Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Bei Bastei-Lübbe erhalten Kurzgeschichtensammlungen weiterhin ihr Chance. Zwar auf niedrigem Niveau, was ihre Anzahl innerhalb des Gesamtprogramms angeht, aber immerhin werden sie in diesem Taschenbuchverlag noch verlegt. Bereits im letzten Jahr erschien unter dem Titel „Unendliche Grenzen“ eine Zusammenstellung vier längerer Geschichten von bekannten Autoren wie Peter F. Hamilton und Stephen Baxter, die im angloamerikanischen Raum recht erfolgreich war.
In MOLOCH hat sich das Konzept nicht verändert. Wiederum sind vier international bekannte Autoren mit längeren Erzählungen vertreten. China Miéville zählt zu den Shootingstars der SF-Szene. Seine Romane, die eine wilde Mischung von Horror, SF und Fantasy-Elementen bieten, sorgten nicht nur in Großbritannien oder den USA für Aufsehen, sondern wurden allesamt ins deutsche übersetzt und bei Bastei-Lübbe als Taschenbuch verlegt. So ist es denn auch nicht verwunderlich, wenn sich sein Name an oberster Stelle auf dem Cover wieder findet, obwohl seine Story erst an zweiter innerhalb des Buches zu finden ist.
Michael Moorcock zählt ebenfalls zu den bekannteren SF-und Fantasy-Autoren und wird aktuell hierzulande verlegt. Er kann bereits auf eine Jahrzehnte umfassende, schriftstellerische Laufbahn zurückblicken.
Paul di Filippo und Geoff Ryman dürften hierzulande nicht jedem ein Begriff sein. Von Geoff Ryman erschienen vor Jahren zwei SF-Romane beim Heyne-Verlag innerhalb der SF-Reihe.
Thematisch gesehen stehen die Kurzromane unter einem Oberbegriff, wobei der negativ besetzte Moloch für unser Verständnis wesentlich passender ist wie Cities, so dass der Buchtitel die inhaltliche Bandbreite der einzelnen Kurzromane spiegelt.
In „Ein Jahr in der linearen Stadt“ von Paul di Filippo entführt der Autor seine Leser in eine Welt, die keinen Anfang und kein Ende zu haben scheint. Die bekannte Welt ist eingeteilt ins Blocks, die vom Gleiswärts und Flusswärts begrenzt ist, d.h. auf der einen Seite begrenzt ein breiter Fluss und auf der anderen Seite ein großes Gleisband die Welt. Ein „Darüber hinaus“ gibt es nicht. Die Menschen leben auf einem schmalen Band, welches sich rechts und links ihres Blockes endlos fortführt. Niemand kann mehr sagen, ob ihre Vorfahren die Blocks und ihre Technik erbaut haben oder woher letztlich die gesamten Lebensmittel und benötigten Ersatzteil stammen. Ausgefallene Technik wird repariert und Lebensmittel/Ersatzteile werden in mehr oder weniger regelmässigen Abständen geliefert.
Obwohl die Stadt für den einzelnen nicht zu begreifen, ihre Gesamtausdehnung nicht zu erfassen und bereits 10000 Blocks weiter eine ganz andere, menschliche Zivilisation vorzufinden ist, mit ganz anderen gesellschaftlichen Regeln und Sprachen, existiert anscheinend eine übergeordnete Instanz, die alles am Laufen hält.
Paul di Filippos Vision einer Stadt ist aufgrund ihrer Begrenztheit und ihrer gleichzeitig nicht zu erfassenden Ausdehnung für den Leser kaum vorstellbar und beflügelt dessen Phantasien, denn alles erscheint auf diesem Band möglich zu sein. Die eigentliche Handlung um einen jungen Schriftsteller, dessen Kurzgeschichten die begrenzt erscheinende Vorstellungskraft seiner Mitmenschen sprengt und der teilnimmt an einer Reise in eine weit entfernte Gemeinde, bietet lediglich bekannte Handlungselemente. Das unerwartete liegt in dem Dahinter.
„Spiegelhaut“ hingegen ist in London angesiedelt, aber einem entvölkerten und in weiten Teilen zerstörten London. Da es sich um eine britische Kurzromansammlung handelt, dürfte es nicht verwundern, wenn London als Handlungsschauplatz herhalten muss. In China Miévilles Beitrag sind die menschlichen Spiegelbilder aus ihrer Welt jenseits der Spiegelhaut herausgetreten und rächen sich nun für all die Demütigungen, die ihnen aus ihrer Sicht die Menschen beigefügt haben, indem sie immer mehr spiegelnde Flächen herstellten. Damit verloren die Spiegelwesen ihre Eigenständigkeit, wurden und blieben abhängig von ihrem Original und konnten kein eigenes Leben mehr führen. Indem sie aus ihrer Welt heraustraten in die menschliche und diese zerstörten, erlangten sie die Freiheit.
