Reihe: Wurdack SF, Band 11 |
Christian Günther: Lotus-Effekt
Rho arbeitet als Amnesier, jeden Tag nach Arbeitsende wird seine Erinnerung daran gelöscht. Doch ein paar Fragmente bleiben
Gewissermaßen Standard, nicht besonders inspiriert, aber auch nicht wirklich schlecht. Die grundlegende Idee ist sogar sehr gut, doch die Ausführung irgendwie falsch, die Perfidie eines solchen Systems kommt nicht richtig rüber.
Thomas Hocke: Ein Phager wird trainiert
Der Protagonist testet eine neue biotechnische Innovation, einen künstlichen Schmetterling, der auf die Beseitigung von Müll programmiert werden kann. Doch durch die Unachtsamkeit des Protagonisten wird er auf Gummi fixiert und frisst unter anderem auch alle Kondome - was beim Sex sehr hinderlich sein kann
Sehr witzig geschrieben, man schmunzelt auch beim dritten Mal Lesen noch. Allerdings ist die Geschichtre relativ belanglos, der Witz bleibt an der Oberfläche.
Nadine Boos: Photosolaris
Das Leben auf der Erde entstand durch pupsende Raumalgen vor Tau Ceti III.
Amüsante Geschichte, der Nachfolger von „Fernweh“. Teilweise bitter, doch immer spannend erzählt, bleibt „Photosolaris“ eine Standard-Story, wie man sie schon öfter gelesen hat. Ich habe sie in jedem Fall genossen, der Stil von Nadine Boos macht alle ihre Geschichten (zumindestens soweit ich sie kenne) lesenswert.
Sebastian Rieger: Nichts wie der Himmel
Frank arbeitet bei der Polizei und scannt telepathisch die Gedanken von Verdächtigen. Diese Arbeit ist so stressig, dass er die Farbe Blau nicht mehr sehen kann.
Eine bittere Geschichte über die Ausnutzung psionischer Fähigkeiten, über Stress und die Resultate davon im persönlichen Umfeld. Sehr schöne Idee, hervorragend erzählt, so etwas liest man gerne.
Lutz Hermann: Der Traum vom Fliegen
Ein Pharma-Unternehmen bringt seine Mitarbeiter dazu, an Medikamenten-Testreihen teilzunehmen. Aus reinen Kostengründen versucht ein Manager, die älteren Mitarbeiter in eine Testreihe hineinzubringen, die sie als Ergebnis Selbstmord begehen lässt. Als die Arbeitnehmer dies spitzkriegen, wehren sie sich
Eine Standard-Extrapolation einer heute schon existierenden Situation, schön erzählt, auch sehr bissig, aber doch zu vorhersehbar, um wirklich tiefsinnig zu sein. Nichtsdestotrotz eine nette Geschichte für zwischendurch.
Bernhard Schneider: Lapsus
Elena glaubt, sie sei von Außerirdischen entführt worden. Da trifft sie Nicholas und stellt fest, dass sie nicht die Einzige ist, die dieses glaubt. Doch es ist nur ein Trick der Regierung, mit der sie atavistische Killer programmieren will.
Eine nette Geschichte, schön extrapoliert, aber es fehlt der letzte Kick. Dabei ist sie zweifelsohne gut erzählt, es hat Spaß gemacht, sie zu lesen.
Olaf Trint: Schnully
Ein im Weltraum lebender außerirdischer Kugelfisch bringt mittels seiner Psi-Fähigkeiten reihenweise Männer um. Und das nur, weil eine enttäuschte Frau ihm etwas von „Männer wollen in die nächste Daseinsebene aufsteigen“ und „Wiedergeburt“ erzählt hat.
Eine urkomische Story, dabei aber weder platt noch lächerlich. Olaf Trint hat das alles zusätzlich noch in eine Detektivgeschichte verpackt, deren zwei Ermittler ein wirklich gelungenes komisches Duo sind. Der sehr flüssige Stil der Story tut ein übriges, den Leser zu fesseln. Wie sagt man doch so schön: gerne wieder!
