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Titel: Modern Wargames Eine Rezension von Gloria Manderfeld |
Was wäre wenn - mit diesem Gedanken spielt auch Jorge Magas Debutroman 'Modern Wargames', in dem er seine Protagonisten in eine Welt nach dem Klimagau entführt. Die nördliche Hemisphäre ist von Schnee und Eis bedeckt, die Menschen können dort nur noch dank modernster Technik in von Kuppeln geschützten Städten leben. Aber auch auf dem Rest des Globus müssen Schutzmaßnahmen getroffen werden, um vom feindseligen Klima verschont zu bleiben.
Dies gelingt nur dank ausgereifter Technik, die auch im Alltag der Menschen ihren Einzug genommen hat: Die Gesellschaft ist nun in zwei isoliert voneinander lebenden Klassen geteilt, den 'Servern', welche den Großteil der Bevölkerung darstellt und welche man als Arbeiterklasse bezeichnen könnte, und den 'Clients', die in Reichtum und Luxus leben, ohne jemals direkten Kontakt mit 'Servern' aufnehmen zu müssen. Die meisten modernen Arbeitsplätze finden sich inzwischen zuhause - dank der UNIT, einer fortschrittlichen Cybertank-Steuerungseinheit, die dem Benutzer erlaubt, einen Roboter am anderen Ende der Welt zu nutzen und mit diesem die notwendigen Handgriffe seines jeweiligen Jobs auszuführen. Allerdings ist es auch möglich, die UNITs für Computerspiele zu benutzen, was zum Kernthema des Romans führt.
Die Protagonistenfamilie aus der 'Server'-Klasse, der Informationstechniker Eric, seine Frau Lucy und Erics Sohn Frederick, führt ein relativ normales und von wenigen Höhen und Tiefen bewegtes Leben in Nouveau-Paris, einer Stadt auf der Nordhalbkugel, die auf und unter den Ruinen des einstigen Paris erbaut wurde. Fredericks Begeisterung für realistische Gewaltspiele, vor allem 'Modern Wargames', in welchem man in die Rolle eines Soldaten schlüpfen kann, stößt bei seinen Eltern auf wenig Gegenliebe, er spielt daher nur heimlich. Während seine Stiefmutter Lucy durch einen Zufall den begehrten Job als UNIT-Dienstmädchen bei der reichen 'Client' Familie Miller ergattern kann, versinkt Frederick in seiner virtuellen und ausgesprochen brutalen Spielwelt.
Erst als er durch Zufall Sarah, die Tochter der Millers, kennen und lieben lernt, findet er mehr Gefallen an der Realität, die er allerdings nicht ausleben kann, da reale Kontakte zwischen 'Servern' und 'Clients' von der Gesellschaft unterbunden werden. Nach einem folgenschweren Flugzeugabsturz auf Noveau-Paris bekommt Lucy unfreiwillig während ihrer Arbeit im Haushalt der Familie ein Gespräch zwischen Ralph Miller, dem Erfinder der UNITs, und seinen Gästen mit, bei dem ein neues Licht auf den Unfall geworfen wird - offensichtlich verheimlicht die so friedfertig erscheinende Weltregierung dem größten Teil der Bevölkerung einen seit Jahren tobenden Krieg, bei dem Rebellen versuchen, die Kontrolle über die Nordhalbkugel zu erlangen. Als Eric erkennt, dass die Regierung Gewaltspiele wie 'Modern Wargames' nutzt, um diesen Krieg zu gewinnen, ist es schon zu spät ...
Der Klappentext verrät, dass Jorge Maga die Idee zu diesem Buch nach einigen Auseinandersetzungen wegen brutalen Kriegsspielen mit seinem Nachwuchs kam, und entsprechend häufig wird der Leser im Buch darauf hingewiesen, wie brutal und gewaltverherrlichend das Spiel 'Modern Wargames' stattfindet. Natürlich ist diese Thematik angesichts des breitgefächerten Spielemarkts und des großen Angebots an eben dieser Art Unterhaltung heutzutage aktuell. Doch die Vehemenz, mit der Jorge Maga die Schlechtigkeit der Kriegsspiele betont, lässt früher oder später das Gewicht der Aussage in stumme Ignoranz derselben abgleiten, da die dauernde Wiederholung schlichtweg abstumpft. Überhaupt scheint diesem Roman ein kritisches Lektorat gefehlt zu haben: Abgesehen von einer teilweise recht abenteuerlichen Kommasetzung finden sich immer wieder kleinere sachliche Fehler (der Autor verwechselt beispielsweise seine eigenen Gesellschaftsklassen, sodass Satzaussagen einen ziemlich merkwürdigen Sinn bekommen) und Aussagewiederholungen, die so weit gehen, dass an einer Stelle sogar in vier längeren Sätzen hintereinander derselbe Sinn, nur in anderen Worten verpackt wird.
