| Titel: Necronomicon I und II Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Es ist schon Jahrzehnte her, seit ich Hans Ruedi Giger anlässlich eines Interviews kennen lernte. Leider gehört dieses zu den verlorenen Interviews - angesichts mehrerer Datenbankzusammenbrüche, die ich in den Jahren danach hatte. Es wäre sicherlich interessant geworden, das alte Interview gegen ein modernes Interview zu stellen. Wie heißt es so schön im Sprachgebrauch: "Es hat nicht sein sollen." Was hingegen sein sollte und schon lange überfällig war: die erneute Herausgabe von Necronomicon I und II.
Der Begriff Necronomicon geisterte schon Jahrhunderte in den Unterlagen von Alchimisten, Scharlatanen und Experimentatoren herum, bevor der Erfinder des modernen Gruselromans Howard Philip Lovecraft das Buch und den angeblichen Autor Abdul Alhazted in seinen Cthulhu-Mythos aufnahm. Hans Ruedi Giger hingegen griff den Begriff auf, um seine beeindruckende Bilderwelt auf Papier zu pressen und dem Kind einen Namen zu geben. Der Vater der Ausstattung der ALIEN-Filme bringt seine wundervollen Abscheulichkeiten zu Papier, gerade weil den wenigsten seiner Exponate auf Papier oder Leinwand Leben eingehaucht wurde. Der ungezügelte Wahnsinn, der sich zeigt, wenn man seine Bilder genau betrachtet, kann durchaus auf den Betrachter überspringen. Die Bild gewordenen Albträume sprengen jede konventionelle Vorstellung der Hölle, der Dämonen und der Fremdwesen. Necronomicon erschien früher als zwei getrennte Bände, und diese fanden zusammen, wie siamesische Zwillinge, die man getrennt hat und dann wieder zusammenwachsen ließ. Dadurch nimmt die Vielfalt von Herrn Gigers Zeichnungen eine visuelle Gestalt an, die nicht anders möglich wäre. Während sich viele seinen Werken nicht öffnen können und sie schlichtweg als Ekel erregend und abstoßend bezeichnen, wird Herr Giger von den anderen hoch gelobt, ja sogar als Vorbild verehrt.
Das Buch, im Format von 27 x 38 cm, ist etwas kleiner als die beiden vorherigen Einzelbände, die Bilder kommen aber wieder sehr gut zur Geltung. Während die großbändigen Vorgängerausgaben aus dem Lappan Verlag um die 50 DM kosteten, liegt nun ein kostengünstiger Band von nur 20 Euro vor. Sigmund Freud hätte sehr viel Spaß an diesen Bildern gehabt und deren erotische Phantasien allzu gern auseinandergenommen. Hans Ruedi Gigers düsteren Bilder haftet etwas Surrealistisches an. Es verwundert daher auch nicht, dass er Salvador Dalà in seinem Wohnort besuchte. Ohne jetzt mit dem Finger auf ganz bestimmte Stellen deuten zu können, bin ich der Ansicht, dass sich beide durchaus gegenseitig beeinflussten. Die Bilder beider, sagen wir aus Ermangelung eines besseren Begriffes, `Gestalter’ besitzen eine sehr große Anziehungskraft. Als Maler setzt Herr Giger immer wiederkehrende Motive ein. Da sind die endlosen Schläuche, mal maschineller, mal lebendiger Natur, die Phalli und Vaginen, die nackten Körper in Verbund mit Maschinenteilen und die Skelettteile in Verbindung mit monströsen Wesenheiten. Egal, wohin man schaut: Hässliche Babygesichter blicken einen an, blanke Knochen erinnern an die eigene Vergänglichkeit, verbunden mit einem schier unsterblichen Maschinenleben. Bei seinen auf Papier gebrachten abstrusen Vorstellungen kann man tatsächlich von biomechanischem Leben sprechen. Die Verbindungen von Mensch und Maschine mit der Sexualität werden zwischen Blasphemie und Kunstwerk angesiedelt. Sieht man sich den Bildband lange genug an, wirkt er durch endlose Wiederholungen von den genannten Bildteilen ermüdend. Sieht man sich Bild für Bild jedoch konzentriert an, entdeckt man in jedem Einzelheiten, die bei einem flüchtigen Drübersehen verloren gehen. Zudem wirkt die Gestaltung mit den unnahbaren grauen und blauen Farbtönen kalt und abstoßend. In vielen Fällen mag ich gar nicht von Farbe sprechen, da die dunklen, fast schwarzen Töne überwiegen und die tatsächlich eingebundene Farbe nur die Lichteffekte darstellt, um das Bild dreidimensionaler wirken zu lassen. Wenn er denn Farben benutzt, sind diese in grellen Tönen gehalten. Betrachte ich mir zum Beispiel die ganz in Rot gehaltenen Bilder 482, 513, 552 und 553, sehe ich aber auch seinen Einfluss auf andere Künstler. Die Comickünstler Pat Mills und Oliver Ledroit sind mit ihrer Bildergeschichte VAMPIIRRITTER direkt von Hans Ruedi Giger beeinflusst. Wie seine Bilder, die meist nur zwei, maximal drei Farben kennen, sind die Geschichten um den Vampirritter gestaltet. Die Farbarmut ist es letztlich, die den Blick des Betrachters auf die Einzelheiten der Bilder lenkt. Dabei ist es letztlich egal, ob er Bilder von Mensch-Maschinen oder Maschinen-Landschaften malt. Sie wirken immer ein wenig verstörend; in ihrer bizarren Umsetzung erinnern sie an Edgar Allen Poe oder eher noch an die zynischen Wortwelten von Howard Philip Lovecraft. Würde man jetzt hingehen und die Erzählungen eines William Hope Hodgson nehmen und seine Seefahrtserzählung auf Raumschiffe umschreiben, niemand anderes als Herr Giger käme mit seinen Bildwelten in Frage, die Wortwelten mit Leben zu füllen. Der Bildband NECRONOMICON ist unbestritten das Meisterwerk des vor fast siebzig Jahren geborenen Schweizers. Er ist ein begnadeter Erschaffer, ein Möbeldesigner, ein Filmausstatter, ein Künstler. Und bei ihm kommt Kunst von Können.