Serie/Zyklus: ~ Besprechung / Rezension von Sascha Hallaschka |
Wolfgang Jeschke: der Wolfman Jack der deutschen Science Fiction, ehemals alleiniger Herausgeber und Lektor von Heyne-SF sowie dutzendfacher Kurd-Laßwitz-Preisträger, hat mal wieder einen Roman geschrieben.
Genauer gesagt handelt es sich bei dem knapp 140-seitigen Text um eine längere Erzählung, die bereits 1994 im Selbstverlag erschienen ist. Scheinbar sind einige der 100 Exemplare, aus denen die Erstauflage bestand, immer noch erhältlich, wenn man dem Impressum und einer diesbezüglichen Werbung am Ende des Buches Glauben schenkt.
Das wundert mich allerdings, denn Jeschke sollte es doch wohl geschafft haben, in den vier Jahren seit dem erstmaligen Erscheinen von Meamones Auge die eher fanzinetypische Auflage von 100 Stück an die Mitglieder seines Inneren Kreises loszutreten. Es sieht ganz so aus, als ob der unverschämt hohe Preis von 280+ dies jedoch verhindert hat. Denn, so viel kann jetzt schon gesagt werden, einen Preis von 2+ pro Seite rechtfertigt Jeschkes Roman zumindest inhaltlich nicht einmal annähernd. Außerdem wäre ich persönlich wohl kaum so vermessen, für irgendeinen Text dermaßen viel Geld hinzublättern - egal, wie gut er sein mag.
Bevor ich mich dem Buch etwas genauer zuwende, möchte ich noch ein paar Worte über seinen Autor loswerden. Ich halte Wolfgang Jeschke für wichtig. Knapp 25 Jahre lang personifizierte er, war er Heyne-SF, die beste SF-Reihe, die in deutscher Sprache erscheint. Ohne Heyne, und das ist in diesem Fall ohne Jeschke, sähe die deutsche SF-Szene um einiges kläglicher aus. Bei einem Buch, das auf Seite drei neben dem Verweis, daß es sich um SF handelt, den Hinweis "Herausgegeben von Wolfgang Jeschke" trägt, fühle ich mich immer wieder in guten Händen. Seine Herausgebertätigkeit weiß ich also durchaus sehr zu schätzen.
Aber jetzt kommt das „Aber“: Wie bereits erwähnt, ist der Verfasser von Meamones Auge mehrfacher Kurd-Laßwitz-Preisträger, und ich kann mir einfach beim besten Willen nicht vorstellen, daß dies ausschließlich an der Qualität seiner literarischen Werke liegen soll. Anders gesagt: Ich gehe davon aus, daß man Jeschke den einen oder anderen Preis schlicht und ergreifend zugeschanzt hat, um den fetten Stein im Brett, den man bei ihm hat, zu behalten. "Man" meint in diesem Fall diverse "Größen" der deutschen SF und durchaus nicht nur die Leute, die den Laßwitz-Preis vergeben.
Daran ändern auch eine HUGO-Nominierung der Erzählung "Nekyomanteion" (Jeschke gelang dies als erstem und bisher einzigem Deutschen. Warum bloß?!) und ein fettes Lob von LOCUS über Jeschkes Roman Midas ("Es läßt sich sehr gut lesen.") nichts. Außerdem: Wenn man tief genug in Jeschkes Hintern reinkriecht - und glaubt mir: Da stecken schon einige Leute kopfüber bis zu den Fußknöcheln drin -, stellt er sich mit jedem gut. Ich könnte Namen nennen ...
Zu Meamones Auge: In Anbetracht der bibliophilen Aufmachung des Buches möchte ich ausnahmsweise auch einmal etwas zum Äußeren sagen. Optisch ist der Roman nämlich ein Genuß. Trotz des geringen Umfangs hat Heyne, also der Autor J., sich entschieden, ihn als Hardcover zu veröffentlichen, das zudem von einem sehr ansprechenden Motiv eines mir bis dato unbekannten Attila Boros geziert wird: Ein walähnliches Tier schwebt zwischen einem Planeten und einem futuristisch anmutenden Raumschiff.
Boros ist es auch, von dem die acht farbigen, teilweise sehr schön anzuschauenden Innenillustrationen stammen. Ärgerlich ist es in diesem Zusammenhang nur, daß die Rückseite des Buches deren zehn versprochen hat. Trotzdem sind die Bilder in Meamones Auge den bisweilen völlig inhaltsfreien Schmierereien von Jeschkes Haus-und-Hof-Illustrator Jobst Teltschik vorzuziehen, von deren "Qualität" man sich in diversen von Jeschke herausgegebenen Anthologien überzeugen kann. Die Optik macht Meamones Auge zu einem Buch für den Schrank. Der Inhalt leider auch.
