Serie/Zyklus: ~ Titel: Mustererkennung Originaltitel: Pattern Recognition Autor: William Gibson Übersetzer: Cornelia Holfelder-von der Tann und Christa Schuenke Verlag / Buchdaten: Stuttgart: Klett-Cotta, 2004 Besprechung / Rezension von Ulrich Blode |
William Gibson, geboren 1948, wurde durch sein Romandebüt Neuromancer (1984) weit über die Grenzen des Science Fiction-Genres bekannt. Bisher veröffentlichte er außer der Kurzgeschichtensammlung Burning Chrome (dt. Cyberspace) lediglich sieben Romane. Einer davon, The Difference Engine (dt. Die Differenzmaschine), schrieb Gibson mit seinem Kollegen Bruce Sterling. In dem vorliegenden Roman Mustererkennung widmet sich William Gibson weniger der Science Fiction als vielmehr der Gegenwart.
Hauptfigur ist Cayce Pollard, die ihren Vater beim Anschlag auf das World Trade Center am 11. September verlor. Sie ist eine selbstbewusste Freiberuflerin mit einem Talent Trends, eben Mustern, nachzuspüren. Beruflich schätzt sie die Erfolgschancen von Marken ein und reist nach London zum Unternehmen Blue-Ant, einem der weltgrößten Sportartikelhersteller. Andererseits trägt sie wegen ihrer Markenüberempfindlichkeit ausschließlich CPU (Cayce-Pollard-Utilities), d. h. Kleidung mit wenig Wieder- erkennungswert an denen sie alle Markenzeichen entfernt. In ihrer Freizeit begibt sie sich ins Internet und verbringt dort einen Großteil ihrer Zeit und hat mit Parkaboy eine Art von Freund gefunden. Bei ihrem Aufenthalt in London erhält Cayce ein Auftragsangebot von Hubertus Bigend. Sie soll den Erfinder der mysteriösen Clips ausfindig machen, die seit einiger Zeit im Internet auftauchen. Es sind Filmfragmente unbekannter Herkunft. Niemand kann die kleinen Filmszenen zuordnen und es bilden sich regelrechte Fraktionen, die unterschiedlichen Ideen anhängen, welche Bedeutung die Clips haben. Inzwischen gibt es insgesamt 135 der kurzen Szenen. Bigend sieht in dem Macher ein großes Talent und will ihn oder sie fördern.
Bei der ersten Übersetzung von Neuromancer gab es noch Anmerkungen des Übersetzers, um dem Leser die technischen Details zu erklären. Heute passiert das nicht mehr. Googeln ist ein gebräuchliches Wort geworden und die Schilderung eines Forumbesuchs mag bei einem oder anderen Leser Déjà -Vu Gefühle hervorrufen.
"Sie geht jetzt ins eigentliche Forum, überfliegt automatisch die Titel der Postings und die Namen der Absender in den neueren Threads, hält Ausschau nach Freunden, Feinden, Neuigkeiten. (...) Es gibt etwa zwanzig Leute, die regelmäßig im F:F:F posten, und eine unbekannte, aber wesentlich größere Zahl von Mitlesern. Im Moment sind drei Leute im Chat, aber wer das ist, weiß man erst, wenn man selbst drin ist (...)"
Mustererkennung ist einer der wenigen Gegenwartsromane, die die technologische Durchdringung der Gesellschaft berücksichtigen. Bei Gesprächen über ältere Computermodelle, wie den ZX-81, kann zwar nicht jeder mithalten, doch erhält man ein Gefühl dafür, dass Computer Gebrauchsgegenstände geworden sind. Ein weiteres Augenmerk richtet der Autor auf die vielen Marken und Logos, die in der Welt vorkommen, und mit dieser Welt spielt. Haben doch Künstler, Produkte und Marken ihre Bedeutung über Vermarktung erhalten, egal wie gut oder schlecht der Inhalt ist. Das und die Reaktion der Menschen darauf spiegeln den Zeitgeist wieder.
Überzeugend kommen die Charaktere daher. Gibson lässt ihnen den nötigen Freiraum sich zu entfalten, und den Lesern ausreichend Zeit ihnen zu folgen. Dabei ist Mustererkennung mit 460 Seiten für heutige Verhältnisse noch nicht einmal ungewöhnlich lang. Sein Stil ist gut und treffsicher schildert Gibson die unterschiedlichsten Situationen. Zeichnete sich Neuromancer in seiner Erzählstruktur und Handlungswechseln noch durch eine Unruhe aus, tritt hier das Gegenteil ein. Die Leser werden mit sicherem Gespür an die Hand genommen und bis ans Ende geführt. Zwar lässt sich das Ende durchaus schon vorher erahnen, aber der Schwung reicht auch für die letzten Seiten.
Es ist nicht William Gibsons brillantester Roman, wie seinerzeit Neuromancer, der so etwas wie eine Initialzündung für den Cyberpunk darstellt. Doch handelt es sich hier um einen überdurchschnittlich gut erzählten Roman. Mustererkennung ist keine Science Fiction, manches erscheint eher kurios. Hinzu kommt ein schöner Humor. Mustererkennung eignet sich deshalb auch für die Leser, die bisher mit William Gibsons Werken wenig anzufangen wussten. Und wer Gibson bereits kennt, sollte bei seiner neuesten Geschichte nicht enttäuscht werden.
Im Jahr 1984 schrieb William Gibson auf seiner Schreibmaschine, einer Hermes 2000, über die Zukunft. Heute schreibt er über die Gegenwart und erscheint immer noch modern.
Fazit: Kleinere Schwächen beeinflussen nicht das Gesamtbild. Der Verlag Klett-Cotta bringt einen empfehlenswerten Gibson heraus.
Mustererkennung - Rezensionsübersicht