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Titel: Lucy Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Die Geschichte um die fünfzehnjährige Lucy beginnt im Dschungel des afrikanischen Kongo. Die Amerikanerin Jenny erforscht das Verhalten der Bonobos, einer hiesigen Menschenaffenart. Der Bürgerkrieg im Land sorgt jedoch dafür, dass die näher rückenden Kriegsparteien auch den Bonobos gefährlich nahe kommen. So muss Jenny fliehen. Unterwegs will sie einen anderen Forscher warnen und mit ihm das Land verlassen, eine sichere Zuflucht finden. Als sie das nahe gelegene Camp von Donald Stone, einem englischen Wissenschaftler, erreicht, kann sie nur noch seinen Tod feststellen: erschossen. Sie findet im Camp die Teenagerin Lucy, Donald Stones Tochter, von dessen Tod verstört. Jenny nimmt Lucy mit, rafft noch schnell einige Sachen zusammen, darunter die Tagebücher des englischen Wissenschaftlers, und flieht. Lucys ungewöhnliches Talent und ihre Instinkte sorgen dafür, dass die beiden Frauen es schaffen, sich durch den Dschungel zu schlagen. In der britischen Botschaft kann Jenny mit Hilfe von Bekannten das Land verlassen, Lucy immer im Schlepptau.
Die Flucht nach Amerika gelingt. In Chicago will Jenny sich um lebende Verwandtschaft von Lucy in England kümmern, wird aber herb enttäuscht, als die Nachforschungen erfolglos bleiben. Auf der Suche nach weiteren Informationen beginnt Jenny, in den Tagebüchern Donald Stones zu forschen. Was sie dort zu lesen bekommt, kann sie nicht glauben. Lucys Vater führte Versuche mit einem Bonoboweibchen durch, um zu beweisen, dass beide Spezies miteinander Kinder zeugen können. Jenny erfährt die schreckliche Wahrheit, nämlich das Lucys Mutter eine Bonobo ist. Um das Geheimnis zu hüten, adoptiert Jenny Lucy und nimmt die Mutterrolle an. Während das Leben für Jenny seinen gewohnten Gang geht, findet Lucy im Großstadtdschungel eine neue Herausforderung. Es dauert eine Weile, bis Lucy soziale Kontakte schließt, aber das ist als Neuling an einer Schule nicht ungewöhnlich. Einmal von ihrer Naturverbundenheit abgesehen, scheint Lucy ein ganz normales Mädchen zu sein. Mit ihrer neu gewonnenen Freundin Amanda unternimmt sie typische Mädchensachen.
Das eigentliche Problem liegt jedoch nicht darin, dass Jenny als Mutter überfordert ist, sondern in der Tatsache, dass das Mädchen Lucy ein Zwitterwesen ist. Halb Mensch und halb Menschenaffe, gehört es eigentlich zu keiner Spezies. Als man hinter das Geheimnis kommt, wird aus dem Buch doch noch ein Spannungsroman. Leider ist der Teil eines typischen Thrillers sehr kurz gehalten.
Den Großteil der Geschichte nimmt Lucys Anpassung an neue Verhältnisse in Anspruch. Die Klischees, deren sich Laurence Gonzales bedient, sind sehr einfach gehalten und oberflächlich dazu. Zum Glück neigt der Autor nicht dazu, seine Hauptpersonen ebenso handeln zu lassen. Laurence Gonzales’ Buch vermag den Leser nicht sonderlich lange am Lesen zu halten. Dafür wird man einmal mehr zum Nachdenken angeregt.
Der sehr bildhafte Schreibstil von Laurence Gonzales ist zu Anfang kraftvoll, eindringlich und fesselnd. Leider schwächelt er im Laufe der Zeit und lässt immer mehr nach. Am Anfang der Erzählung wird der Leser in die Fremdartigkeit des Dschungels entführt. Handlung wie auch die Beschreibung der Handlungsorte und Handlungsträger sind sehr plastisch und wirklichkeitsnah. Gerade das Mädchen Lucy wirkt dabei wie ein Mädchen aus der Nachbarschaft. Sie ist ein Mensch, den man gern haben muss und dessen Hauptaugenmerk auf der Harmonie des sozialen Zusammenlebens liegt. Um so erschreckender muss der Zusammenprall des Landmädchens Lucy mit der Großstadt sein. Die moderne Geschichte erinnert an Sheena, Königin des Dschungels oder auch Liane, das Mädchen aus dem Urwald. Gleichzeitig verbinde ich mit dem Buch Erinnerungen an den Film Gorillas im Nebel (USA, 1988), der auf der wahren Geschichte der Zoologin und Verhaltensforscherin Dian Fossey und ihren Studien zum Verhalten von Gorillas aufbaut. Laurence Gonzales versucht sich mit philosophischen Einschüben, um den Leser zum Nachdenken anzuregen.