Dementsprechend will ich mich den Aspekten zuwenden, die mir bei der Lektüre aufgefallen sind. Das beginnt mit der unglaublichen Sprache Wolfgang Jeschkes, die ich mit den Adjektiven "ehern" und "stählern" umschreiben möchte. Ein Beispiel könnte klarmachen, was ich damit meine:
"Fleischtechniker zerteilten die Gewebemassen mit Handlasern in transportable Stücke und wälzten sie vor die unersättlichen Ansaugrüssel der Häcksler und Mastikatoren, die alles in sich hineinschlürften, um es zu zerfasern, zu verquirlen und durch die Rohrleitungen zu den Verarbeitungsdecks zu pressen, wo es zu fast reinem Protein veredelt wurde.
Der Gestank von verbrannter Knorpelmasse war überwältigend, als der Laser endlich das Sternum ganz durchgesägt hatte und die Winden den Brustkorb aufbrachen. Mit splitterndem Bersten löste sich eine Rippe nach der anderen von der Wirbelsäule. Scheinwerferlicht flutete herein. Dampfstrahlen fauchten über die Schlachtergalerien, fegten Abfälle zu den Schleusen und wuschen die Blutkaskaden von den plastikbeschichteten weißen Wänden, während das Gerippe mit Ketten in Richtung Luke gezerrt wurde, über deren Kante es in die Tiefe stürzen würde." (Seite 13)
Da gibt es also zum Beispiel "Fleischtechniker", ein ziemlich widerliches Wort, weil in ihm Natur und Technik ununterscheidbar miteinander verschmelzen. Da gibt es "Gewebemassen", und "Ansaugrüssel" sind "unersättlich". Gerüche sind "überwältigend", und "geborsten" wird natürlich "splitternd". Das Licht von Scheinwerfern erhellt die Szene nicht einfach, sondern es "flutete herein". Entweichender Dampf "faucht", und Blut spritzt in "Kaskaden" durch die Gegend. Diese Sprache klingt nicht nur wenig maßvoll, sie ist es auch und zieht sich in dieser Machart über die ganzen 140 Seiten hin. In geringen Mengen ist so etwas anstrengend zu lesen, über längere Distanzen wird es schier unerträglich. Ich bin mir sicher: Adolf Hitler hätte Jeschkes Sprache geliebt.
Die beiden oben zitieren Sätze können auch für einen anderen Aspekt von Meamones Auge als Beispiel herhalten, der mir unangenehm aufgefallen ist, nämlich die überdurchschnittlich große und in dieser Ballung reichlich nervige Flut von unbekannten Fremdwörtern. Im vorliegenden Fall sind es die "Mastikatoren" und das "Sternum", die mir nichts sagen. Einen solch exzessiven Gebrauch von Fremdwörtern habe ich seit den Zeiten des seligen Kurt Mahr nicht mehr erlebt. Aber selbst dieser setzte sie sparsamer und sinnvoller ein, als Jeschke es tut, an den die Frage gehen muß, was ich als Leser davon haben soll, wenn ich die Hälfte des Textes nicht verstehe.
Was mir an der Sprache noch mißfällt, ist die gehirnamputierte Verwendung des Englischen: Zum einen sind der Handlung zwei englische Zitate vorgeschaltet, von denen eines überdies fiktiv ist. Jeschke tut den Teufel, uns zumindest zusätzlich eine Übersetzung vorzulegen. Nicht, daß ich selber sie gebraucht hätte, aber ich finde es absolut schwachsinnig und pseudo-elitär, vorauszusetzen, daß ausnahmslos jeder Leser in der Lage ist, englische Zitate zu übersetzen. Wenn ich eine andere Sprache als das Deutsche lesen will, möchte ich das selber entscheiden können und nicht von einem Autor, der dieselbe Muttersprache spricht wie ich, dazu gezwungen werden.
Anders verhält es sich mit einer kurzen Szene auf Seite 105, in der ein paar englische Worte vorgelesen werden. Beide an dieser Szene beteiligten Personen sind nämlich des Englischen nicht mächtig und fragen sich, was sie da soeben gelesen haben. Hier wird eine fremde Sprache zum Motiv der Handlung. In der Vorschaltung ist sie einfach nur zweckfrei.
Zum anderen wird deutlich, daß Jeschke der Flut von unnötigen Anglizismen nichts adäquates Deutschsprachiges entgegenzusetzen bereit ist. So schreibt er "Aliens" (Seite 59) statt "Außerirdische". Daß dies mittlerweile fast jeder tut, macht die englische Bezeichnung nicht sinnvoller.
Aus "Lebensmittellieferanten" werden völlig unmotiviert "Caterer" (Seite 116), und was mit "Packages" (Seite 121) gemeint sein soll, weiß ich trotz des Blickes in den Langenscheidt nicht, da das Wort im Kontext des Satzes keinen Sinn macht. Ein deutsches Wort hätte diese Unklarheit von Anfang an unterbunden.
Kein wirkliches Argument, sondern nur eine Anmerkung zu einer weiteren Facette des Themas "Sprache" möchte ich im Zusammenhang mit einem Detail auf Seite 85 anbringen. Dort äußert sich die Gedankenleserin Meta wie folgt: "Ich verstand die Sprache nicht, in der dieser Mann dachte, ..."
