| Serie / Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
In einer fernen Zukunft ist der Mars für Menschen bewohnbar gemacht worden, und nun leben die Kolonisten in einer Art Apartheits-System. Den marsianischen Ureinwohnern ergeht es ähnlich Amerikas Ureinwohnern: Ihnen wird die Lebensgrundlage entzogen, und, in immer geringerer Zahl, sind sie der Willkür der Menschen ausgeliefert. Doch im Marsianischen Zeitsturz geht es nur am Rande um die Ureinwohner, sondern vielmehr um eine Hand voll Menschen, die in verhängnisvollen Beziehungen zueinander stehen. Da ist Arnie Kott, der in der marsianischen Hierarchie ganz oben steht und auch bleiben will. Dafür will er die prä-kognitiven Fähigkeiten eines autistischen Jungen nutzen. Dies bringt Jack Bohlen auf den Plan, der ihm Zugang zum Bewusstsein des Jungen verschaffen soll. Doch Jack verliebt sich in Arnies Geliebte und Jacks Vater, ein jüdischer Grundstücksspekulant, macht einen Schachzug, der Arnie zu ruinieren droht. In seiner Wut ist dieser bereit, alles in Kauf zu nehmen, selbst eine nachhaltige Störung des Raum-Zeit-Kontinuums.
Der Marsianische Zeitsturz ist einer jener Romane von Philip K. Dick, in der eine Hand voll Protagonisten ihr eigenes, persönliches Drama aufführen. Gleich einem Kammerspiel erlebt der Leser, wie die Leben der Protagonisten verflochten werden und am Ende verhängnisvolle Wechselwirkungen eintreten. Dem Autor gelang dies in seinen Romanen mal besser und mal schlechter. Im ungünstigsten Fall verfing sich Philip K. Dick in dem Geflecht seiner Protagonisten. Er schrieb selbst, dass ihm jeder Charakter am Herzen lag und es ihm schwer fiel, einen neuen Roman zu schreiben, da es am Ende bedeutete, Abschied von seinen Protagonisten zu nehmen. Beim Marsianischen Zeitsturz war das jedoch nicht der Fall. Der Roman weist eine erstaunlich klare Struktur auf, und dem Leser ist sofort klar, dass alles auf einen gemeinsamen Höhepunkt zusteuert. Dabei ist es völlig nebensächlich, dass man recht bald ahnt, worauf alles hinausläuft - bei diesem Buch ist der Weg das Ziel, denn die Protagonisten sind einfach wunderbar charakterisiert. Ab der Mitte wird mehr und mehr offenbar, dass neben Arnie Kott Jack Bohlen der zweite bestimmende Protagonist in diesem Buch ist. Zwischen beiden entsteht eine Bi-Polarität, die sich bis zum Ende hin steigert.
Marsianischer Zeitsturz ist einer der gelungensten Romane Philip K. Dicks. Die Protagonisten durchleben eine Situation, die typisch für einen Roman des Autors sind: Die Grenzen von Zeit und Raum werden für Arnie und Jack durchlässig, und beide suchen nach der Realität, ein Thema, von dem Dick besessen zu sein schien. Aber auch die Kritik am Bürgertum der 60er findet sich in dem Roman. Philip K. Dick hält den Spießern seiner Zeit einen verzerrten Spiegel vor, wie er es oft und gerne tat. Alles in Allem ist der Roman ein Werk, das einen großen Einblick in die Welten des Autors gibt. Es ist also kein Zufall, dass der Heyne Verlag seine sehr gelungene Philip-K.-Dick-Reihe genau mit diesem Roman begonnen hat. Dem faszinierenden und abwechslungsreichen Roman, der wie kaum ein anderer Roman typisch für Philip K. Dick ist, gebe ich 9 von 10 Punkten.
Marsianischer Zeitsturz - zur Rezension von Rainer Skupsch