China Miévilles Stärke liegt in seinem Erfindungsreichtum von außergewöhnlichen Ideen und Handlungsschauplätzen. Die Handlung an sich ist dann weniger spektakulär als es die Rahmenhandlung vermuten läst. Die Darstellung einer beinahe entvölkerten und zerstörten Großstadt ist dem Leser bereits aus anderen Romanen und Kurzgeschichten bekannt und auch die Handlung an sich bietet wenig außergewöhnliches. Solches findet man hingegen im eigentlichen Hintergrund der Geschichte, die einmal mehr das Talent des Autors unter Beweis stellt. Bei ihm erhalten die Spiegelwesen einen eigenen Handlungsstrang, dem der Leser dann einen Großteil der Informationen über diese Wesen entnehmen kann.
„Firing the Cathedral“ von Michael Moorcock verfügt über einen ganz eigenen Aufbau. Zu Beginn jedes Kapitels werden vor allem Zeitungsausschnitte nach der Zeit des 11. Septembers 2001 zitiert. Weitere Sprüche und Ausschnitte aus Reden ergänzen diese. Moorcocks Welt basiert auf der heutigen und hat sich im negativen Sinne gesehen weiterentwickelt. Die gesamte Handlung ist ein wenig überdreht und so ganz konnte ich nicht nachvollziehen, was der Autor seinen Lesern mit dieser Story sagen möchte. Sie kann durchaus als Kritik an der amerikanischen Politik verstanden werden, denn die gegenwärtigen Ereignisse bilden den Grundstein von Moorcocks Story, der ein wenig die Handlung abhanden gekommen ist. Sicherlich die am schwierigsten zu lesende Story, die nach einer zweiten Lektüre verlangt.
Geoff Ryman bewegt sich mit „S.A.S“. auf leichter nachzuvollziehenden Pfaden: aus der Sicht eines reichen Pensionärs, der seinen Lebensabend in einem feudal ausgestatteten Altersheim verbringt. Obwohl er für jede Dienstleistung bezahlen muss und Schikanen seitens der Ärzteschaft zu ertragen hat, geht es ihm vergleichsweise ordentlich. Seine Welt gerät ins Wanken, als eine Gruppe alter Menschen anfängt zu rebellieren und durch Überfälle die Gesellschaft gegen sich und ihre Altersgenossen aufbringt, denn letztlich werden die durchaus auch gewalttätigen Aktionen einen Stimmungswechsel gegen alte Menschen beflügeln. Der Hauptfigur kommt diese gesteigerte Aufmerksamkeit gar nicht recht, denn als ehemaliger Mitarbeiter einer IT-Sicherheitsfirma verfügt er nicht nur über das notwendige Wissen, welches auch die randalierenden Alten für die Durchführung ihrer Aktionen besitzen müssen, und gerät dadurch in den Focus der Sicherheitsorgane, sondern seine finanziellen Mittel für seinen Lebensabend beschafft er sich indem er die Computer anderer hackt. Einer schärferen Kontrolle kann er sich somit dauerhaft nur entziehen, wenn es ihm gelingt die Mitglieder der Gruppe zu enttarnen. Gegen alle Wahrscheinlichkeiten ist ihm einer der Täter bekannt und er in der Lage die Gruppe zu stoppen. Die Grundidee ist gut in Szene gesetzt und verfügt über einen glaubwürdigen Schluss. Hingegen dient die Welt alter Menschen von morgen lediglich als Handlungsgerüst, hat lediglich in Teilbereichen mit der Realität zu tun und passt insgesamt nur mühsam in den Kontext der anderen Geschichten. „S.A.S.“ ist die konventionellste Story des Bandes.
Es hat Spaß gemacht innerhalb kürzester Zeit in vier ganz unterschiedliche Welten eintauchen zu können. Dazu noch von vier bekannten SF-Autoren unserer Zeit. Wie immer bei solchen Zusammenstellungen dürfte jeder Leser seine ganz eigene Wertung der einzelnen Kurzromane vornehmen. Im Vergleich zur letzt jährigen Sammlung fällt diese vor allem vom schriftstellerischen her doch ein wenig ab. Vor allem der letzte Beitrag von Ryman ist als zu konventionell und unpassend im Vergleich mit den anderen drei zu bezeichnen.