Thomas Wawerka: Wir könnten Kolumbus fragen
Ein selbstständiger Computer auf dem Ganymed optimiert sich, indem er Aliens und Tiere in sein System integriert. Das Gleiche geschieht auch der ersten menschlichen Expedition.
Eigentlich eine gute Idee, auch sehr flüssig erzählt. Leider aber so unspannend konzipiert, dass man daran keinen Spaß hat. Schade eigentlich.
Andrea Tillmanns: Aussichtsloser Morgen
Ein Mann steht auf, frühstückt, tötet eine Spinne und geht wieder schlafen.
Social Fiction mit dem Dampfhammer, dabei aber in einem angenehmen Stil. Andrea Tillmanns gelingt es, einen Menschen ohne Hoffnung, ohne Visionen, beklemmend präzise darzustellen. Fast schon gruselig.
Thomas Templ: Gebäude Nummer 15
Archäologen entdecken auf einem Planeten ein menschliches Skelett. Sie müssen feststellen, dass sich auch auf diesem Planeten die Menschen weiterentwickelt haben, um danach Krieg zu führen und auszusterben.
Eine solide und in sich stimmige Erzählung, ein innovativer Plot. Gelungen bringt Thomas Templ die Exotik der Szenerie und der zukünftigen menschlichen Gesellschaft rüber. Lesenswert.
Christian Weis: Entschlossen
Ein klassischer SF-Krimi, die chronologisch erste Kozak-Story. Sehr spannend erzählt, vielleicht etwas zu konstruiert. Es hat auf jeden Fall Spaß gemacht, den Hintergrund des Detektivs dargestellt zu bekommen, ich hoffe, dass irgendwann einmal die gesammelten Kozak-Stories in einem Band herausgegeben werden.
Thomas Backus: Konsumaten
Roboter-Konsumenten werden gebraucht, damit Roboter-Manager Gewinne für Roboter-Firmen machen können. Menschen dagegen werden arbeitslos
Ein zynischer Kommentar zur voraussichtlichen Entwicklung der heutigen Marktwirtschaft, böse, kurz, prägnant. Unbedingt lesenswert.
Karla Schmidt: Weg mit Stella Maris
Malin, die Tochter von Stella Maris, lehnt sich gegen ihre Mutter auf. Doch sie rebelliert gegen sich selber, denn Stella ist die Malin eines Paralleluniversums. Bei einem Experiment verschuldete sie den Tod ihrer Eltern, jetzt hat sie eine Möglichkeit gefunden, das wieder rückgängig zu machen. Dazu braucht sie aber die Hilfe Malins.
Sehr schöne Parallelwelt-Story, unprätentiös und lesenswert. Zusammen mit dem angenehmen Stil der Autorin hat ihr das in der Zwischenzeit eine DSFP-Nominierung eingebracht.
Uwe Post: Decoi Vult
Eine neuartige Datenbrille wird durch einen chinesischen Nachbau verdrängt. Und dieser Nachbau ermöglicht es über einen Patch, in die Zukunft zu sehen. Was nur möglich ist, weil ein großer Teil der Menschheit keinen eigenen Willen hat, sondern von Außerirdischen, den Decoi, ferngesteuert wird.
Eine sehr schöne Story über Selbstbestimmung und den Freien Willen. Uwe Post schafft es meisterlich, ein tiefsinniges Thema in einer spannend geschriebenen Abenteuer-Story zu verstecken. Lesenswert!
Armin Rößler: Das Gespinst
Auf dem Planeten der Murn haben die Menschen einen kleinen Außenposten. Eine Expedition ins Innere des Planeten stellt fest, dass nicht die pelzigen Murn die eigentlichen Bewohner sind, sondern sie nur von parasitischen Gespinsten als Träger benutzt werden.
