Titel: Nach dem Exodus Eine Besprechung / Rezension von Andreas Muegge |
Nach dem Exodus ist ein Sammelband, der 3 Kurzgeschichten von Theodore Sturgeon enthält.
Die erste Geschichte, Nach dem Exodus (Orig. If All Men were Brothers), beginnt wie eine Verschwörung. Charlie Bux schildert dem Archivvorsteher seine Probleme, zum Planeten Wexwelt zu gelangen. Aus irgendeinem Grund taucht der Planet fast nirgendwo auf und Versuche Charlies, zu diesem Planeten zu reisen, werden sabotiert. Es gelingt ihm schließlich doch und er erfährt, wieso die Regierung verhindern möchte, dass jemand von Wexwelt erfährt.
In dieser berühmten Geschichte greift Sturgeon ein heikles Thema auf: Inzest. Es ist bewundernswert, mit wieviel Hartnäckigkeit die persönlichen moralischen Vorstellungen hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt werden. Wie schon bei "The Skills of Xanadu" stoßen zwei grundlegend verschiedene Gesellschaften aufeinander, die nicht zusammen finden können. Das heißt aber nicht, dass die Menschen nicht die Seiten wechseln können ...
Die zweite Geschichte, Wenn man fühlt, wenn man liebt (orig. When You Love, When You Care), bricht ebenfalls Tabus. Die Erbin eines riesigen Vermögens kann sich praktisch alles leisten. Sie verliebt sich in einen Mann, der unheilbar krank ist und bald sterben wird. Wie kann sie ihren Mann retten? Sie denkt das Undenkbare und ist mutig genug, ihre Idee in die Tat umzusetzen. Mehr möchte ich gar nicht verraten, überzeugt euch selbst davon, wie gefühlvoll Sturgeon das Problem angeht und wie schonungslos Grundsätze vom Tisch gefegt werden. Stimme ich mit ihm überein? Nein. Verstehe ich ihn? Ja.
Die letzte Geschichte, Case und der Träumer (orig. Case and the Dreamer), beginnt wie eine normale SF-Geschichte. Bei einem Experiment mit einem neuen Überlichtgeschwindigkeitsantrieb gibt es einen Unfall und nur Case und Jani können sich retten. Sie stoßen nach über hundert Tagen auf einen Planetoiden, dann passiert etwas und Case treibt leblos in einem Sarg durch das Weltall. Er wird aufgenommen, wiederbelebt und versucht sich zu erinnern, was alles vorgefallen ist. Leid und Verzweiflung überschatten seine Erinnerung und langsam kommt Licht ins Dunkel. Vom Aufbau erinnert die Geschichte an "Baby is Three" (Mittelteil von More Than Human), dort wird ebenfalls in Rückblenden ein Geheimnis aufgedeckt. Über weite Strecken passiert nichts Außergewöhnliches, alles ist in ähnlicher Form schon einmal dagewesen.
Aber dann kommen die letzten Seiten und die Stimmung schlägt um! Die Ereignisse erscheinen in einem vollkommen anderen Licht und haben mich tief berührt. Unglaublich, mit wie wenig Worten ein Konflikt entsteht und Spannungen aufgezeigt werden, die vorher verborgen waren.
Wie ein roter Faden zieht sich das Thema Liebe durch alle drei Geschichten, selbst wenn sie zuerst eine andere Richtung einzuschlagen scheinen. Doch dann kommt die Offenbarung, man lehnt sich überrascht zurück und genießt die Welle des Verstehens, ist hin und weg von den Gefühlen der Protagonisten und wird eins mit ihnen. Vor jedem Autor, der so etwas schafft, ziehe ich meinen virtuellen Hut. Theodore Sturgeon war ein ganz großer Geschichtenerzähler.
Wertung: 7 / 7. Kurzgeschichten, die sehr nahe gehen und eine verborgene Seite zum Klingen bringen.
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