Die Erzählperspektive des 'allwissenden Dritten' wird leider vom Autor bis zum Exzess bedient - Gedanken und Gefühle werden in einer so distanzierten Form geschildert, dass sich über das gesamte Buch hinweg kaum eine richtige Beziehung zu den jeweiligen Protagonisten aufbaut und man sehr deutlich den Schreibhintergrund des belehrenden Vaters, der wohlwollend über die Irrungen und Wirrungen des spätpubertierenden jungen Mannes Frederick schreibt, herauslesen kann. Etwas mehr Einarbeitung in jede der Figuren wäre sicherlich der eigentlich interessant überlegten Dystopie zugute gekommen, gerade die Beschreibung der technisierten, ordentlichen Welt der Kuppelstadt und des Gesellschaftsaufbaus hätte für mehr getaugt.
Es erscheint leider auch nur wenig glaubhaft, dass ein abends ausgehender junger Mann wie Frederick keinerlei Konflikte mit seinen Eltern haben soll, von den gewaltverherrlichenden Kriegsspielen einmal abgesehen - sein Alkoholkonsum, eventuell Freunde mit schlechtem Einfluss oder mangelnde Akzeptanz von Lucy als Ersatzmutter gäben hervorragenden Zündstoff ab. Gerade der Freundeskreis hat auf Heranwachsende einen so deutlichen Einfluss, dass es kaum möglich scheint, sich jemanden ohne einen solchen vorzustellen - Frederick allerdings scheint vollkommen auf seine Eltern und seine Cyber-Liebe Sarah beschränkt und rebelliert auch nur in Form des verbotenen Spiels gegen seine Eltern.
Die Wandlung von Eric und Lucy (aber auch von Ralph und seiner Frau Margaret) vom widerspruchslosen, angepassten Bürger der modernen Gesellschaft hin zum hinterfragenden Menschen kommt sehr schnell und nicht allzu nachvollziehbar daher, da beide kaum merkliche Charakterzüge aufweisen und sich bis zum Ende des Romans hin trotz aller Gesellschaftskritik doch eher als blasse Harmoniebärchen gebärden denn als ernsthafte Konfliktsucher.
Nach der Lektüre der 150 Seiten bleibt bei mir als Leser nur ein Eindruck eines gewissen Bedauerns zurück: Eine gute Grundidee, aber leider viel zu einseitig und vor allem belehrend durchexerziert, gerade aus der Bedrohungslage mit den Rebellen, der statischen Gesellschaft und deutlicher ausgearbeiteten Protagonisten hätte ein richtig interessantes Buch werden können - nur ist das leider nicht passiert. Spannungsmomente scheitern an den teilweise sehr umständlichen Satzstrukturen und der sehr indirekten Gefühlsschilderungen. Auch das wenig ansprechende Coverbild mit der sehr technischen Farbgebung hätte mich nicht dazu gebracht, es in der Buchhandlung überhaupt in die Hand zu nehmen.
Fazit: Eine gute Grundidee, aber eine schlechte handwerkliche Ausführung. Eltern, die ohnehin der Ansicht sind, das Gewaltspiele schlecht für ihre Kinder sind, werden sicherlich am ehesten Freude an diesem Buch haben, für die eigentlich damit angesprochene Leserschaft (nämlich die spielenden Jugendlichen) wird dieser sehr belehrende Roman sicherlich kaum geeignet sein, da Identifikationsfiguren und -momente denkbar gering sind. Drei von zehn möglichen Punkten, und diese auch nur für die Grundidee und den Dystopieentwurf.