Eine Story aus dem Argona-Universum, in der Armin Rößler einmal mehr seine Phantasie zusammen mit dem Leser an exotische Orte schweben lässt. Wie bereits in seinen Romanen oder in „Cantals Tränen“ aus „SF X.“ ist man von der Beschreibung des Planeten und seiner Bewohner einfach fasziniert. Wenn auch die Story inhaltlich recht oberflächlich bleibt, so hat es doch Spaß gemacht, sie zu lesen.
Arno Endler: Strafmaßnahme
Ein Raser darf sein Auto nur noch mit einer KI fahren. Da diese ihn regelmäßig maßregelt, steigt der Ärger des Fahrers immer mehr
Eine urkomische Story über das Seelenleben von KIs. Als die Kaffemaschine sich weigerte, dem Protagonisten einen Kaffee zu machen, weil er böse zur Auto-KI gewesen ist, bin ich vor Lachen zusammengebrochen. Traumhaft extrapoliert, unbedingt lesenswert!
Karsten Kruschel: Barnabas
In einem abgelegenem Kloster auf einem kleinen Planeten empfängt der Abt einen außerplanetaren Besucher, der ein gefährliches Gerät bei ihm vor den Menschen verstecken will. Doch ein Novize spielt an diesem Gerät rum und aktiviert es.
Die klassische Zauberlehrling-Story im SF-Gewand, vielleicht nicht innovativ, aber packend erzählt.
Niklas Peinecke: Die Ernte fällt heut' aus
Die Menschheit befindet sich im Krieg gegen eine Roboter-Zivilisation, die Krill. Aufgrund von Gehirnscans können Verwundete geheilt werden. Allerdings werden die Scans von Toten auch als Ersatz für KI eingesetzt.
Eine Antikriegsstory, die eindringlich vor dem maximal Machbarem warnt. Deutlich wird geschildert, wie bitter ein solches Verfahren für die Zurückgebliebenen ist, wie inhuman eine solche Behandlung eigentlich Toter tatsächlich ist.
Heidrun Jänchen: Ein Geschäft wie jedes andere
Reiche können sich Vollprothesen leisten - d.h. sie übernehmen die Körper von anderen Menschen, die diesen ihren Körper vorher verkauft hatten
Exakte Extrapolation des Sieges des Gelds über die Moral, bitterböse, aber letztendlich nicht ohne einen Hoffnungsstrahl. Social Fiction, wie man sie liebt.
Fazit: Nach dem in "S.F X." abgebranntem Story-Feuerwerk kann jeder direkte Nachfolger nur abfallen. So ist auch "Lotus-Effekt" insgesamt gesehen nicht auf dem (extrem) hohem Niveau wie sein Vorgänger. Nichtsdestotrotz fühlt man sich beim Lesen hervorragend unterhalten, einige der enthaltenen Stories sind durchaus ganz große Science Fiction. Abzeichnen tun sich allerdings einige der zukünftigen SF-Großmeister: Jänchen, Peinecke und Weis haben endgültig zu ihrem Stil gefunden, man kann gespannt sein, welchen Einfluss sie in den nächsten Jahren auf die deutsche SF ausüben werden.
Ebenso bemerkenswert wie diese Story-Sammlung an sich ist eine weitere Eigenschaft der Anthologien aus dem Wurdack-Verlag, die sich in den letzten Bänden mehr und mehr herauskristallisiert hat: Die darin enthaltenen Geschichten orientieren sich grob an angloamerikanischen Vorbildern, sind eher international denn auf Deutschland zentriert. Auch stilistisch ähneln sie mehr den Storys, die ich beispielsweise aus dem „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ kenne. Der inhaltlichen Tiefe und der hohen Qualität der Stories tut dies keinen Abbruch, es ist vielmehr ein gemeinsames stilistisches Merkmal.