wesen andere Spezies untersuchen und behandeln, liegt an sogenannten Lehrbändern. Diese sind Bewusstseinskopien medizinischer Größen verschiedenster Welten. Mit einem solchen Band kann man über das gesamte Wissen, aber auch das Wesen des aufgezeichneten Geistes verfügen. Manche Ärzte haben mehrere Bänder permanent gespeichert, und einige, die Elite des Hospitals, die Diagnostiker, haben sogar bis zehn Bänder gespeichert. Allerdings führt das dann oft zu Wesensveränderungen, denn manchmal kann es schon passieren, dass ein Diagnostiker an einer mehrfachen Schizophrenie leidet. Vor allem den spezifischen Vergnügungen der eigenen Art kann nur noch bedingt nachgegangen werden, weil mindestens eine der Bewusstseinskopien das verhalten als anrüchig, unakzeptabel oder zum Brüllen komisch findet. Meistens ist alles auf einmal der Fall. Dennoch finden sich die Diagnostiker damit ab und fühlen sich eigentlich ganz wohl in ihrem Club der multiplen Schizophrenen. Und an der Qualität ihrer Arbeit, bei der sie auf das Wissen von bis zu zehn Wesen verschiedenster Art zurückgreifen können, gibt es nie etwas auszusetzen.
Die Föderation an sich ist eine idealisierte Welt, die sich aus der Weltanschauung der 60er entwickelt hat. Alle leben in Frieden zusammen und man verfolgt mit einem enormen Aufwand das Ziel, weitere Rassen zu finden und diese nach Möglichkeit auch in die Föderation aufzunehmen. Und was bietet sich besser an, einer fremden Rasse den guten Willen zu zeigen, als einem Schiffbrüchigen dieser Rasse das Leben zu retten (auch wenn man zunächst noch gar nicht weiß, wie).
Obwohl die ersten Bände dieser Reihe in den 60ern geschrieben wurden, sind sie zeitlos verfasst, da der Autor sich nicht auf technische Spitzfindigkeiten eingelassen hat. Gerätschaften zur Untersuchung wurden genauso wenig beschrieben wie die ominösen Bänder zur Abspeicherung von Bewusstseinskopien. Seltsamerweise war James White in späteren Romanen nicht mehr sogenau, sodass einige der Beschreibungen heute schon zum leichten Schmunzeln anregen.
Vor allem das Klassifizierungssystem der Lebensformen in der Galaxis ist eindeutig ein Relikt aus den 50ern. Wir Menschen sind z. B. DBDGs: Das erste D steht für den Grad der Entwicklung (bezogen auf die menschliche Entwicklung, was irrtümlicherweise fast rechtsradikale Tendenzen bei White vermuten ließe). Der zweite Buchstabe steht für die Anordnung und Art der Gliedmaßen. Die letzten beiden Buchstaben stehen für Metabolismus und Lebensbedingungen. Es ist ein wenig nervend, dass die Beschreibung dieses Systems in der überarbeiteten Komplettausgabe der ganzen Reihe immer mit denselben Worten erfolgt. Es wäre viel besser gewesen, man hätte dieses Schema am Ende des Romans ausgiebig erläutert.
Der Zyklus lässt sich in drei logische Einheiten aufteilen:
Die erste Einheit bilden die ersten drei Bände des Zyklus. Hospital Station, Star Chirurg und Großoperation setzen sich aus zusammenhängenden Erzählungen zusammen und beginnen mit zwei Stories, die die Umstände um den Bau des Krankenhauses erläutern. Obwohl die ca. 10 Erzählungen zwischen 1950 und 1970 entstanden sind, hängen sie doch chronologisch aneinander und oft wird Vergangenes aufgegriffen und weitergeführt. So gesehen wurden aus den Erzählungen fast in sich geschlossene Romane.
