Serie/Zyklus: Autor: Pamela L. Travers 3 CDs, Kein & Aber Records, Zürich Eine Besprechung / Rezension von Wiebke Schiefelbein (ElvenArcher). |
Die Familie Banks lebt in London - die vier Kinder der Familie werden von einem Kindermädchen betreut, allerdings haben es die beiden älteren, Jane und Michael, faustdick hinter den Ohren und in der Regel eine andere Auffassung von ihren Pflichten als ihre Nanny. So ist es nicht verwunderlich, daß die Familie des öfteren auf der Suche nach einem neuen Kindermädchen ist.
Eines Tages jedoch weht der Ostwind Mary Poppins vor die Tür der Familie und sie wird auch gleich als Kindermädchen eingestellt. Jane und Michael sind zuerst äußerst skeptisch, doch als es des Abends einen Löffel von Mary Poppins Spezialmedizin gibt und diese sich als äußerst wohlschmeckend herausstellt: Erdbeer-Eiscreme für die Kinder und Rumpunsch für Mary Poppins, sind sie zumindest geneigt es mit ihr zu versuchen. Die Banks Familie stellt schnell fest, daß nun ein neuer Wind im Haushalt weht, immerhin hält Mary Poppins nichts davon sich Zeugnisse auszustellen zu lassen und weiß wie man sich in höheren Kreisen benimmt. Bald und ohne es zu merken verhalten sich alle so wie es das Kindermädchen wünscht.
Streng aber gerecht erzieht Mary Poppins die Kinder, scheint keine Spur von Humor zu besitzen und doch erleben sie zusammen die seltsamsten Abenteuer wie Teeparties an der Decke, nächtliche Ausflüge in den Zoo, Unterhaltungen mit Tieren und Sonnenstrahlen sowie das Einkaufen von Weihnachtsgeschenken zusammen mit einem plapperhaften Stern der Plejaden - und die Kinder beginnen ihre Nanny abgöttisch zu lieben. Doch sie fürchten auch den Tag, der, wie es Mary Poppins bereits am ersten Abend angekündigt hat, irgendwann kommen muß - der Tag an dem der Wind dreht und sie sie verlassen wird.
Die Disney-Verfilmung von Mary Poppins kennt wohl fast jeder und es sollte jedem bewußt sein, dass gerade die Disney-Filme sich meist weit von der Vorlage entfernen. Um so neugieriger war ich auf die Originalgeschichte, wobei es bei einem Hörbuch (also gekürzt und zudem auch noch übersetzt) sicherlich vermessen ist von der Originalgeschichte zu sprechen. *smile*
Hörbuch und Film weichen in einigen grundlegenden Dingen ab. Mrs. Banks ist nicht die heißblütige Sufragette und Mr. Banks arbeitet zwar in der Bank, wird aber keine weitere tragende Rolle zugewiesen wie im Film. Zudem haben die Banks vier Kinder: Jane und Michael, die an der Schwelle zum Teenageralter stehen und Zwillinge im Babyalter, und Mary Poppins ist oftmals genauso eine Erwachsene wie die Eltern und wesentlich strenger und unsympathischer als Julie Andrews. Auch Bert der Straßenmaler und Schornsteinfeger hat im Hörbuch nur ein kurzes Intermezzo. Doch die Tatsache, daß Mary Poppins vom Ostwind vor die Tür geweht wird und der Westwind sie wieder mit fortnimmt, die ist beiden eigen.
Im Hörbuch wird deutlich, wie es damals gewesen ist. Gutbürgerliche Familien hatten, sofern sie es sich leisten konnten, mehrere Bedienstete, darunter auch ein Kindermädchen, welches sich um die Kinder kümmerte und diese bis auf einige "Besuche" bei den Eltern komplett allein erzog - schließlich waren Kinder etwas, was jede Familie haben mußte. Der Vater war Ernährer und Oberhaupt der Familie und schenkte seinem Nachwuchs wenig Beachtung, solange wie es halt - Kinder - waren. Die Mutter repräsentierte und sorgte dafür, daß der Haushalt organisiert war, hielt die Aufsicht über die Angestellten und war für einige Minuten am Tag die Mutter, die die Kinder abgöttisch liebte und "besser Bescheid" wußte als das Kindermädchen, welches die Kinder tagein tagsaus betreute.
Das Kindermädchen lebte quasi mit den Kindern, es unterrichtete sie, es ging mit ihnen aus, brachte sie zu Bett und aß mit ihnen. Erst wenn die Schwelle zum Erwachsensein bevorstand, durften die Kinder am gemeinsamen Essen mit den Eltern teilnehmen. In dem Moment, wo Jane und Michael diesen Zeitpunkt erreichen, dreht sich der Wind und Mary Poppins zieht weiter, denn die Zwillinge sind noch zu jung um Mary Poppins zu bedürfen.