Dazu ist zu sagen, daß es in der SF durchaus auch die gegenteilige Position gibt, daß also Telepathen sehr wohl in der Lage sind, Gedanken fremder Sprachen zu lesen, da wir Menschen nicht in Wörtern, sondern in Bildern denken. Ich will damit nicht sagen, daß Jeschke hier einen Fehler begangen hat, sondern nur darauf hinweisen, daß man die Sache auch anders als er betrachten kann.
Desweiteren: Einige Male brechen in die Handlung, die ja auf dem Planeten Conteret spielt, terranische Motive der Jetztzeit ein, die sich nicht in den Gesamtrahmen einfügen wollen, auch wenn mir durchaus klar ist, daß das auf Conteret lebende Volk einst aus Menschen hervorgegangen ist. Dennoch: Die Erwähnung einer "Fotokopie" (Seite 33), ein "Schildbürgerstreich" (Seite 51), "Football" (Seite 53), die Nennung von "Turnschuhen" (Seite 66) und "Schnittechnik" (Seite 67) wirken wenig logisch und nicht überzeugend.
Die Welt, die Jeschke uns präsentiert, hat mit der uns bekannten, zeitgenössischen menschlichen Zivilisation nicht mehr allzu viel zu tun, und so gut wie keiner der Handlunsgsträger dürfte noch Dinge wie Fotokopien et cetera kennen. Daher wirken die oben genannten Beispiele, von denen ich nur die auffälligsten herausgepickt habe, einfach völlig deplaziert.
Da es sich bei dem Roman um deutsche SF handelt, darf auch Sex natürlich nicht fehlen. Und genau so natürlich wirkt er wie immer aufgesetzt. Um des guten Geschmackes Willen zitiere ich im folgenden nicht die wirklich debile Sexstelle (zu finden auf den Seiten 67 / 68), sondern beschränke mich auf eine harmlosere, aber kaum weniger doofe, weil für die Handlung absolut irrelevante Szene auf Seite 36, in der die telepathisch begabte Protagonistin Meta sich wie folgt äußert:
"Meisterin im Anschleichen, Spannerin, die ich bin, hatte ich mich schon oft in der Nähe der Schlafzimmer, der Mägdekammern und der Offiziersunterkünfte herumgetrieben, hatte gelauscht und genascht, mich an den faszinierenden Emanationen der Wollust aus zweiter Hand gelabt, war im Kopf dabeigewesen bei hitzigen, atemlosen Kopulationen, beim Zelebrieren ehelicher Pflichten, beim heimlichen Onanieren meiner Brüder und später bei ihren gemeinsamen Vergewaltigungen von Zimmermädchen, aber nie, nie hatte ich's im eigenen Leib verspürt."
Deutsche SF: Kopulationen sind dort meistens "hitzig" und "atemlos"; eheliche Pflichten werden von den Autoren für gewöhnlich wirklich noch als Pflichten aufgefaßt (Stimmt, das ist sexistisch!); und onaniert wird zwar "heimlich", aber "gemeinsam", und später "steigert" man sich selbstredend zu Vergewaltigungen "hoch", gegen die unsere ach so tolle Heldin natürlich nicht ein einziges Mal etwas unternimmt, obwohl sie aufgrund ihrer telepathischen Fähigkeiten vermutlich die einzige ist, die davon weiß. In Summa ist all das einfach gequirlter Scheibenkleister.
Zum Abschluß möchte ich Euch noch meinen Lieblingssatz aus Meamones Auge präsentieren. Die Aufzählung exotischer Spezialitäten auf Seite 118 gehört nämlich zum absolut Sinnlosesten, was ich je gelesen habe. Weshalb? Deshalb:
"Raffiniert gewürzte Parfaits und Eclairs, Savarins mit gerebeltem Segurah von Ras Alhague, Babas mit gebeiztem Cottamocca von Zuben Elschemali, Zuppa mit geklontem Tintin von Acrab, Muffins mit gebuttertem Tartassam von Dubhe, Panettone und Profiteroles mit geröstetem Borjac von Benetnasch, Lasagne mit zerstoßenem Belhem von Alcyone, Blinis und Palatschinken mit geraspeltem Tortorak von Schedir und Mirfac."
Meine Rechtschreibprüfung unterkringelt in diesem Satz 29 Wörter. Das entspricht in etwa der Zahl jener Bezeichnungen, die mir ebenfalls nichts sagen. Wie sollten sie auch, handelt es sich dabei doch um für die Handlung vollends irrelevante Speisen und Planeten. Der Zweck dieses Satzes wird wohl auf ewig das Geheimnis seines Verfassers bleiben.
Mein Fazit? Bis auf die gute Ausgangsidee und die von der metallenen Sprache Wolfgang Jeschkes fast vollständig zerrieben wird, ist Meamones Auge eine ziemliche Enttäuschung und mit absoluter Sicherheit kein Anwärter auf den Laßwitz-Preis. Es sei denn, daß mal wieder irgend jemand ganz tief in den Hintern von Jeschke ... - aber lassen wir das.
Fazit: für den Text: 3, für die Aufmachung: 8 (jeweils Punkte von 10 möglichen)
(26.2.1998)