Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Ulrich Blode |
Die Bombe, eine Bedrohung der gesamten Welt, gar der menschlichen Zivilisation. Gemeint ist die Atombombe. Und wenn eine fällt, dann fallen alle. Es ist der nukleare Holocaust. Nach der Bombe ist der zehnte Band der Philip K. Dick Edition im Heyne Verlag, der lesenswerte Bücher des 1982 verstorbenen amerikanischen Autors wieder zugänglich macht. Im Nachwort, das aus den siebizger Jahren stammt, beschreibt Dick die Gründe für das Entstehen des Buches: "Damals, im Jahre 1964, habe ich jeden Tag damit (das Ende der Welt) gerechnet; ich habe deswegen sogar dauernd auf die Uhr geschaut."
Szenarien des atomaren Schreckens gibt es etliche, beispielsweise Eugene Burdicks und Harvey Wheelers Fail Safe (1962) oder Nevil Shutes On the Beach (1957, dt. Das letzte Ufer). Nicht von ungefähr erinnert der Untertitel How We Got Along After The Bomb an Stanley Kubricks Film Dr. Strangelove Or How I Stopped Worrying And Learned To Love The Bomb, der die Irrwitzigkeit des Gleichgewichts des Schreckens aufs Korn nimmt. Mehr haben Dicks Buch und Kubricks Film aber nicht gemein. Denn Dick schreibt eine andere, optimistische Geschichte, die vor allem nach der Katastrophe spielt. Die Menschheit überlebt, aber unter anderen Voraussetzungen. Eventuell muss man sich sogar mit Mutationen und intelligenten Tieren abfinden.
Dr. Bluthgeld ist ein hervorragender Wissenschaftler, dem bereits eine frühere Katastrophe angelastet wird. Entgegen den Berechnungen des Wissenschaftlerteams, dem er angehörte, ging der Fallout eines orbitalen Atomtests auf die Erde nieder. Bluthgeld fühlt sich verfolgt und steigert sich in einen Verfolgungswahn hinein. Die Paranoia und der unergründbare Hass dieses Wissenschaftlers sowie sein Bestreben zu verwirklichen, was machbar ist, begründet Dick wie folgt: "Es sind nicht die Russen, die ich fürchte, es sind die Dr. Bluthgelds - die Dr. Bluthgelds in unserer eigenen Gesellschaft."
Bluthgeld ist nicht unbedingt der zentrale Charakter des Buches. Da gibt es den Phokomelus Hoppy Harrington, der Prothesen hat und auf einem kleinen Wagen fährt, weil ihm Arme und Beine fehlen. Stuart McConchie, einen Schwarzen, der Verkäufer ist. Den Psychiater Dr. Stockstill und Bonnie Keller, die sich mit erfolglosen Affären durch das Leben schlägt. Wie Bluthgeld es genau macht, erfahren die Leser nicht, doch anscheinend löst er den Atomkrieg aus. Vielleicht ist es sogar das eigene Abwehrsystem, das sich gegen das Land richtet. Die Folgen sind jedoch bekannt. Die großen Städte sind zerstört, und die Menschen müssen sich neu einrichten. Die Entfernungen sind größer und die Städte kleiner geworden. Einsam umkreist Walt Dangerfield die Erde in seinem Rauschiff, das kurz vor der Katastrophe gestartet ist. Die letzte Stufe zündete nicht, ursprünglich sollte er zum Mars, und jetzt unterhält er die Überlebenden mit seinen Monologen und dem an Bord befindlichen Musikarchiv.
Auf der Erde kreuzen sich die Schicksale derer, die sich bereits vor Jahren flüchtig sahen. Bonny Kellers Tochter Edi hat einen Zwillingsbruder, der aber ungeboren in ihrem Körper weilt und deshalb nur mit Edi sprechen kann. Hoppy Harrington trachtet danach, die Macht zu übernehmen, denn sein technisches Wissen ist jetzt gefragt, während er vorher nur als Krüppel gesehen worden ist. Deshalb will er das Raumschiff Dangerfields übernehmen, um seine eigenen Botschaften zu verbreiten. Und eines Tages sieht Dr. Bluthgeld den Handelsreisenden Stuart McConchie, und als er sich an McConchie erinnert, beginnt er erneut, sich in seine Paranoia zu steigern. Dabei hatte McConchie ihn nur kurz von der anderen Straßenseite aus gesehen, vor Kriegsausbruch, als Bluthgeld den Psychiater aufsuchte. Dick verzweigt die einzelnen Lebensläufe miteinander und lässt sie wieder auseinander gehen. Zuletzt kann man von einem Happy End sprechen oder eher davon, dass das Böse nicht triumphiert.
Nach der Bombe ist erkennbar ein Dicksches Buch, wegen seiner Charakterbeschreibungen und wie er mit seinen Personen umgeht, auch wenn Dick sie pfleglicher behandelt als in anderen Geschichten. Der Roman ist geradliniger, im Gegensatz zu vielen seiner Romane, und wir befinden uns (vermutlich) in einer einzigen Realität. Philip K. Dicks Buch lebt von den Gegensätzen, seinen Träumen und Ängsten, die er hineinpackt. Es spielt in Marin County, Kalifornien, wo Dick eine Zeit lang lebte.
Nach der Bombe ist ein interessantes Buch, gewiss nicht sein Meisterwerk. Lesenswert allemal.