Serie: Lt. Leary, 1. Band Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
"A question that I get ... is, 'Have you read Patrick O'Brian?' Darn right I have: I've read Patrick O'Brian's novels and I love them. Some reviews have referred to my Leary/Mundy series as an SF version of Hornblower. That's not correct; I did an SF version of the Aubrey/Maturin series, Patrick O'Brian's superb knockoff of Forester's Hornblower." (David Drake)
Die Aubrey-Maturin-Serie aus der Feder Patrick O’Brians ist sicher das Beste, was das Genre des marinehistorischen Romans hervorgebracht hat. Wenn also ein Autor behauptet, von ihr zu eigenen Werken angeregt worden zu sein, erweckt das erst einmal meine Neugier. Patrick O’Brian verfasste insgesamt zwanzig Bücher über das Gespann "Lucky Jack" Aubrey und Stephen Maturin, die sich überwiegend mit den Abenteuern seiner zwei Hauptpersonen beschäftigen. Die Serie spielt hauptsächlich in der Zeit der Napoleonischen Kriege und beschreibt die Geschicke zweier außergewöhnlicher Menschen: des wagemutigen Kapitäns Aubrey und seines Bordarztes Maturin. (Beide könnten Filminteressierten, die die Romane selbst nicht kennen, aus der Verfilmung Master and Commander - Bis ans Ende der Welt aus dem Jahre 2003 und mit Russell Crowe sowie Baul Bettany in den Hauptrollen bekannt sein.) Was dieser Serie im angelsächsischen Raum ein jedes ähnliche Werk - einschließlich C. S. Foresters Horatio Hornblower - überragendes Ansehen verschafft hat, ist die historische wie literarische Sorgfalt ihres Autors, die ihresgleichen sucht.
David Drake zeichnet in seiner bisherigen Karriere für an die sechzig Bücher verantwortlich und hat sich in den letzten Jahrzehnten vor allem einen Ruf als Autor von Space Operas und Military SF erworben. Jenseits des Großen Teiches wurde er ursprünglich durch seine Hammer’s-Slammers-Romane über Söldnereinsätze im All bekannt. Entsprechend waren meine Erwartungen im Vorhinein eher gedämpft, weil mir nicht klar war, was mich erwartete. Nun, inhaltlich erwies sich Mission auf Kostroma [1] als ein zwiespältiges Werk, bedingt u. a. dadurch, dass seine Handlung klar in zwei Teile zerfällt:
Viele hundert Jahre (oder auch mehr) in der Zukunft hat sich die Menschheit über zahlreiche Sternensysteme ausgebreitet und verschiedene Reiche gebildet. Zwei von ihnen, die Republik Cinnabar und die euphemistisch benannte "Alliance of Free States", befinden sich gegenwärtig wieder einmal im Krieg und haben ein Auge auf den strategisch bedeutenden Planeten Kostroma geworfen, der bislang einzig der Kriegsflotte Cinnabars Landerechte gewährte. Damit dies so bleibt, hat Cinnabar - ein autokratisch regierter Staat, der ähnlich drastische Klassenunterschiedeaufweist wie das Vereinigte Königreich um 1800 - eine diplomatische Delegation entsandt, die den Status quo bewahren soll. Dem entgegen arbeiten Spione der Alliance, eines Schurkenstaates, wie er im Bilde steht, dessen Sternenschiffe gern deutsche Namen tragen.
In den ersten vielleicht vierzig Prozent des Romans wird der Leser in die Situation auf Kostroma eingeführt und mit den zwei Protagonisten bekannt gemacht. Beide sind Cinnabarer (Cinnabarianer?) und - hier der erste Unterschied zu O’Brian - der eine ist ein Mann, die andere eine Frau. Lieutenant Daniel Leary ist 22, unbedeutender Offizier der Republic of Cinnabar Navy und enterbter Spross einer der wichtigsten Familien der Republik. Er besitzt ein sonniges Gemüt, hat Schlag bei den Frauen, ein Faible für Biologie und ist - wie sich herausstellen wird - die geborene Führungspersönlichkeit. Adele Mundy ist 31, seit drei Wochen Leiterin der heruntergekommenen Bibliothek im Regierungskapitol Kostromas und ebenfalls von edlem Geblüt. Mit einem kleinen Unterschied zu Daniel: Vor 15 Jahren erklärte der damalige Senatssprecher von Cinnabar, Daniels Vater, die Mundys zu Umstürzlern und für vogelfrei. In der Folgezeit wurde die gesamte Adelsfamilie einschließlich der Frauen und Kinder umgebracht. Adele entkam der Verfolgung nur dadurch, dass sie sich zu dem Zeitpunkt zufällig nicht auf Cinnabar aufhielt. Adele ist in Mission auf Kostroma der etwas düstere Gegenpart zu Daniel. Sie hat wie alle Adelskinder eine Militärschullaufbahn absolviert (und dort bei einem Duell unabsichtlich einen Mitschüler erschossen). Als Folge ihrer tragischen Jugend ist sie kühl bis ans Herz und besitzt weder Freunde noch Leidenschaften. Fragen der Politik steht sie völlig gleichgültig gegenüber. Darüber hinaus ist sie offensichtlich das größte Computergenie des gesamten Sternensystems (was Drake die Konstruktion seines Plots sehr erleichtert).
