| Serie / Zyklus: ~ Titel: Menschen Göttern gleich Originaltitel: Men Like Gods (1923) Autor: H. G. Wells Übersetzer: ~ Verlag / Buchdaten: DTV Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Mr. Barnstaple ist Redakteur einer linksliberalen Zeitung. Er fühlt sich ausgebrannt, und ein Arzt rät ihm, Urlaub zu machen von der Arbeit, seiner Familie - kurzum von allem. Und so macht er sich mit seinem Auto auf nach London und findet in seinem Bestreben, einen ruhigen Ort zur Entspannung zu suchen, unerwartet Erfolg. Er und ein Dutzend weiterer Menschen fahren durch eine Art Dimensionstor und finden sich in einer wunderbaren Welt wieder. Dieses Utopia verkörpert alles, was Barnstaple sich je erträumt hat, doch seine Reisegefährten, Repräsentanten unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen, finden keinen so großen Gefallen an dieser Welt, denn sie haben etwas, was Barnstaple nicht hat: Macht.
Auf Utopia hingegen legen die Menschen in Harmonie und mit größtmöglicher Freiheit. Kaum ist die Gruppe angekommen, beginnen die Probleme: Die einen fahren einen Utopen mit dem Auto tot, der Pastor wettert gegen die viel zu freizügige Kleidung und andere wiederum schmieden Pläne, Utopia zu erobern. Einzig und allein Barnstaple scheint diese friedvolle Welt zu genießen. Doch wie Ruhe finden, wenn die Artgenossen sie einem nicht lassen?
Menschen Göttern gleich ist ein Spätwerk des berühmten Autors H. G. Wells, verfasst im Interregium der beiden Weltkriege. Ähnlich wie in Die Zeitmaschine dient Wells dieser Roman als Plattform, um Kritik an unserer Gesellschaft zu üben - und damit spart der Autor zu keiner Zeit. Er hält dem Menschen so massiv den Spiegel vor, dass man auch heute noch, mehr als 80 Jahre nach Erscheinen dieses Buchs, die Wahrheit nicht verleugnen kann. Heute wie damals, so drängt sich einem die Erkenntnis auf, sind wir von Utopia noch sehr, sehr weit entfernt, und das Zeitalter der Verwirrtheit, wie Wells seine und wohl auch unsere Zeit bezeichnet, hat gerade erst begonnen. Es ist sehr erstaunlich, dass die Worte des Altmeisters der SF heute immer noch zutreffend sind - ja, teilweise treffen sie den Nagel auf den Kopf. Er reißt dem Pastor ebenso die Maske vom Gesicht wie dem Politiker oder dem Millionär. Mit diesem Buch dürfte H. G. Wells sich viele Feinde gemacht haben.
Im Verlauf des Romans konkretisiert H. G. Wells sein Utopia, und der Roman dreht in eine mehr und mehr philosophische Richtung. Man merkt, dass es ein Anliegen des Autors war, aus dieser unserer Welt einen besseren Ort zu machen (er sprach mehrfach von einer Hungerkatastrophe in Russland - heute sind wir kein bisschen weiter), und die Leute anzuregen, sich dafür einzusetzen. Und dennoch zeigt er auf, dass sein Utopia nicht perfekt ist und es dem Menschen nie vergönnt sein wird, seine schlechten Seiten für immer abzulegen. Auch in Utopia muss man gegen seine Schwächen kämpfen und den Preis bezahlen, wenn man diesen Kampf verliert.
Es ist erstaunlich, dass der Roman nur ganz selten veraltert wirkt. Es wäre sogar vorstellbar, dass ein heutiger Autor diesen Roman ebenfalls in dieser Zeit beginnen läßt und die Menschen mit einer perfekten Welt konfrontiert, mit der sie nicht umgehen können. In diesem Zusammenhang ist faszinierend, dass Wells schon vor dem Siegeszug des Sozialismus ein Scheitern dieses vorhergesagt hatte, wenngleich er die Idee für zukunftsträchtig hielt. Außerdem ließ er nie einen Zweifel daran, dass die Menschheit noch einen weiten Weg aus dem Elend vor sich hat. Auch das hat sich leider bewahrheitet.
H. G. Wells hat in der Tat einen großen Weitblick an den Tag gelegt. In einem Bereich hat er allerdings vollkommen daneben gelegen: Wells beschrieb ein Utopia, das die Umwelt vollkommen unterworfen hat. Von einem Leben der Menschen im Einklang mit der Natur war keine Spur. Im Gegenteil: Die Utopen haben sich aller lästigen Lebensformen auf der Erde entledigt. Dies spiegelt eindeutig den Fortschrittsglauben der damaligen Zeit wieder. Andererseits: Diesen Glauben haben wir erst vor zwei Jahrzehnten abgelegt, und noch vor 30 Jahren wären Welss' Aussagen auch in dieser Hinsicht zeitgemäß gewesen.
Fazit: ein Buch, das getrost als Klassiker der phantastischen Literatur bezeichnet werden kann und auch nach 80 Jahren nichts von seiner Aktualität verloren hat.
8 von 10 Punkten
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