Serie/Zyklus: ~ Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Es dürfte wohl keinen SF-Leser geben, der den Namen William Gibson noch nicht gehört oder gelesen hat. Mit Neuromancer (1984) schuf er ein neues Subgenre der SF und wurde über Nacht weltweit bekannt. Viel ist in den letzten Jahrzehnten über ihn und sein Werk geschrieben worden, auch hierzulande. All seine Romane sind ins deutsche übersetzt worden und wurden beim Münchener Heyne-Verlag in Taschenbuchformat veröffentlicht. Mit dem Klett-Cotta Verlag, der vor allen durch die Herausgabe von Fantasy-Romanen bekannt ist, hat nun ein weiterer die Veröffentlichung von Gibsons Werke übernommen.
Die Ausstattung entspricht dem Stellenwert des Autors innerhalb des SF-Genres. Bei weitem nicht alle Autoren von Gibsons schriftstellerischer Qualität werden hierzulande in Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen verlegt.
Nach einer vierjährigen Pause bildet Mustererkennung den Auftakt einer weiteren, lose zusammenhängende Trilogie, deren weitere Romane ebenso ihren Weg zu uns finden dürften.
Die Handlung des Romans ist in der Gegenwart angesiedelt und wird ausschließlich aus der Sicht von Cayce Pollard geschildert, die ein Kind der grenzenlosen Kommunikation ist. Als Freelancerin arbeitet sie für diverse Firmen der Werbebranche. Sie verfügt über ein außergewöhnliches Talent was von diesen sehr nachgefragt wird. Cayce Pollard ist in der Lage aufgrund ihrer Fähigkeiten festzustellen, ob ein neues Werbelogo/eine neue Werbestrategie bei der jeweiligen Zielgruppe ankommt oder nicht. Ein Blick allein auf ein neues Logo oder Designstudien reicht, um dies zweifelsfrei festzustelle. Geirrt hat sie sich bislang nie.
Da ihre Auftraggeber weltweit agieren, kommt sie viel in der Welt herum. Den Kontakt zu ihren jeweiligen Auftraggebern und zu ihren Freunden/Verwandten hält sie mittels Handy und Internet. Gibson geht scheinbar davon aus, dass seine Leser ebenso agieren und mit den von ihm verwendeten Fachausdrücken oder Wortspielen umgehen können. Erklärungen bietet er ihnen nicht und die eine oder andere Anspielung mag unerkannt bleiben. Der Roman ist dadurch jedenfalls voll auf der Höhe der Zeit und des technisch machbaren. William Gibson, der seine ersten Romane noch auf einer Schreibmaschine verfaßte und zu Beginn seiner Karriere mit einem PC sehr wenig anzufangen wußte (was damals aufgrund der Romaninhalte umso erstaunlicher war) hat kräftig dazugelernt. Nichts wirkt aufgesetzt oder an den Haaren herbeigezogen. Selbst wenn der Leser nicht über solch eine technische Ausrüstung verfügt, wirkt nichts erdacht.
Auch aufgrund der gesamten Handlung ist der Roman nicht als SF zu bezeichnen, sondern vielmehr dem Krimi-Genre zuzurechnen. Cayce Pollard, die sich privat viel in diversen Chaträumen tummelt und für die das Internet ihr zweites zuhause darstellt, wird von ihrem letzten Auftraggeber mit einem besondern Auftrag betraut. Sie soll den oder die Macher einer besonderen Sorte von Video-Clips finden, die seit Monaten nach und nach im Internet auftauchen und auf dem Betrachter eine fast magisch zu nennende Wirkung haben. Auch Cayce ist von den Clips fasziniert und rätselt seit Monaten, wie viele andere auch, wer diese Video-Clips produziert hat. Selbst als Medien wie Fernsehen und Tageszeitungen auf diese Clips und den Hype um ihnen aufmerksam werden und darüber berichten, offenbart sich niemand.
Cayce soll nun das Geheimnis für ihren Auftraggeber lüften, der aufgrund der bisher erlangten Aufmerksamkeit ein Vermarktungspotential sieht. Mehr aus eigener Neugier nimmt sie diesen Auftrag an und schafft es tatsächlich mit Hilfe einiger Internetbekanntschaften alle offenen Fragen zu klären.
Wie in einem Krimi üblich gerät hangelt sie sich Schritt für Schritt der Lösung entgegen und gerät manches Mal selbst in Bedrängnis. Zudem ist für sie oftmals nicht klar wer Freund und wer Feind ist. Auch ihren eigenen Standpunkt überdenkt sie andauernd, denn ihr Auftraggeber handelt aus ganz eigennützigen Motiven, die ihren entgegenstehen.
William Gibson bietet seinen Lesern einen durchaus rasant verfaßten Roman, der aber bei weitem nicht mehr das Tempo hat wie seine ersten Werke. Sein Schreibstil ist ruhiger und zugleich reifer geworden, ohne dabei langweilig zu sein. William Gibson ist als Autor erwachsen geworden, wodurch der Roman eindeutig gewonnen hat.
Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist, dass die Auflösung des ganzen nicht erst zum Ende hin erfolgt, sondern schon ca. 100 Seiten vorher. Ein Ende übrigens, welches durchdacht ist. Den restlichen Raum nutzt Gibson, um alle bis dahin noch offenen Fragen zu klären und so einen runden Abschluß zu erreichen. Den Spannungsbogen kann er bis zum Schluß deshalb nicht mehr ganz halten.
Etwas aufgesetzt wirken die Passagen wo der die Geschehnisse des 11. Septembers verarbeitet. Cayce Vater zählt zu den Opfern des Anschlags und gilt seitdem als vermißt. Diese Passage beeinflußt die Handlung zwar in einem zentralen Punkt, wäre aber nicht zwingend notwendig gewesen. Zurecht mag sich der Leser fragen, warum William Gibson diesen Anschlag zwei Jahre später noch in seinem Roman verarbeiten muß. Zeitgeist hin oder her nicht alles sollte man als Autor in seine Werke einbauen. Vielleicht verstehen wir die Amerikaner als europäische Leser in diesem Punkt nicht richtig, genauso mögen diese den hiesigen Autoren vorwerfen, dass ständig der Zweite Weltkrieg in ihren Romanen mit eingebaut wird.
William Gibson hat mit Mustererkennung einen gut lesbaren Roman verfaßt, der weder dem Krimi-Genre eindeutig zuzurechnen ist und noch weniger der SF. So mag der eine oder andere SF-Leser nach der Lektüre enttäuscht den Roman aus der Hand legen, da er die für ihn wichtigen Versatzstücke des SF-Genres nicht vorgefunden hat. Krimi-Fans dürften den Roman wohl nur durch Zufall in die Hände bekommen, da er nicht als solcher beworben wird und der Autor dem SF-Genre zugerechnet wird.
Dennoch lohnt sich die Lektüre des Romans, denn William Gibson hat ein in sich stimmiges, vom schriftstellerischen her sehr reifes Werk verfaßt.
Mustererkennung - Rezensionsübersicht