Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Eglseer |
Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,
Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat,
Und auf dem Meere so viel unnennbare Leiden erduldet,
Seine Seele zu retten und seiner Freunde Zurückkunft.
Aber die Freunde rettet’ er nicht, wie eifrig er strebte;
Denn sie bereiteten selbst durch Missetat ihr Verderben:
Toren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers
Schlachteten; siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft.
Sage hievon auch uns ein weniges, Tochter Kronions.
Ob nun Homer der eigentliche Autor der Odyssee ist oder nicht - Wissenschaftler streiten in diesem Punkt wesentlich miteinander - der Text an sich stellt wohl DEN Klassiker der phantastischen Literatur dar. Nach dem Ende des trojanischen Krieges bricht Odysseus die Heimreise an, verärgert jedoch Poseidon, der fortan seine Heimkehr verhindert. Nach zehn Jahren Krieg vor Troja muss der griechische Held nun eine zehnjährige Reise unternehmen und die abenteuerlichsten Gefahren meistern.
Schon in den achziger Jahren entstanden die Entwürfe und zu "Die Odyssee". Die beiden spanischen Künstler Perez Navarro und Martin Sauri präsentierten schon 1982 auf dem Comicsalon von Lucca die ersten fertigen Seiten des Comics. Die lange Zeit bis zu einer Veröffentlichung hat dem Comic allerdings kaum geschadet. Wie die Odyssee selber sind Zeichungen und Text zeitlos. In einem sehr eigenen, klassischen Stil erzählt Martin Sauri die Geschichte Odysseus in eindringlichen schwarz/weiß-Grafiken. Feine Bleistiftzeichungen, mit Tusche verstärkt, präsentieren sich dem Leser als ein sehr detailiertes Bild der damaligen Gesellschaft. Mit viel Sinn für Einzelheiten, aber auch das Gesamtbild eines Panels oder einer ganzen Seite schuf Sauri hier ein beeindruckendes Kunstwerk. Sowohl in überwältigenden Totalen als auch in durchdringenden Nahaufnahmen zeigt sich die Bildgewaltheit. Dabei muss man sich allerdings keinen durchgehenden Comics im eigentlichen Sinne vorstellen, denn die Bilder sind alles andere als dynamisch. Tatsächlich steht jedes Panel im Grunde für sich selbst, stellt ein klassisches Gemälde dar, die zusammen dann eine gemeinsame Geschichte erzählen. "Die Odyssee" ist kein Werk, das man so schnell nebenher lesen kann, man muss sich tatsächlich mit ihm auseinandersetzen, damit arbeiten.
Begleitet werden die Zeichnungen durch die Texte von Perez Navarro, der sich, zusammen mit dem Zeichner, sehr nahe an der tatsächlichen Geschichte der Odyssee hält. Episode für Episode werden die einzelnen Abenteuer behandelt, bis Odysseus am Ende wieder seine Heimat erreicht - nur um festzustellen, das hier die letzte Bewährungsprobe auf ihn wartet.
Der bildgewaltige Comic ist universal zu empfehlen. Liebhaber griechischer Mythologien werden ebenso bedient, wie der anspruchsvolle Kenner der neuten Kunst. Eindrucksvoller kann man klassischen Stoff nicht umsetzen.
Volle Punktzahl und eine eindeutige Empfehlung!