Mit Strenge und den damals gesellschaftlichen Normen entsprechend werden die Kinder erzogen. Da die ganze Erzählung immer aus der Perspektive der Kinder stattfindet, wirkt Mary Poppins oftmals ungerecht und distanziert, aber sie macht es wett indem sie die Kinder Erfahrungen machen läßt, die andere Kinder sicherlich nicht machen konnten. Diese Erfahrungen sind aber immer mit einer Moral/Lehre verbunden, welche den beiden oftmals erst später bewußt wird.
Da ist die spaßige Reise um die Welt in einer Minute, die sie von den Eskimos in die Weite Afrikas, den Wilden Westen Amerikas und ins Land der Chinesen führt, aber nur solange gut geht, wie Mary Poppins dabei ist. Der nächtliche Besuch im Zoo an Mary Poppins Geburtstag, wo die Welt auf dem Kopf steht. An diesem Tag, sofern er mit Vollmond zusammen fällt, ist alles umgedreht, die Tiere sind alle frei und leben an diesem Tag in Frieden miteinander. Menschen sind hinter den Gittern, führen Kunststücke vor, werden gefüttert oder dienen den Tieren als Reittiere. Dabei wird Jane und Michael bewußt, wie sehr die Tiere unter dem Leben im Zoo leiden, denn wer würde schon gerne immer wieder die gleichen Kunststücke aufführen wollen oder zur Belustigung von Zuschauern gefüttert werden. Ganz zu schweigen von der Freiheit, die fehlt.
Und der Weihnachtseinkauf wird flugs zu einer Lehrstunde darin, daß es nicht darauf ankommt wie teuer und großartig ein Geschenk ist. Sondern, daß es wohlausgesucht und mit dem Herzen gegeben werden muß.
Der Zuhörer verfolgt fast sehnsüchtig die Abenteuer der Kinder und wünscht mit dabeisein zu dürfen - sind es doch Abenteuer, wie sie nur mit den unschuldigen Augen eines Kindes erlebt werden können. Er erlebt wie Jane und Michael langsam erwachsen werden und die Wunder der Kindheit hinter sich lassen und ist ebenfalls dabei wie die Zwillinge ihren ersten Schritt auf dem Weg zum Erwachsenensein machen. Es ist ein trauriger Schritt, der einher geht mit dem Zähnekriegen und dem Verlust einer wichtigen Fähigkeit, nämlich die Tiere und das Sonnenlicht zu verstehen, etwas was nur Kleinkinder können (und Mary Poppins).
Mary Poppins ist, was hier deutlicher heraus kommt als im Film, eine Art weiblicher Peter Pan, der allerdings kein Nimmerland braucht um nicht erwachsen zu werden. Sie hat sich ihr Kindsein erhalten und anstatt Kinder davor zu bewahren erwachsen zu werden, wie es Peter Pan macht, begleitete sie sie und ermöglicht ihnen diese Entwicklung mit allen Freuden der Kindheit zu machen.
Heike Makatsch gehört zu den Schauspielerinnen/Sprecherinnen, die meist unterschätzt werden - wohl bedingt durch ihr Image als Moderatorin bei Viva und Bravo TV. Die 1971 geborene Düsseldorferin hat schon in ihrer Zusammenarbeit mit Detlev Buck und Doris Dörrie gezeigt, daß mehr in ihr steckt. Außerdem feierte sie 2003 ihr Debut im internationalen Filmgeschäft mit einer Rolle in der englischen Komödie Tatsächlich Liebe, wo sie an der Seite von Alan Rickman, Emma Thompson, Hugh Grant, Liam Neeson u. a. brillierte.
Mary Poppins wird von ihr mit viel Herz und Witz erzählt, ihre etwas kratzige, markante Stimme paßt ausgezeichnet zu dem oftmals gestrengen Kindermädchen und verwandelt sich im nächsten Moment ohne Probleme in die Jungemädchenstimme Janes oder den aufmüpfigen Michael. Der Wechsel der Protagonisten kommt gut zur Geltung und verwandelt das Hörbuch mehr in ein Hörspiel. Allerdings reicht ihre Bandbreite noch nicht ganz um die vielen verschiedenen Charaktere der Geschichte darzustellen. Dann klingt schon mal der eine wie der andere - wobei Pamela L. Travers es auch schwermacht bei der vorhanden Vielzahl.
Von mir 8 von 10 Punkten!
- Juli 2005 -
Themenbereich "Phantastik für Kinder und Jugendliche"
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