Sehr bald wird die Hauptfigur der Serie eingeführt, die über insgesamt sechs Bände des Zyklus dominiert: der Arzt Conway. Es ist recht amüsant zu lesen, wie dieser sich zunächst nur schwer in dem multikulturellen Irrenhaus, bestehend aus mehreren Dutzend verschiedenster Spezies, zurechtfindet. Es versteht sich von selbst, dass die Unterschiede sich nicht nur auf Äußerlichkeiten reduzieren, doch manchmal macht es sich White ein wenig einfach. Vielleicht spielt aber auch das Alter der ersten Bände eine Rolle - wer weiß. Jedenfalls hat White postuliert, dass die Evolution auf anderen Welten immer in vergleichbaren Bahnen abläuft. So wird z. B. davon ausgegangen, dass sich immer die Rasse mit dem besten Überlebenskonzept durchsetzt und am Ende fast zwangsläufig Intelligenz entwickelt. Oder dass gewisse Grundwesenszüge bei allen Rassen vorhanden sind.
Natürlich gibt sich der Autor Mühe und hat eine Reihe fantastischer Spezies erfunden, die den Leser neugierig auf alle Details werden lassen. Jedoch lutscht sich dieses Konzept irgendwann ab, und so verliert der Zyklus zur Mitte hin ein wenig an Fahrt. Jedoch in den letzten Bänden, die alle jüngeren Datums sind, erzählt der Autor die Geschichte aus den Augen anderer Wesen weiter und auf einen Schlag wird das ganze Geschehen wieder interessant. Die Auswahl neuer Themen trägt ein Übriges dazu bei.
Die zweite Einheit bilden die Bände vier und fünf (Ambulanzschiff und Sector General), in denen die Ereignisse um das AmbulanzschiffRhabwar, das unter Conways medizinischer Leitung fremden schiffbrüchigen Wesen helfen soll, stehen. Allerdings bewegen sich diese Geschichten nicht weit von den ersten Romanen weg. So entsteht trotz einiger wirklich fantastischer Ideen bald eine gewisse Eintönigkeit.
Der Band fünf markiert eindeutig den Tiefpunkt des Zyklus. Danach jedoch gewinnt der Zyklus an Fahrt. Grund ist, dass White erkannte, dass das ewige "Wir-retten-einen-Schiffbrüchigen-vor-dem-sicheren-Tod-und-können-gleich-freundschaftliche-Beziehungen-mit-seiner-Rasse-aufnehmen" schon sehr abgenudelt war, und deshalb umdachte und begann, unterschiedliche Bereiche der Station aus der Sicht fremdartiger Wesen zu beschreiben. Zu den Nebenfiguren wie den sympathischen Empathen Prilicla und Conways Gefährtin, der Pathologin Mutchinson, wird mit dem Kommandanten des Ambulanzschiffes, Fletcher, eine Figur eingeführt, die nicht alles mit der Brille eines Arztes sieht.
Die dritte und zugleich beste Einheit des Zyklus bilden die Bände sechs bis zehn. Bevor ich jedoch näher auf diesen Höhepunkt des Zyklus eingehe, möchte ich darauf hinweisen, dass in der deutschen Ausgabe dem Heyne Verlag ein Fehler unterlaufen ist. Band sechs und sieben sind vertauscht worden, und da der siebte Band auf dem sechsten aufbaut, ist das sehr ärgerlich, wenn man den einen Band vor den anderen liest. Wenn ich also im weiteren Verlauf von Band sechs rede, meine ich Band sieben der deutschen Ausgabe und umgekehrt.
Band sechs, Der Wunderheiler, also beschreibt die Berufung Conways zum Diagnostiker. Wie bereits erwähnt, tragen Diagnostiker bis zu zehn Psychobänder fremder Rassen im Kopf. Dies kann schon mal dazu führen, dass die eine oder andere Persönlichkeit kurzfristig die Oberhand gewinnt und dass die menschliche Lebensgefährtin mit den Augen eines Melfaners oder eines Tralthaners nicht mehr attraktiv, sondern möglicherweise sogar abstoßend wirken kann. Das Gleiche gilt natürlich auch für den in einem Spiegel reflektierten eigenen Körper und natürlich für jegliche Nahrung. Dieser Band löst endlich die Frage, wie es wohl ist, ein Diagnostiker zu sein und wie man mit der multiplen Schizophrenie umgehen kann.
