Serie: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Kurt Vonnegut, der weltberühmte Humorist und Autor von Romanen wie Schlachthof 5, Die Sirenen des Titan, Katzenwiege und Galápagos, starb dieses Jahr im Alter von 84 Jahren. Sein 14. Roman erschien 1997; danach veröffentlichte er nur noch regelmäßig essayistische Artikel in der linken Chicagoer Zeitung In Our Times. Hauptsächlich aus diesen montierten Vonnegut und sein Verleger Dan Simon ein kleines, schönes und - durch das Wissen um den Tod des Autors - für den geneigten Leser herzergreifendes Buch, in dem er einige gutgelaunte Witze und autobiographische Geschichten erzählt, über das Wesen des Humors sinniert, die Handlungsverläufe bekannter literarischer Werke in Form von Funktionsgraphen darstellt und in ebenso freundlicher wie sarkastischer Form darlegt, weshalb er aus Überzeugung Humanist, Pessimist, Sozialist und Atheist sei. Vonnegut führt noch einmal einen Rundumschlag gegen Umweltverschmutzung, Globalisierung und den Kapitalismus. Sein wichtigstes Thema, der Grund, warum dieses kleine Werk überhaupt existiert, ist aber wohl jener "menschliche Schimpanse", den von Hitler unterscheide, dass er nicht gewählt worden sei - George W. Bush.
Vonneguts Schreibstil ist dabei bewusst so einfach gehalten wie eh und je. "Benutzt keine Semikola," rät der Autor allen angehenden Schriftstellern, "[die zeigen] höchstens, daß ihr auf dem College wart." Und er ist mindestens so komisch wie in seinen Romanen - vielleicht komischer, weil er durch keinerlei Zwänge einer fortlaufenden Handlung behindert wird. Über weite Strecken liest sich der Mann ohne Land wie eine angenehme, ungezwungene Plauderei aus dem Stehgreif. Ganz zu Anfang geht es um das Wichtigste, auf das alles andere aufbaut - den Humor. Zum Warmwerden erzählt Vonnegut erst einmal einige Witze, z.B. den hier: "Was ist das Weiße in Vogelkacke?" Antwort: "Ebenfalls Vogelkacke." Ganz ähnlich funktionieren "Warum tragen Feuerwehrleute rote Hosenträger?" sowie "Warum wurde George Washington neben einem Hügel bestattet?" Die Pointe dürfte in beiden Fällen leicht zu erraten sein.
Zurück zum Humor: Als Humanist und Atheist ist für Vonnegut klar, dass das menschliche Leben keine höhere, metaphysische Bestimmung besitzt. Der Pessimist in ihm kann sich nicht vorstellen, dass die menschliche Rasse sich künftig weniger selbstzerstörerisch und gierig aufführen wird als bisher. Nur was brächte es, all dies jetzt bitter zu beklagen (wie es ein guter Teil der Weltliteratur tut). Vonnegut erlebte schon mit 22 Jahren die Bombardierung Dresdens und beschrieb seine Erlebnisse Jahrzehnte später in einem vordergründig komischen Roman (Schlachthof 5). Der Moralist in Vonnegut findet, der Mensch solle allzeit bemüht sein, sich anständig zu benehmen, und das bedeutet für ihn selbst: Sei nett zu deinen Lesern, gib ihnen die Chance zu lächeln, wenn du sie schon mit all den Problemen unserer Welt belästigst.
Die Probleme unserer Welt - genau darum geht es selbstverständlich in Vonneguts Romanen, auch wenn viele von ihnen in einer Science-Fiction-Zukunft spielen (ein trivialer Sachverhalt: Man schreibt immer für die heutigen Leser). Dass ihm verschiedentlich vorgeworfen wurde, in seinen Büchern komme zu viel Technik vor, kann er nicht nachvollziehen. Immerhin leben wir im industriellen Zeitalter, dessen größte Droge das Petroleum sei, das uns ermögliche, mit 160 Sachen unsere Aggressionen auszuleben und die Umwelt zu zerstören. Vonnegut findet, "daß Romane, in denen keine Technik vorkommt, das Leben so schlimm verfälscht darstellen wie die Viktorianer, bei denen kein Sex vorkam."
