Reihe: Magierdämmerung, 1. Band Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Erster Lordmagier Albert Dunholm befindet sich auf dem Heimweg von einem Auftritt, den er gerade absolviert hat. Als scheinbar einfacher Bühnenzauberer unterhielt er sein Publikum und erfreute sich daran, dass die Zuschauer seine Magie mögen und die Abwechslung am Abend zu schätzen wissen. Im Jahr 1897 bietet London nicht gerade viel Abwechslung. So sind die Londoner froh über alles Unterhaltsame, was die britische Metropole aufzubieten hat. Dunholms unscheinbares Äußeres lässt nicht darauf schließen, dass er der Erste Lordmagier des Landes ist. Daher verwundert es ihn, als er bemerkt, dass er beschattet wird. Wer will schon etwas von einem kleinen Bühnenzauberer? Es sei denn, man weiß, wer er ist. Als Vorsitzender einer geheimen Loge von Magiern, die jedoch in sich zerstritten ist, kann er natürlich das Ziel von Bösewichtern werden. Die Zielsetzung der einzelnen Fraktionen unterscheidet sich jedoch grundlegend. Voller Selbstvertrauen auf die eigene Kraft als Magier will er die Sache kurz und bündig aus der Welt schaffen. Es scheint ihm, dass der mitten in der Nacht verlassene Fleischermarkt von Smithfield den rechten Platz für die Auseinandersetzung darstellt. Die Auseinandersetzung endet nicht so, wie es Albert Dunholm erwartete. Sie endet mit einem Toten auf dem nassen Pflaster. Der Tote ist er. Kurz vor seinem endgültigen Tod gelingt es ihm, seine magische Kraft auf einen unbekannten Fremden zu übertragen. Der unbekannte Fremde ist Reporter beim Strand Magazine und heißt Jonathan Kentham. Mit einem Ring und dessen geheimnisvoller Gravur wird er unfreiwillig mit der Welt der Magie in Verbindung gebracht. Eine Welt voller fabelhafter Wesen im viktorianischen London, von der er nicht einmal ahnte, dass es sie gibt. Und das Schlimmste für ihn als Reporter: Er kann darüber nicht wirklich berichten. In Randolph Brown, dem Kutscher, selbst Magier und enger Vertrauten von Albert Dunholm, und dessen seltsamem Raben Nimmermehr findet er zwei Streiter für das Gute. Das Gleiche gilt für den feierfreudigen und exzentrischen Magier-Ermittler Jupiter Holmes und seine Geisterkatze Watson. Gemeinsam versucht das Trio, den Mord am Ersten Magier aufzuklären.
Etwa zur selben Zeit macht sich die junge Hexe Kendra McKellen mit ihrem Großvater Giles auf eine beschwerliche Reise. Die junge Frau hat sich im Selbststudium die Hexerei beigebracht und erfährt nebenbei, dass ihr Großvater selbst ein Magier ist. Der alte Mann hat seltsame, besorgniserregende Veränderungen in der Magie festgestellt. Es scheint eine Art magisches Erwachen zu geben. Denn allenthalben werden magische Wesen gesichtet. Giles will mit Albert darüber sprechen. Sein alter Freund scheint als Vorsitzender der magischen Loge der richtige Ansprechpartner zu sein. Doch von dessen frühzeitigem Ableben hat er keine Ahnung. Es geht um die Magie, das weltumspannende, farbenfrohe Geflecht, welches alles Leben miteinander verbindet. Die Gefahr für die Menschheit ist unüberschaubar. Doch wer steckt dahinter? Die Frage muss er hintenan stellen, weil die Reise der beiden nicht unbemerkt bleibt. Der Großvater und seine Enkelin müssen sich mit Verfolgern auseinandersetzen, denen jedes Mittel recht ist, um die beiden McKellens tot zu sehen.
Ein supermodernes Unterseeboot, das Nonplusultra des Jahres 1897, unternimmt eine spektakuläre Tauchfahrt. Damit nicht genug, das modernste Unterwasserschiff in Betrieb zu nehmen, findet die Besatzung das sagenumwobene Atlantis. Vor ihren staunenden Augen breitet sich eine unglaubliche Unterwasserwelt aus. Das Panorama von Atlantis eben. Ein Fund, den niemand je für möglich gehalten hat. Bis auf den Auftraggeber der Unterwasser-Expedition. Er interessiert sich weniger für den archäologischen Aspekt, sondern etwas, das in den Ruinen schlummert. Seit Jahrtausenden war ein Siegel in den Ruinen von Atlantis verschlossen und gesichert. Doch dann kommt Lord Wellington mit den Träumen, die Welt zu übernehmen, und dazu ist ihm jedes Mittel recht. Lord Wellingtons treuer Gehilfe Duncan Hyde-White muss sich in einem fassförmigen Unterwasseranzug durch die Ruinen von Atlantis vorwärtsbewegen. Sein Ziel: die Pyramidenspitze, um das dort befindliche Siegel freizulegen. Die Öffnung des Siegels, das den Untergang von Atlantis brachte, droht nun die Welt zu zerstören. Ein Ausbruch reiner Materie erschüttert das Magiegeflecht der Welt, das jeder Magiebegabte wahrnehmen kann. Lord Wellington hingegen ist der Meinung, die ausbrechende Macht zu beherrschen. Doch nun bricht ein neues Zeitalter chaotischer Magie an.
