| Serie/Zyklus: ~ Besprechung / Rezension von Jürgen Veith |
New York 1999 (Make Room! Make Room!) von Harry Harrison ist ebenso wie die Verfilmung von Richard Fleischer ...Jahr 2022...die überleben wollen inzwischen ein Klassiker der Science Fiction. Bereits 1966 geschrieben, behandelt es ein Thema, das damals - insbesondere in den Vereinigten Staaten - nicht auf der politischen und gesellschaftlichen Tagesordnung stand.
Die Erde steht kurz vor der Jahrtausendwende. Die Geburtenkontrolle funktioniert immer noch nicht. Die Welt ist maßlos überbevölkert. New York ist inzwischen bewohnt von 35 Millionen Einwohnern. Die Industrie ist zusammengebrochen. Medizinische Versorgung und Nahrungsmittel sind Luxusgüter geworden. Nur wenige Privilegierte können sich eine eigene Wohnung und natürliche Nahrungsmittel leisten.
Vor dieser Kulisse wird das Leben des Polizeibeamten Andrew Rusch erzählt. Dieser ermittelt in einem Mordfall an einem reichen Kriminellen. Der Mord sorgt für Wirbel in politischen Kreisen. Der von diesen erzeugte Druck zwingt Rusch, sich rund um die Uhr mit dem Fall zu beschäftigen. Dadurch verschwimmen Privatleben und Dienst für Rusch immer mehr. Er lernt die Gespielin des Opfers kennen und verliebt sich in sie.
Dann wird die Perspektive gewechselt und der Täter auf der Flucht beschrieben. Ist dieser wirklich ein Gewalttäter oder war es Notwehr? Mit der Zeit ist nicht mehr klar, wer in dieser Welt die Opfer und wer die Täter sind.
Von der ersten Seite an wird der Leser mitgerissen von dieser düsteren Zukunftsutopie, in der es keinen Platz mehr für den Menschen und für die Liebe gibt. Die Erde ist vollständig ausgebeutet und wartet nur noch darauf, wie eine Cola Dose zusammengedrückt und weggeworfen zu werden. Das einzige was zählt, ist das Überleben. Ruschs Mitbewohner, Sol, erzählt oft von der Welt, wie sie früher war, eine Welt wie wir sie kennen, die aber außerhalb des Vorstellungsvermögen von Rusch liegt.
Anders als die Verfilmung benötigt das Buch keine reißerische Auflösung, sondern lebt vom subtilen Schrecken und der Phantasie des Lesers. Das menschenunwürdige Dasein am Existenzminimum wird ruhig, ja fast kühl erzählt. Die Not und Frustration der Protagonisten wird mitgefühlt und hinterlässt beim Leser eine traurige Stimmung.
Die Story selber ist eigentlich eher dünn, man könnte es fast als Schnappschuss einer gar nicht so unwahrscheinlichen Zukunft empfinden. Die Handlung dient eher dazu, den Leser durch die unterschiedlichen Lebenssituationen in dieser Alptraumwelt zu führen. Auch die Ausarbeitung der Charaktere steht nicht im Vordergrund. So wird beispielsweise eine etwas unglaubwürdige Liebesgeschichte erzählt, bei der ein paar Sätze von Rusch ausreichen um ein Herz zu erobern, das zuvor eher auf materielle Begünstigungen angesprochen hat.
Macht aber nichts. Dafür wird eine Wahnsinnskulisse geboten. Eine Vision, die einem den Atem nimmt und nachdenken lässt! Das Werk ist 40 Jahr alt und legt den Finger in eine Wunde, von der viele noch gar nicht wissen, dass sie existiert. Ist der Mensch bereit zur Veränderung? Es ist eine altbekannte Erkenntnis der Psychologie, dass dazu sowohl Leidensdruck als auch Hoffnung nötig sind. Leidensdruck allein reicht meist nicht aus. Nicht selten führt dieser nur zur Verdrängung. Erst wenn ein Weg aus der Misere erkennbar ist, ist der Mensch bereit zur Veränderung. Und wo stehen wir?
Das Buch hat zu Recht Klassiker-Status. Ich verneige mich vor einem Autor, der es einerseits fertig bringt, so vergnügliche Romane wie die Zyklen "Stahlratte" und "Todeswelten" zu veröffentlichen, andererseits solch ein ernstes und ergreifendes Werk zu schreiben.
9 von 10 Punkten