Vonnegut ist durchaus kein unkritischer Freund der Technik (immerhin war diese in seinen Werken wiederholt für das Ende der Menschheit verantwortlich). Ganz im Gegenteil scheint sie ihm das Lieblingsmittel gieriger Menschen, Arbeitnehmer wegzurationalisieren, um noch mehr Geld zu scheffeln. Bill Gates kann Vonnegut gestohlen bleiben. All den Leuten, die nur noch E-mails schreiben, entgeht doch die Gelegenheit, im Postladen in der Schlange zu stehen und (im Falle des achtzigjährigen Vonnegut mit Erlaubnis der Ehegattin) insgeheim die junge Angestellte hinter der Theke anzuhimmeln!
Warum nun aber trägt dieses Buch den Titel Mann ohne Land. Vonnegut will sich distanzieren vom Amerika des George W. Bush, in dem jemand durch Wahlschiebung zum Präsidenten wird, seine in Yale erworbene Bildung beiseite wischt, in einem fremden Land Hunderttausende umbringt und dabei auch die eigenen Soldaten behandelt, wie reiche, verwöhnte Kinder eben mit Spielzeugsoldaten umgehen. Und die willfährige Presse (einschließlich der New York Times) klatscht dazu Beifall oder meldet lieber gleich, dass Marsmenschen unter uns wandeln. Vonnegut lehnt aber nicht ganz Amerika ab. Er bewundert die Bibliothekarin, die lieber die Listen ausgeliehener Bücher vernichtet, bevor die Homeland Security sie in die Hände bekommt; Abraham Lincoln, der es ablehnte, in Reden militärische Siege zu glorifizieren; Mark Twain, Vonneguts Bruder im Geiste, dessen Humor erst im Alter, angesichts von mehreren Todesfällen in der Familie sowie Massakern der amerikanischen Kolonialtruppen auf den Philippinen versiegte. Und er bewundert den Menschen Jesus für dessen Bergpredigt, deren Inhalt Kapitalisten und christliche Fundamentalisten so gerne verdrängen.
Als 1997 Kurt Vonneguts letzter Roman, Zeitbeben, erschien, erklärte der Autor sich für leergeschrieben und seine Schriftstellerkarriere für beendet. Trotzdem versuchte er sich anschließend sechs Jahre lang an einem weiteren Buch, über einen Stand-Up-Comedian, der am Ende der Welt (der Südsee) mit Scherzen über das baldige Ende der Welt auftritt. Vonnegut scheiterte und fragt sich, ob er vielleicht nicht mehr komisch sei, sondern nur noch ein brummiger alter Mann. Zur Unterstützung seiner Vermutung druckt er eine Seite aus seinem unvollendeten Opus ab, die ähnlich bissig klingt wie einige seiner Schmähungen Bushs. Ich erwähnte ja schon zu Beginn, dass Mann ohne Land ein Buch für `geneigte’ Leser sei. Zumindest diese werden die klaren Wertungen des Autors nicht von vornherein abtun und hinter den Zeilen von Mann ohne Land einen immer noch komischen wie melancholischen Menschenfreund finden.
[Ich benutze für diese Rezension das Titelbild der Taschenbuchausgabe, das sich von dem der gebundenen Ausgabe in genau einem Detail unterscheidet - dem Grabstein.]
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[Na gut, ich erkläre die Pointen, und zwar so wie Vonnegut auf Nachfrage Harry Rowohlt: "Feuerwehrleute tragen rote Hosenträger, damit ihnen die Hosen nicht rutschen. George Washington wurde neben einem Hügel beerdigt, weil er tot war. Willst Du mich verarschen? Hast Du die Antworten wirklich nicht gewußt?"]