Titel: Die Mechanik des Herzens Eine Rezension von Sonja Buddensiek |
Ich habe das Mädchen mit der Vogelstimme geküsst, und nichts ist mehr, wie es war. Meine Uhr pulsiert wie ein brodelnder Vulkan. Schmerzen habe ich keine. Doch, ich habe ein leichtes Seitenstechen. Aber das ist ein geringer Preis für den Glücksrausch, der gewaltiger und wunderbarer ist als alles, was ich mir je vorgestellt habe.
Heute Nacht erklimme ich den Mond, mache es mir auf seiner Sichel gemütlich und träume mit offenen Augen vor mich hin.
Inhalt:
Als Kind wird Jack mit einem sehr schwachen Herzen geboren. Doktor Madeleine, überall als "Hexe" verschrien, setzt ihm zur Hilfe eine Kuckucksuhr ein und verbindet die Zahnräder mit seinen Arterien. Von nun an lebt er mit diesem Mittel und kann sich trotz seines kranken Herzens beinahe fühlen wie ein normaler Junge. Doch als er auf dem Markt der kleinen Sängerin Miss Acacia begegnet, wird es gefährlich: Denn vom ersten Moment an liebt er das Mädchen. Und seine Uhr kann mit diesem stärksten, schönsten aller Gefühle und den damit verbundenen Qualen nicht umgehen...
Buchaufmachung:
Die Gestaltung dieses Romans ist wohl eine der schönsten und vor allem detailreichsten in meinem gesamten Regal. Die gemalten Figuren auf dem Cover zeigen Jack und die Sängerin, an seiner Brust sieht man ein Stück des Zahnrads. Durch den dunklen Hintergrund wird die Melancholie der gesamten Geschichte deutlich und sogar der Titel ist besonders, denn einige Buchstaben weisen Einzelheiten wie einen wie einen Schlüssel oder Uhrzeiger auf. Eingebunden sind die Seiten in ein raues Material, das ebenso anders wie passend ist. Rundum gelungen - wunderschön!
Meine Meinung:
Sowohl das Cover als auch der Klappentext faszinierten mich von Anfang an, denn eine Erzählung wie diese habe ich bisher noch nie genießen dürfen. Gespannt machte ich mich also an die Lektüre, voller Erwartungen - die auch zum größten Teil gehalten werden konnten.
Mathias Malzieus Roman fällt von Anfang an durch die melancholische, poetische Sprache voller bildgewaltiger Metaphern auf. Seine Beschreibungen sind unvergleichlich schön und lösen beim Leser ein Gefühl der Trauer und gleichzeitig des Glücks aus. Erzählt wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive des Protagonisten Jack, der schon seit kurz nach seiner Geburt eine Uhr zur Unterstützung seines Herzens in sich trägt. Mit dieser Ausgangssituation konfrontiert, sind starke Gefühle wie Wut oder Liebe ein Verhängnis...
Jack ist ein gefühlvoller Held, sensibel, klein, irgendwie knuddelig. Seine Gedankengänge sind zumeist sehr ruhig und ausgeglichen, sein Leben ist bestimmt von seiner Angst um die Uhr. Daher versucht er immer, allem aus dem Weg zu gehen - doch als er eine kleine Sängerin trifft, beginnt er, innerlich zu wachsen, denn was immer seine Adoptivmutter sagt: Dieses Mädchen ist seine große Liebe. Miss Acacia hingegen war mir nicht unbedingt sympathisch. Am prägnantesten im Gedächtnis bleibt von ihr vor allem, dass sie so eitel ist, dass sie keine Brille tragen will, obwohl sie so schlecht sieht. Diesen Aspekt empfand ich als sehr interessant, ansonsten allerdings wirkte sie mir zu lieblos und zu hart gegenüber dem gefühlvollen Jack.
Die Nebenfiguren zeichnen sich insbesondere durch Taten und wenig durch Eigenschaften aus, was auf 192 Seiten auch nicht wirklich verwunderlich ist. Joe ist Jacks Erzfeind und Nebenbuhler, auch er liebt Acacia und wird nur in den Momenten mit ihr ein guter Mensch - ansonsten ist er verbittert und gewalttätig. Gut gefiel mir der Magier und Uhrenmacher Meliés, der den Jungen auf seiner Reise begleitet und immerzu für ihn da ist. Getrieben von seinem Wunsch, seiner großen Liebe einen Flug zum Mond zu schenken, stürzt er sich in allerlei Basteleien. Seine freundliche und zuvorkommende Art macht ihn sehr sympathisch.
Dass in einem so kurzen Büchlein keine richtig komplexe Geschichte oder gar gut ausgefeilte Charaktere entstehen können, ist logisch. Dennoch hätte ich mir von dem Autor mehr Seiten gewünscht, denn dann hätte mich der Roman vielleicht noch ein bisschen mehr fesseln können. So war ich zwar gebannt von der wunderschönen Sprache voller Vergleiche und Poesie, ebenso von der Geschichte um die Macht der Liebe, dennoch nahmen mich die Emotionen nicht gefangen. Dafür ging mir vieles zu zu schnell und zu rasant. Außerdem konnte ich die Liebe von Jack zu Miss Acacia zu wenig nachvollziehen - er gibt so viel für sie auf, liebt sie ohne Vorbehalte und wird dennoch nur zurückgestoßen. Das störte mich zwischenzeitlich doch sehr, auch wenn so auf den Schluss hingearbeitet wird.
Durch seine Angst vor dem Versagen seiner Uhr verliert Jack langsam das Ziel vor Augen: Mit Miss Acacia eine Familie gründen und glücklich werden. Er hat so vieles verloren, aber er kann sich und seine Gefühle nicht bremsen. Und er weiß genau: Will er sie nicht verlieren, muss er um seine Geliebte kämpfen, egal auf welche Weise. Mit diesen Aspekten arbeitet Mazieu langsam auf ein gleichzeitig überraschendes wie erwartetes Ende zu, in dem er noch einmal seine gesamte Wortgewalt offenbart. Der Epilog, stimmt nachdenklich und lässt den Leser, wie schon während der gesamten Lektüre, melancholisch zurück - wirkt aber auch leicht konstruiert und kann damit nicht vollständig überzeugen.
Fazit:
"Die Mechanik des Herzens" beeindruckt durch eine wunderbare Idee und einen zauberhaften Schreibstil, kann aber durch die Kürze in Sachen Ausgefeiltheit und Charaktere nicht unbedingt punkten. Mir war insbesondere das Ende zu konstruiert und die große Liebe Jacks zu unsympathisch. Dennoch ein schön zu lesendes Buch voller Poesie und Metaphern. 4 Punkte!