Serie/Zyklus: ~ Titel: Mustererkennung Originaltitel: Pattern Recognition Autor: William Gibson Übersetzer: Cornelia Holfelder-von der Tann und Christa Schuenke Verlag / Buchdaten: Stuttgart: Klett-Cotta, 2004 Besprechung / Rezension von Jürgen Olejok Gibson's bisherige Werke, angesiedelt in einer zeitnahen Zukunft, extrapolierten das Zeitgeschehen der Achtziger und Neunziger Jahre, nutzten zukünftige technische Errungenschaften und beschrieben ein glaubwürdiges Horrorszenario der zukünftigen sozialen Entwicklung. Die Bücher wurden zur Kultliteratur eines Genres, dem Cyberpunk. Mit Mustererkennung versucht sich William Gibson bei dem vorliegenden Buch erstmalig an einem Gegenwartsroman. |
Dieser Schritt in Richtung Mainstream-Literatur hat schon so manchen ehemaligen SF-Autor in den finanziellen Ruin gedrängt, einzelnen Schriftstellern ist dieser Wechsel mehr oder weniger gut gelungen. Die Erwartungen an das neue Buch waren sehr hoch; gilt doch Gibson's Schreibstil als besonders exklusiv und eigen. Man war gespannt, ob es ihm gelingt, seinen nervösen und hetzenden Stil ausserhalb der SF-Welt zu etablieren.
Inhaltsangabe
Seit einiger Zeit tauchen im Netz geheimnisvolle Clips auf, die weltweit einen Kult ausgelöst haben. Auch Cayce fiebert jedem neuen Clip entgegen - was steckt dahinter? Ihre Recherche führt sie ins Machtzentrum unserer globalisierten Gesellschaft. Cayce Pollard ist eine teure und auf unheimliche Weise intuitive Marketing-Beraterin. Während sie in London einen Auftrag ausführt, wird ihr ein Job angeboten: Sie soll jener Serie von geheimnisvollen Clips nachspüren. Als jedoch Unbekannte in die Wohnung ihres Freundes, in der sie in London wohnt, eindringen und ihren Computer hacken, wird ihr allmählich klar, dass es um mehr geht, als sie bisher geglaubt hatte.
Gibson nimmt den Leser mit auf eine Reise in das Dickicht des Molochs Tokyo und in die Weiten des neuen russischen Kapitalismus. Während die Szenen im Dschungel der japanischen Großstadt Gibson-typischen Wiedererkennungswert besitzen, wird der Ausflug in das neue Rußland zum erzählerischen Desaster. Der Autor verzichtet an dieser Stelle auf seine Phantasie und liefert eine nüchterne Beschreibung, die nichts mehr von der irrealen Atmosphäre der anderen Schauplätze besitzt. Den Spannungsbogen kann Gibson zwar noch aufrecht erhalten, aber die Geschichte verliert immer mehr an dem, was Gibson's frühere Werke auszeichnete... die Faszination des Aussergewöhnlichen.
Der Handlungsablauf wirkt ab einem gewissen Punkt teilweise erschreckend holprig und offenbart die Schwäche der Geschichte an sich. Was sich anfänglich ganz angenehm als Einstieg in die Welt der Netz-Szene und der Informationsgesellschaft liest, entpuppt sich mit zunehmender Seitenzahl als verworrenes Konstrukt aus Fragmenten von Ideen und einer mässigen Story.
Irgendwie wird man auch den Verdacht nicht los, dass die Anschläge vom 11. September nicht in die Planung des Buches passten. Gibson versucht dieses schreckliche Ereignis in die Story zu integrieren, aber es gelingt ihm nicht, einen echten Bezug zur Geschichte zu schaffen. Zwar versucht er gegen Ende, Handlungsfaden und Auswirkung des Anschlags zu verbinden, aber diese Lösung wirkt äusserst improvisiert.
Die Fähigkeit Gibson's, Protagonisten zu erschaffen, die enzigartig anders sind und Eigenschaften bzw. Interessen fernab jeglicher Normalität besitzen, war ein Erfolgsgarant seiner Werke. Auch diesmal glänzt sein Können in diesem Bereich besonders stark auf und kann dadurch von der Unzulänglichkeit der Story ein wenig ablenken. Egal ob es die Hauptakteurin Cayce Pollard ist, die neben einem untrüglichen Sinn für Marketingmaßnahmen auch eine Neurose gegenüber bestimmten Markenlogos besitzt, oder die Randfigur eines Sammlers, der aus vielen alten ZX-81 Computern ein Kunstwerk erschaffen will... seine Charaktäre besitzen immer die Aura des Ungewöhnlichen. Das macht sie interessant und wegen ihrer Schwächen oder Eigenheiten liebenswert.
Fazit
Gibson versucht, die Sprache des Cyberpunk zu kultivieren und in der Gegenwart anzusiedeln. Er bemüht sich um einen sprachlichen Konsens zwischen der früheren Computergeneration, die vor 20 Jahren seine CP-Storys begeistert gelesen hat und seinem älter gewordenen Publikum, das sich seit Erscheinen von Neuromancer weiterentwickelt und mittlerweile seine Werte neu definiert hat. Dieser Versuch ist gelungen. Seine nervöse und hetzende Art, in kurzen Sätzen stakkatoartig ein Gefühl zu beschreiben oder einen Umstand zu erklären, funktioniert auch hier. Seine Stärke, fiktiven Romanpersonen durch manchmal absurde Leidenschaften und Eigenheiten Leben einzuhauchen, hat etwas Einzigartiges.
Leider ist der Wechsel zur Gegenwartsliteratur mangels einer gut durchdachten Story nur ein halber Erfolg geworden. Das Konstrukt von Teilgeschichten, die für sich alleine eine gewisse Faszination besitzen, zusammengebaut und auf Roman-Niveau gestreckt, hinterlässt den Eindruck des Unfertigen.
Die hochgesteckten Erwartungen, die man an dieses Buch hatte, werden nur ansatzweise erfüllt und es bleibt dem Leser zu entscheiden, ob Gibson's herausragender Stil die eklatanten Schwächen der Story zu einem kleineren Übel degradiert.
Mustererkennung - Rezensionsübersicht