Diese zwei Personen nun treffen aufeinander und kommen nach einigem Hin und Her überraschend gut miteinander aus. Dieser Teil des Buches war für mich als Leser sehr unterhaltsam. David Drake erschuf Xenos, die Hauptstadt Kostromas, aus allen möglichen bunten Versatzstücken der irdischen Geschichte und fügte die wohl unvermeidlichen fliegenden Autos hinzu. In diese Szenerie versetzte er alsdann die Vertreter der Republic of Cinnabar Navy - samt aller Klischees, die man aus Seefahrerromanen erwartet. In diesem Roman besitzen Sternenschiffe Segel, Takelmatrosen ("riggers") und Pinassen - und für eroberte Feindschiffe gibt's Prisengeld . Auf Land- bzw. Planetenurlaub geben sich alle die Kante. Die Offiziersränge bestehen überwiegend aus Adligen, die ihren persönlichen Leibdiener mitführen. Und ein junger Offizier wie Daniel Leary ist ob seiner standesgemäßen Lebensweise natürlich bis über beide Ohren verschuldet. Kurz: Drake hat im Wesentlichen (wie schon oben angedeutet) schlicht das England von vor zweihundert Jahren in die Weiten des Alls versetzt. All diese Details wirken eigentlich mindestens so unwahrscheinlich und - sagen wir’s offen: lächerlich - wie andere Wendungen der Handlung auch, aber das muss das Vergnügen nicht schmälern. Womöglich hat Drake ja einen komischen Roman geschrieben?
Schauen wir mal weiter. Während Daniel trinkt und Groupies abschleppt (viele junge Mädchen aus gutem Hause sind ganz scharf auf stramme Jungs von fernen Sternen), ärgert sich Adele mit ihrem neuen Job herum. Weil Drake sonst nichts zu ihrem gegenwärtigen Leben einfällt, ist sie in ihrer Bibliothek von völlig inkompetenten Schnöseln umgeben, mit denen sie die Art Konversationen treibt, die jeder Autor mal schnell aus dem Ärmel schüttelt, wenn er aus dem Stand mit irgendetwas Seiten füllen will. Auf den ersten 100 Buchseiten hat Daniel Leary die besseren Szenen, wenn auch oft nicht die originelleren. Wie schon gesagt: Man säuft bis zum Kotzen (auch die weiblichen Offiziere, die sich nur durch ihre Namen von ihren männlichen Kollegen unterscheiden - eine Art Gleichberechtigung durch Assimilation?) und schleppt kichernde Mädchen (bzw. Jungen?) ab. Richtig komisch wird es dann leider doch nicht. Zumindest aber ist es nett-unterhaltsam, dabei zuzuschauen, wenn Daniel mit Adele auf dem Palastdach sitzt und - nicht sehr tiefschürfende und eigentlich dröge Sachen - vor sich hinplappert, weil auch er keine persönlichen Freunde hat und sich endlich mal normal benehmen kann.
Danach ändert sich langsam aber sicher die Atmosphäre der Geschichte: Agenten Kostromas inszenieren einen blutigen Coup. Adele lässt sich zur Mithilfe nötigen und besorgt im `World Wide Web’ für die Leute der Alliance wichtige Informationen - einfach weil sie ihre Ruhe will und ihr egal ist, wer auf Kostroma regiert. Das ändert sich erst, als ihr Bibliotheksassistent sowie die Diplomaten Cinnabars vor ihren Augen hingerichtet werden. Sobald sich eine Gelegenheit ergibt, flüchtet sie und schließt sich Daniel an, der zwar der Verhaftung entgehen konnte, es aber nicht mehr schaffte, die Besatzung seines Schiffes zu warnen, weil er nicht rechtzeitig ein Telefon fand. Man muss nämlich wissen: Die Republik Cinnabar besitzt zwar FTL-Technologie - leider jedoch keine Handys für ihre Mitarbeiter.
