Serie: ~ Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Glaubt man dem Inhaltsverzeichnis, fehlen mir in meinem Buch vierzig Seiten. Das angegebene Kurzportrait befindet sich bei mir auf Seite 159, ebenso die Quellenangaben. Im Inhaltsverzeichnis sind dafür jedoch die Seiten 199 und 200 vorgesehen. Aber vielleicht gehört das noch zum Konzept, und ich träume das alles. Und auf Seite 95 gibt es ein kleines Leseproblem.
Tobias Bachmann schreibt selbst in seinem Nachwort, er werde sehr oft als Träumer bezeichnet. Diese Bezeichnung mag sogar zutreffend sein, wenn man diese Kurzgeschichtensammlung von zehn seiner Erzählungen betrachtet. Lediglich drei der Erzählungen waren bereits veröffentlicht, der Rest ist für den Leser wahres Neuland. Was mir als Leser sehr gut gefiel, war die Möglichkeit, eine Art Mischung aus Fantasy und Grusel zu lesen, die weniger auf gewalttätigen Splatter setzt, sondern sich darauf beschränkt, ein Stimmungsbild zu zeichnen, in das eben der Leser eintaucht und den wenig ausgetretenen Pfaden des Autors folgt. Greifen wir die erste Erzählung auf, die den Titel "Traumfänger" trägt, erfahren wir als Erstes nichts. Es handelt sich hier um eine Art Einleitung, die Vorbereitung auf den Traum, den Eingang zur Tiefschlafphase. Um in die folgende erste REM-Phase zu treten, muss man nur der Erzählung "Novalis' Traum" folgen. Professor von Bülow schickt nach Herrn Novalis, weil er eine Apparatur entwickelte, die in der Lage sei, Träume aufzuzeigen und sogar selbst zu entwickeln. Diese Apparatur reizt natürlich den Freiherrn, der sich ausführlich mit den Träumen an sich und dem Vorgang insbesondere auseinandersetzt. Es folgt eine philosophisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung, in der sich die beiden Männer intensiv mit dem Thema beschäftigen. Gleich darauf werden wir in die in zehn Kapitel unterteilte Erzählung "Nine Inch Nails" gerissen. Mit einem Zitat der Musikgruppe beginnend, finden wir uns in einem Traum wieder, der nie zu enden scheint und von einem Traum in den nächsten überzugehen scheint. Die Frage, die sich dem Leser - und damit auch dem Handlungsträger Mettmann - stellt, ist: Wird die Selbstpfählung helfen? In der Erzählung "Sonnenfeuer" wird berichtet, wie Kinder einen Mann namens Bertold Scholz bei Tageslicht aus dem Haus locken, der sich dann im Glanz der Sonne selbst entzündet. Ein Wissenschaftler untersucht das fragliche Haus, da am Todestag von Berthold Scholz immer wieder Kinder verschwinden, aber niemand wagt, das Haus zu betreten. Was sich dann ereignet, scheint ein böser Alptraum zu sein. In "Die Treppe" lernen wir jemanden kennen, der den Alptraum gepachtet hat. Er muss einer Treppe hinab folgen, Stufe für Stufe, Schritt für Schritt. Aber er erreicht sein Ziel nie. Oder doch? Vielleicht sollten wir freiwillig "Die Anstalt des Doktor Ambrosius" aufsuchen? Allerdings fällt die Anstalt, wie auch das Haus von Berthold Scholz, einem Feuer zum Opfer. Der folgende "Besuch im Rhesus-Club" sollte wirklich nur den erlesensten und ausgesuchtesten Clubmitgliedern vorbehalten bleiben. Die Überraschung, ein Gründungsmitglied kennen zu lernen, steht Hermann ins Gesicht geschrieben. Wenn wir uns den "Türen der Vergangenheit" nähern, muss ich an "Die Treppe" denken. Dort öffnete sich keine Tür, und hier sind es Türen, die sich öffnen, wenn Wahnsinn auf klaren Verstand trifft. In all den Geschichten fühlte ich mich als Beobachter. Der Leser, der alles wie in einem Traum betrachtet, aber keinerlei Möglichkeit sieht einzugreifen. Ähnlich geht es dem Observer, in der gleichnamigen Erzählung. Man beobachtet, wird beobachtet, wird beim Beobachten beobachtet. Und ist der Leser der Beobachter, oder ist der Leser der Beobachtete? In "Alle Jahre wieder" finden wir uns im Monat der Überraschungen wieder. Eine Weihnachtserzählung der ganz besonderen Art.
Die Geschichten des Tobias Bachmann haben etwas Unwirkliches an sich. Damit kommen sie den traumähnlichen Zuständen sehr nahe. Zehn abwechslungsreiche Erzählungen greifen immer mal wieder auf eine der vorhergehenden oder nachfolgenden Geschichten zurück oder greifen vor. Im Großen und Ganzen kann man Tobias Bachmann durchaus mit Edgar Allan Poe, den er selbst zitiert, und mit Howard Philip Lovecraft vergleichen. Ähnlich diesen Vorbildern setzt er auf die Kraft des Wortes und der damit heraufbeschworenen Beschreibung, weniger auf blutige Gräuel.