In More Than Human entwirft Theodore Sturgeon einen neuen Menschen, der die nächste Evolutionsstufe erklimmt: den homo gestalt. Dabei handelt es sich aber nicht um ein einzelnes Individuum, sondern um eine Gruppe von 5 Außenseitern, die zueinander finden: Lone ist telepathisch veranlagt, aber ein Idiot; 2 Geschwister können teleportieren, unterhalten sich aber mit wirren Lauten die nur sie verstehen; Janie verfügt über telekinetische Fähigkeiten und schließlich ist da noch ein mongoloides Baby mit einem computer ähnlichen Gehirn, aber in der Entwicklung gehemmt. Wie diese Gruppe zueinander findet, wird im ersten Abschnitt beschrieben. Begeistern kann der poetische und einfühlsame Stil von Sturgeon, selten gelingt es einem Autoren, so lebendige Charaktere zu erschaffen. Lone hat mich stark an die Kurzgeschichte It erinnert, auch dort taucht der Leser in eine völlig andere, in sich stimmige und konsitente Gedankenwelt ein. Nach dem sehr starken Beginn hat mich etwas gestört, dass die Handlung zu wenig vorangetrieben wird. Die Personen werden vorgestellt ohne miteinander zu agieren, es fehlt etwas zu einer richtigen Geschichte.
Im zweiten Teil, der auf der Kurzgeschichte Baby is Three basiert, geht es richtig zur Sache. In einer Psychatersitzung erfährt der Leser, was in den letzten Jahren passiert ist und wie sich der homo gestalt weiterentwickelt hat. Immer mehr spitzt sich die Situation zu bis zum eindringlichen Finale. Wer hat Recht, was ist erlaubt und wie definiert sich ein Wesen, dass aus verschiedenen Individuen besteht? Ganz nebenbei wird sogar das Thema "Rassendiskriminierung" angeschnitten mit der für Sturgeon typischen, hartnäckigen Art. Er hakt solange nach, bis der Gegenüber keine vernünftige Antwort mehr weiß und anerkennen muss, dass der Unterschied zwischen weiß und schwarz nicht "gesetzmäßig" ist. Ähnliches schafft er mit dem Thema "Inzest" in der Geschichte Wenn alle Menschen Brüder wären (übrigens sehr empfehlenswert).
Der Beginn des dritten Teiles ist überaus zäh. Es gibt schon wieder eine Rückblende, allerdings von einem völlig neu eingeführten Charakter. Der junge Hip hat große Ähnlichkeit mit dem jungen Sturgeon, er muss erst seinen Platz in der Gesellschaft finden und eckt mit seiner Arroganz an. Mir haben die Erlebnisse in der Armee und die Suche nach dem Antigravitationsgerät nicht gefallen, sie haben wenig mit den vorherigen Seiten zu tun und fügen nur eine weitere Episode an. Erst am Ende trifft man wieder auf den homo gestalt und erlebt einen ganz neuen Konflikt: wie handelt man moralisch und ethisch, wenn man alleine bzw. etwas Neues, Besseres ist? Die philosophischen Gedanken geben dem Buch die entscheidende Wendung und führen zu einem würdigen Abschluss.
Mir fällt es schwer, das Buch angemessen zu bewerten. Auf der einen Seite stehen der begeisternde Mittelabschnitt und die überall aufblitzende Genialität von Sturgeon, auf der anderen Seite ist da der quälende dritte Teil und das Fehlen eines roten Fadens zu Beginn. Ich gebe auf jeden Fall eine Empfehlung ab (nicht nur für SF Fans), von mir bekommt das Buch aber nur 3 von 5 Sterne.
August 2005
Die ersten ihrer Art - Rezension von Rupert Schwarz
Eine Übersicht der Serie gibt es auf der Autorenseite
[Auf fictionfantasy.de rezensierte Bücher sind mit einem Link unterlegt und fett gekennzeichnet.]