Bernd Perplies schreibt einen Alternativweltroman, der mit den zur Zeit laufenden und immer beliebter werdenden Steampunk-Geschichten nichts gemein hat. Stattdessen baut seine Handlung auf einer breiten Basis auf, und es finden sich Anspielungen auf Jules Verne und dessen Nautilus, Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes (der hier Jupiter heißt und ein von der Loge ausgeschlossener Magier ist, dem man als Leser liebend gern mal links und rechts eine Ohrfeige verpassen möchte) oder gar den großartigen H. G. Wells. Mittelpunkt der Erzählung ist das London kurz vor der Jahrtausendwende. Wer die Jahrtausendwende 2000 bewusst miterlebte, der wird die Stimmung dort ebenfalls als angenehm empfinden. Gleichsam ein Déjà-vu-Erlebnis nach dem anderen erwartet den Vielleser und Film- und Fernsehkenner. Bernd Perplies überrascht mich immer wieder, indem er meine Erwartungen, wie die Geschichte verlaufen wird, torpediert und einen anderen Weg geht. In Verbindung mit der Phantastik bringt er die Elemente des Detektiv-Romans, wie ihn Edgar Allan Poe einführte und Arhtur Conan Doyle weiterführte, Verschwörungstheorien eines Dan Brown mit den Schauergeschichten à la Emily und Charlotte Brontë zusammen. Diese Themen werden umgesetzt, indem er die passenden Figuren einführt. Mal sind diese der physischen Gewalt zugeneigt und die Fäuste fliegen, mal lässt jemand den Leser mit psychischer Gewalt und seltsamen Ansichten geistig kapitulieren.
Der Reporter Jonathan Kentham als Handlungsträger ist als angenehme Person dargestellt, mit der man sich gern gleichstellt und deren Platz man einnehmen möchte. Er hat allerdings ein paar Probleme mit der Damenwelt - seine angehimmelte Freundin ist ihm noch nicht hold. Jonathan beginnt als einfache Person, die sich langsam entwickelt. Mit jeder Seite, auf der er den Hauptdarsteller spielen darf, wird aus dem unterdurchschnittlichen Reporter eine sympatischere Hauptperson. Schön ist besonders, dass er dabei nicht an Glaubwürdigkeit verliert.
Als Leser bin ich etwas zwiegespalten bei diesem Roman. Auf der einen Seite finde ich es schade, dass der Roman nicht zu Ende gebracht wurde. Die lästige Angewohnheit, immer Trilogien schreiben zu müssen/wollen/können ärgert mich immer wieder. Auf der anderen Seite warte ich jetzt auf einen zweiten, dritten Teil und hoffe, dass nach dieser Trilogie noch nicht alles geschrieben wurde. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass mit nur erwähnten Nebenfiguren weitere Abenteuer zu schreiben und zu erleben wären. Bereits die unterschiedlichen Handlungsstränge erfordern die gesamte Aufmerksamkeit des Lesers und sorgen durch den gewollten und andauernden Perspektivwechsel für eine latente Spannung. Mit jedem Satz, den Bernd Perplies schreibt, jedem Wort, das er seine Figuren sprechen lässt, setzt sich für den Leser eine faszinierende Welt - einem Puzzle gleich - vor dem geistigen Auge zusammen. Die Sprache, die Bernd Perplies verwendet, ist leicht antik ausgefallen, bilderhaft und insgesamt dem viktorianischen Handlungsrahmen angemessen.
Der Roman ist sehr unterhaltsam und kurzweilig. Die Beschreibungen fallen sehr lebendig und farbenfroh aus. Die Figuren sind ungewöhnlich, glaubhaft und sehr sympathisch. Oder aber das Gegenteil, wenn es darum geht, die "Bösen" zu beschreiben. Aber sind sie wirklich böse? Oder wollen sie für die Welt nur das Beste - aus ihrer Überzeugung und mit ihren Mitteln?
Der einzige Nachteil, den der Roman hat, ist das abrupte Ende. Nichts wird aufgelöst, und so steht der Leser im Regen und wartet auf den nächsten Band. Cliffhanger sind schön und gut, aber nicht so. Da hat man eher das Gefühl, einen Strick um den Hals gelegt zu haben.