Was nun folgt, ist der zweite und über weite Strecken langweilige Teil, in dem genau das geschieht, was man in dieser Art Science Fiction erwarten kann. Es wird kräftig geballert, die Gegner sind alle schurkisch, aber doof, und der Republic of Cinnabar Navy und ihrem Capt’n wird ein Heldenlied gesungen. In ihrer Rezension auf sfsite.com beschrieb die Kritikerin Donna McMahon das so:
"Drake ... has caught precisely the qualities of the military that attract people -- the feeling of pride, competence and comradeship, being part of a team, solving problems, challenging your own physical and mental limits, defending a code of honour, and the sheer excitement of engaging in battle."
Das Ganze ist letztlich eine Mischung aus gängigen Piratenfilmen und blutigen Kriegsfilmeinlagen. Dabei erweist sich Adele erneut als die düstere Hälfte unseres Heldengespanns und die fähigste Kämpferin in Daniels Einheit. Sie ermordet einen Spion, der ihren eigenen Verrat verraten könnte, nimmt eine psychopathische Killerin in ihre Dienste, weil die ihr `irgendwie ähnlich’ ist und bringt bei einem Gefecht mal eben so eine Hand voll Gegner um. Diese Einlagen wirken zunehmend wie eine Masche, und im letzten angeführten Fall bietet uns Drake dann auch noch das klassische Psycho-Geschwafel, mit dem Autoren bemänteln, dass sie einfach der Leserschaft eine Menge Geballer fürs Geld bieten wollen:
"Adele’s mind was in a place of its own.
The boy she’d killed had haunted her dreams for fifteen years. Now that accusing corpse would have five fellows for company."
David Drake ist Vietnam-Veteran und weiß genau, was ein Posttraumatisches Stresssyndrom ist. Adeles Probleme allerdings nimmt er sprachlich nicht ernst, sondern romantisiert sie modisch-düster. [2]
Natürlich begegnen wir bei unserem alltäglichen Medienkonsum Gewalteinlagen wie in Mission auf Kostroma an jeder Straßenecke. Wenn Sie also bei solchen Szenen weniger aus der Haut fahren als ich, kann ich Ihnen den Roman - hmm, fast schon - empfehlen. Wie bereits gesagt: Ansprüche an die Logik der Handlung dürfen Sie nicht stellen. `Runde’ Charaktere kommen ebenfalls nicht vor (außer - vielleicht - Adele und - eventuell - noch Daniel sind alle vorkommenden Personen etwa so wichtig wie das Besatzungsmitglied der Enterprise im roten Shirt, das bei Außeneinsätzen immer als Erster dran glauben muss). Wenn sie aber auch mal anspruchslose Schmöker mögen, bekommen Sie bei David Drake einen sehr flüssig lesbaren Schreibstil geboten, der eine kurzweilige Lektüre wahrscheinlich macht. Schade nur (für mich), dass es halt nicht richtig komisch wurde in diesem Buch. Vielleicht sollte ich erst einmal noch ein paar Aubrey-Maturin-Bände zur Hand nehmen, bevor ich mich irgendwann Lt. Leary Commanding RCS Princess Cecile zuwende.
Eine kleine Schlussanmerkung: Bei dem vorliegenden Buch scheinen mir das deutsche wie das amerikanische Titelbild ähnlich doof zu sein. Das deutsche Cover bietet mal wieder irgendein Raumschiff. Auf dem amerikanischen Bild sieht man, dass der Künstler das Buch nicht gelesen hatte. Erst ab Band zwei der Reihe gönnen uns die amerikanischen Titelbilder Leary und Mundy so, wie sie in den Romanen beschrieben werden.
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[1] Ächz! Ich weiß, das Thema ist alt und ausgelutscht - und außerdem wüsste ich auch nicht zu sagen, was genau der Originaltitel With the Lightnings aussagen will, aber: Wie viele Missionen auf/nach Irgendwo wollen uns die Verlage eigentlich noch auftischen?
[2] In einem Interview erklärt der Autor, er habe diese Thematik in seinem Roman Redliners ausführlicher und anspruchsvoller behandelt ("'Redliners' is me writing way over my head"). Vielleicht sollte ich dem Roman mal eine Chance geben. Das Buch ist ebenfalls frei aus dem Internet herunterladbar.
Mission auf Kostroma - die Rezension von Erik Schreiber