Ab dem siebten Band wird je eine neue Figur eingeführt, die dann für jeweils einen Band im Mittelpunkt steht.
Notfall Code Blau, der siebte Band der Reihe, brachte mit Cha Thrat eine neue, nicht humanoide Figur ins Spiel. Der sensible Einblick in die Welt Cha Thrats macht diesen Roman zum besten des Zyklus überhaupt. Dagewesenes erhält durch diese Sicht eine völlig neue Seite. Ein durch und durch gelungener Roman.
In Radikaloperation, dem achten Band der Reihe, befasst sich der Autor mit dem Problem der Falschdiagnose. Im Mittelpunkt steht der Arzt Lioren, der ein Volk wegen seiner ärztlichen Arroganz fast ausgerottet hätte. Für diesen Arzt bricht eine Welt zusammen und die Tatsache, dass die Wesen ohne seine Hilfe schon früher gestorben wären hilft ihm nicht,sein Versagen wegzustecken. Mühevoll findet er einen Weg, sich selbst und andere Patienten mit psychischen Problemen zu heilen. Auch Lioren iat nicht humanoid, wenngleich sein Wesen nicht so überzeugend wie das von Cha Thrat dargestellt wurde.
Chef de Cuisine ist ein eigenwilliges Buch, das hält, was der Titel verspricht. Es befasst sich mit der Versorgung der gewaltigen Station mit Essen und den Problemen, die daraus resultieren. Die etwas verrückte Idee greift zeitweise, driftet aber zum Ende hin in die ausgetretenen Pfade der Serie ab. Dennoch stellt dieses Buch größtenteils gute Unterhaltung dar.
Die letzte Diagnose, so der Titel des zehnten und letzten in Deutschland veröffentlichten Romans, hat einen etwas makaberen Beigeschmack, denn am 23. August 1999 verstarb James White. Doch ungeachtet des Titels ist James White mit diesem Buch wieder gelungen, neue Ideen zu verwirklichen und als neue Hauptperson einen Patienten zu wählen.
Das letzte Buch, Double Contact, ist in Deutschland noch nicht erschienen. In Amerika erschien es kurz nach dem Tode von James White. Es stellt den endgültig letzten Roman der Reihe dar. Dies ist eigentlich schade, denn entgegen sonstiger Gesetze ist der Orbit-Hospital-Zyklus zum Ende hin immer besser geworden.
Die Sector-General-Serie |
||||
Nr. |
Titel |
Originaltitel |
© Jahr |
Anmerkungen |
1 |
Die Weltraum-Mediziner |
Hospital Station |
1962 |
1965, Ü: Heinz Zwack, T 390/91 |
2 |
Der Kampf der Weltraum-Mediziner |
Star Surgeon |
1963 |
1965, Ü: Heinz Zwack, T 398/99 |
3 |
Die Ärzte der Galaxis |
Major Operation |
1971 |
1973, Ü: H. U. Nichau |
4 |
Das Ambulanzschiff |
Ambulance Ship |
1979 |
1980, Ü: Joachim Körber, M 3507 |
5 |
Sector General |
Sector General |
1983 |
1993, Ü: Kalla Wefel, H 4978 |
6 |
Der Wunderheiler |
Star Healer |
1985 |
1995, Ü: Kalla Wefel, H 4980 |
7 |
Notfall Code Blau |
Code Blue Emergency |
1987 |
1994, Ü: Kalla Wefel, H 4979 |
8 |
HealerRadikaloperation |
The Genocidal |
1992 |
1996, Ü: Kalla Wefel, H 4981 |
9 |
Chef de Cuisine |
The Galacic Gourmet |
1995 |
1997, Ü: Kalla Wefel, H 4982 |
10 |
Final Diagnosis |
1997 |
1999, Ü: Kalla Wefel, H 5114 |
|
11 |
noch nicht veröffentlicht |
Mindchanger |
1998 |
|
12 |
noch nicht veröffentlicht |
Double Contact |
1999 |
|
[Auf fictionfantasy.de rezensierte Bücher sind mit Link unterlegt und fett gekennzeichnet.]