Reihe: Merrily Watkins, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Vor gar nicht so langer Zeit hatte ich einen Roman von Phil Rickman besprochen. Da er mir gut gefallen hatte, wusste ich, wonach ich auf der Suche war, als wieder einmal eine langweilige Bahnfahrt anstand. Viele kennen das: Sie nehmen auf der Bahnfahrt zum Zielort zwei Bücher mit, in der Hoffnung, wenigstens eins lesen zu können. Bei mir ist das Problem meist, es sind drei Bücher und sie reichen nie für Hin- und Rückfahrt. Also stand ich in der Bahnhofsbuchhandlung und starrte in die lange Reihe phantastischer Literatur, nur um nicht in einen Kilometer Vampirromane zu greifen oder die wenigen guten SF-Bücher in Betracht zu ziehen, da sie bereits meine Regale füllten. Kriminalkurzgeschichten gibt es genausowenig wie andere Kurzgeschichtensammlungen. Das Genere scheint tot zu sein. Zumindest im normalen Buchhandel. So fiel mein Blick auf Rickman und kurzentschlossen griff ich zu. Was kein Fehler war.
Die Pater-Brown-Geschichten, gut verfilmt mit Heinz Rühmann (und ein billiger Abklatsch ohne Sinn und Zweck mit Ottfried Fischer) sind wohlbekannt. Wer nun einen weiteren eher halbherzigen Versuch erwartet, wird enttäuscht. Phil Rickmans Pater Brown ist eine Betschwester namens Merrily Watkins, die in der britischen Provinz die offene Stelle einer Pfarrei in Ledwardine besetzen soll. Das von Apfelbäumen bestimmte Landwesen lässt in der Beschreibung an das Alte Land bei Hamburg denken und erweckt zuerst einmal die ländliche Idylle voller Friede und Freiheit. Keine Zwänge der Gesellschaft und jeder kennt jeden. Das Postkartenidyll, dass hunderte von naiven Landschaftsmalern begeistern kann, wird jedoch jäh gestört, und zwar nicht etwa, weil die Ex-Anwältin Merrily Watkins mit pubertärer Tochter Jane in das Pfarrhaus einzieht. Sondern weil sie von Visionen geplagt wird, die Tochter scheinbar übersinnliche Kräfte entwickelt und noch andere seltsame Dinge geschehen.
Am Abend vor Merrilys Amtsantritt wird auf einer Apfelwiese des Dorfes eine Feier abgehalten, die nicht friedlich endet. Ein seltsamer Todesfall bietet den Auftakt zu einem unheimlichen Kriminalfall. Mittendrin Witwe Watkins. Und dann verschwindet plötzlich ein junges Mädchen aus dem Dorf.
Phil Rickman beschreibt in diesem ersten Abenteuer seiner neuen Pfarrerin das Leben einer Großstädterin auf dem Dorf. Natürlich wird eine ledige Mutter nicht sofort mit offenen Armen empfangen. In einem Dorf bleibt man unter sich und Außenstehende bleiben außen stehend. Da fällt es leichter, an Geister zu glauben, als eine neue Pfarrerin im Dorf zu haben. Es kann ja nicht angehen, dass plötzlich eine Fremde den Platz des Beichtvaters einnimmt. Und was mischt die sich in die Geheimnisse der Dorfgemeinschaft ein? Der Roman beginnt ganz gut und nimmt den Leser schnell mit in ein traditionell ausgerichtetes Dorf. Allerdings zieht sich der Teil danach etwas, denn die Handlung wird langsam aufgebaut. Danach wird es wieder spannender und viel lesbarer. Hinzu kommt, dass sich ein Autor damit beschäftigt, den Tod eines Geistlichen aus dem siebzehnten Jahrhundert aufzuklären und dazu eine Dokumentation mit Spielfilmpassagen herzustellen. Da sind allerdings die Dorfbewohner dagegen, denn sie sind alle irgendwie mit den Apfelbäumen und den dort lebenden Geistern verbunden. Selbst Jane, der Pfarrerin Tochter, ergeht es nicht anders als den Dorfbewohnern.
Der deutsche Titel Frucht der Sünde deckt sich zwar nicht mit dem englischen Titel, macht aber neugierig. Phil Rickman präsentiert schrullige Dorfbewohner und eine seltsame Ermittlerin. Der intelligent konstruierte Kriminalroman ist lange Zeit damit beschäftigt, die Pfarrerin und ihre Tochter nicht nur in die Geschichte, sondern auch in das Dorf einzuführen. Dadurch hat der Roman einige Längen, wird aber interessanter, wann immer es darum geht, den kriminalistischen Spuren zu folgen. Der Roman steht trotz seines Krimielements ganz im Zeichen der englischen Geistergeschichten. Die Handlung steigert sich langsam, aber sicher in sphärisch anmutende Verhältnisse. Immer stärker wird die Geschichte so beschrieben, als ob nur noch ein übersinnliches Eingreifen dafür sorgen kann, dass eine positive Lösung gefunden werden kann. Und doch findet sich eine ganz irdische Lösung aller Probleme. Spannend bis zur letzten Seite, wird aus einem ‚dicken Schinken’ ein unterhaltsamer Roman.